# taz.de -- Theatergründer Winfried Wrede über Nachwuchsförderung: „Es gab… | |
> Junge Bühnenkünstler brauchen Raum, um freies, experimentelles Theater zu | |
> verwirklichen. Den gibt ihnen Winfried Wrede im Oldenburger "Theater | |
> Wrede +". | |
Bild: Hat Flausen im Kopf: Winfried Wrede gibt jungen Künstlern Raum zum Erpro… | |
taz: Herr Wrede, gibt’s in der Digital-Zeit noch junge Theaterleute? | |
Winfried Wrede: Oh ja. Es ist gibt sogar ein riesiges Bedürfnis für | |
Theater, wahrscheinlich gerade wegen der Digitalisierung: Durch neue | |
Techniken ändert sich unsere Wahrnehmung. | |
Was hat das mit Theater zu tun? | |
Theater als gesellschaftsbezogene Auseinandersetzung muss ausloten und | |
reflektieren, wie sich unsere Kommunikation, unsere Wahrnehmung verändert. | |
Dafür gibt es theatrale Forschung. Und für die gibt es ein großes Bedürfnis | |
gerade bei den jungen Leuten. | |
Für die haben Sie „Flausen“ erfunden, ein Förder-Programm … | |
… da gab es ja bislang nichts Vergleichbares: Ich wollte genau für das | |
sorgen, was mir als junger Künstler am dringendsten gefehlt hat: ein | |
geschützter Raum zum Erproben von neuen, gewagte Ideen. Das ist Flausen. | |
Wie viele Gruppen bewerben sich da denn so? | |
Allein in diesem Jahr waren es 130. In der ersten Runde verlangen wir | |
deshalb keine umfangreiche Bewerbung. Die jungen Künstler haben genug mit | |
Verwaltung und Antragschreiben zu tun, sie sollen da keine große Arbeit | |
hineinstecken – außerdem stünde das ja in keinem Verhältnis zur Platzzahl. | |
Vergeben werden Residenzen hier in Oldenburg, aber auch in Spielstätten in | |
Nordrhein-Westfalen. | |
Ja, diesmal waren es immerhin sechs, doppelt so viele wie 2013. Aber sechs | |
für 130 – das ist ja fast wie Lotto spielen. | |
Aber wenn Sie keine Bewerbungsunterlagen anfordern, was bleibt Ihnen denn | |
dann, als die Plätze zu verlosen? | |
Gelost wird nicht! | |
Sondern? | |
Es gibt zwei Auswahlrunden mit unterschiedlichen Anforderungen: Die Vorjury | |
wählt Gruppen aus, diesmal waren das 18 Gruppen, die dann zum Final Choice | |
eingeladen wurden. Für diese zweite Runde müssen die Bewerber einen | |
ausführlichen Arbeitsplan erstellen, dann reisen sie an und stellen der | |
Endjury, die aus Förderern und Fachleuten besteht, ihr Forschungsprojekt | |
vor, danach gibt es noch ein Gespräch. Aber für die Vorjury müssen die | |
Gruppen nur ein Formular ausfüllen, vier Antworten auf vier Fragen. | |
Und zwar? | |
Wichtig ist, dass man seine Forschungsidee formuliert. Nach der fragen wir. | |
Dann spielt für uns das Risiko eine Rolle, also: Ist die Idee gewagt? Eine | |
Frage lautet: Warum ist eine Forschungsresidenz in eurer künstlerischen | |
Situation wichtig? Und dann interessiert uns: Du hast vier Wochen Zeit: Für | |
welche Schritte willst du die Residenz nutzen. | |
Damit am Ende eine spannende Aufführung steht? | |
Nein, um herauszubekommen, welche der Künstler einen besonderen Impuls | |
brauchen. Da geht’s um die Dringlichkeit des Anliegens. Denn am Ende steht | |
keine Aufführung, sondern ein öffentliches Making-of. | |
… also eine Präsentation? | |
Das klingt zu sehr nach Produktion. Die Künstler nehmen uns mit auf ihre | |
Forschungsreise. Welche Fragen wurden gestellt, und sie zeigen, was | |
ausprobiert wurde – eine Art Werkstattgespräch. In der Residenz sollen die | |
Gruppen ihre Möglichkeiten testen, sich auf Neues einlassen, ihren Stil | |
hinterfragen, Arbeitsweisen erkunden – in die Breite arbeiten, ohne Druck, | |
am Ende etwas Fertiges abliefern zu müssen. | |
Einfach so? | |
Wir haben strenge Auflagen: Es gibt eine Anwesenheitspflicht, | |
Nebenbeschäftigungen sind nicht erlaubt. Sonst wäre es schnell vorbei mit | |
der Konzentration, die man fürs Forschen braucht. Heute ist das Zeitkorsett | |
bei Produktionen so eng, da bleibt fürs Ausprobieren kein Raum mehr. Wenn | |
man aber nicht mehr experimentieren kann, wird’s problematisch. Dann bleibt | |
nur die Flucht in die Gefälligkeit. Dann kann man nicht mehr scheitern. | |
Man könnte meinen, dass manche das anstreben? | |
Aber Theater ist doch Wagnis! Scheitern, wieder scheitern, besser scheitern | |
– hat Sam Beckett gesagt: Wenn das Risiko weg ist, ist die Kunst tot. Als | |
wir hier das Gebäude bezogen haben … | |
… vor fünf Jahren … | |
… haben wir damals auch unseren künstlerischen Standort neu bestimmt. Im | |
Namen Wrede ist das Wort „Red“: Im Englischen steht es für Rot, also | |
Leidenschaft, im Spanischen für „Vernetzung“, das + kennzeichnet, dass hier | |
mehr als nur eine Gruppe arbeitet, dass es offen ist. Wir wollen ein Ort | |
