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# taz.de -- Zivilcourage gegen Gewalt in Kolumbien: Das Schlachthaus hat geschl…
> Mafiabanden terrorisierten das Hafenviertel im kolumbianischen
> Buenaventura – bis die Bewohner es zur „humanitären Zone“ erklärten.
Bild: Die Ausrufung der „humanitären Zone“ in Puenta Nayera hat ihn noch b…
BUENAVENTURA taz | Angst? Natürlich hatte Orlando Castillo Angst. Jede
Nacht die Schreie. Und ständig Schießereien. „Wie eine kleine Armee standen
immer schwer bewaffnete Männer auf der Straße“, berichtet der 35-Jährige.
Er zeigt auf die freie Fläche neben seinem Holzhaus, das wie die meisten
Gebäude im Viertel Puente Nayera der kolumbianischen Hafenstadt
Buenaventura auf Pfählen ins Meer gebaut ist. „Da war das Schlachthaus.
Hier haben die Killer ihre Opfer gefoltert, bei lebendigem Leib zerstückelt
und die Körperteile ins Wasser geworfen.“
Wer kein Schutzgeld zahlte, für die falsche Bande tätig war oder sich gegen
die Kriminellen stellte, endete an diesem grausamen Ort. Unter den
brüchigen Brettern, mit denen die Holz- und Wellblechhütten verbunden sind,
schwammen die Leichenreste. Zwischen Plastikmüll und Fischerbooten. Niemand
sprach öffentlich darüber.
Über ein Jahr lang kontrollierten Mafiabanden den Stadtteil. Dann
organisierten sich im April die Bewohnerinnen und Bewohner gegen die
Kriminellen. Mit Unterstützung des örtlichen Bischofs Héctor Epalza
erklärten sie Puente Nayera zur „humanitären Zone“. Dieses von der
Interamerikanischen Menschenrechtskommission anerkannte Konzept, das es nur
in Kolumbien gibt, war bislang nur auf dem Land umgesetzt worden. Keine
bewaffneten Einheiten – weder Paramilitärs, Soldaten, Polizisten noch
Guerilleros – dürfen diese Zonen betreten.
Aber taugt dieser Ansatz auch für einen Stadtteil, in dem Hunderte Familien
eng beieinander leben und der von gesetzlosen Banden kontrolliert wird?
„Durch die Unterstützung des Bischofs hat die internationale Öffentlichkeit
auf uns geschaut“, sagt Orlando Castillo, der sich seit