der Vernetzung sein, ein kulturpolitisches Haus. | |
Aber ursprünglich ging es schon darum, in Oldenburg Theater zu machen? | |
Unsere Arbeit ist immer auf das Theater bezogen, gerade weil es um | |
Grundlagenforschung geht. Das war von Anfang an so. Natürlich bin ich durch | |
meinen Werdegang geprägt. | |
Natürlich. Dann müssen Sie jetzt verraten, wie der verlief. | |
Im Grunde hat es damit angefangen: Als junger Mensch wollte ich irgendwann | |
einen Schnitt machen. Ich verstand in Deutschland einige Dinge nicht, | |
wollte sie aber verstehen – und dachte, das geht aus der Distanz besser. | |
Also bin ich international unterwegs gewesen. Als Musiker findet man | |
schnell Anschluss | |
Wie jetzt als – Musiker? | |
Als Percussionist. Ich hatte schon in Deutschland mit Alltagsgegenständen | |
wie Autotüren und Ofenrohren experimentiert. Dort haben mich die | |
traditionellen Instrumente und Arbeitsweisen interessiert, in Indien | |
Katakali, in Neuseeland die Tänze der Maoris. | |
Das hat Sie zum Theater gebracht? | |
Ich bin dabei eher Schritt für Schritt ins Theater gerutscht – in den Ort, | |
wo alle Künste zusammenfließen. Und als ich dann zurück nach Deutschland | |
kam, war hier in Oldenburg die Kulturetage im Aufbau … | |
… als selbstorganisierter Kulturort … | |
… und das war für mich genau das richtige Feld, mit anderen Künstlern etwas | |
aufzubauen. Irgendwann hat sich das dann getrennt, die Kulturetage wurde | |
ein soziokulturelles Zentrum, und wir haben für uns die Theaterfabrik | |
erstritten, ein wunderbares Experimentierhaus, das leider dann abgerissen | |
wurde, schließlich kam das hier. | |
Klingt jetzt gar nicht, als hätte sich die Ausgangslage für junge | |
KünstlerInnen verschlechtert: Die Aufführungsorte mussten Sie sich | |
erkämpfen, die Spielweise zwischendurch entwickeln – was ist so anders? | |
Die Situation ist heute anders: Theater wird viel weniger als Ort der | |
lebendigen Auseinandersetzung gesehen, sondern eher für Unterhaltung. | |
Es gibt schon immer wieder Skandale … | |
Ach ja, aber darum geht es doch nicht. Meine schönsten Vorstellungen als | |
junger Künstler, das waren die, wo man sich im Saal danach fast geschlagen | |
hat, weil sich das Publikum so uneinig war: Ist das nun total schlecht, | |
oder total genial. | |
Okay, das erlebt man heute nicht mehr ohne Weiteres … | |
Und dann, was definitiv anders war: Natürlich ist man auch früher nicht | |
reich geworden, mit freiem Theater. Aber es gab noch nicht diese | |
Existenzangst, die jeder junge Künstler heute haben muss, die selbst mich | |
ergreift: Ich weiß, dass ich in der Altersarmut lande. Aber das können wir | |
der jungen Generation doch nicht als Perspektive zumuten. | |
Aber wo wäre das denn früher anders gewesen? | |
Ich konnte damals von meinen Produktionen leben: Klar, Oldenburg alleine | |
wäre dafür schon zu klein, du kannst deine Stücke ja nicht endlos oft | |
spielen. Aber die Tourneen, das ging damals ganz gut. Und das geht heute | |
nicht mehr. | |
Inwiefern? | |
Ein Beispiel: Freie Theatergruppen in Niedersachsen müssen ihre Produktion | |
in Niedersachsen mindestens zehn Mal zeigen, um Förderung zu bekommen. Wir | |
werden deshalb oft von jungen Künstlern angefragt. | |
Das ist doch prima, das wollen Sie doch auch! | |
Ja, aber da gibt es einen gewaltigen Hemmschuh: Ein Auftritt kostet Geld, | |
von der Werbung bis zur Realisierung, das wir als Spielstätte nicht haben, | |
und da sind die notwendigen Gagen noch nicht einmal mit drin. Es stimmt, | |
wir würden unser Haus gerne zur Verfügung stellen – aber wie? Wenn es in | |
Niedersachsen, weder von der Kommune noch vom Land eine angemessene | |
Spielstättenförderung gibt. Da wäre also die Politik gefordert. | |
Bloß, wie bekommt man die auf seine Seite? | |
Nicht als Einzelkämpfer: Wir haben in Niedersachsen den Spielstättenverbund | |
gegründet, der das Manko beheben will. Und der Unmut wächst. | |
Wo denn? | |
Die niedersächsischen Stiftungen, die viel Geld in Produktionen | |
investieren, die Universitäten, die jährlich KünstlerInnen als | |
professionellen Nachwuchs entlassen, aber auch die Spielstätten anderer | |
Bundesländer, die mit Niedersachsen zusammenarbeiten wollen, die alle sehen | |
und formulieren die gleiche Notwendigkeit wie wir. Wir brauchen Standards | |
für die freie Kunst. | |
Welche denn? | |
Also als erstes mal: keine Arbeit ohne Bezahlung. | |
Das klingt selbstverständlich? | |
Das ist es aber eben nicht. | |
26 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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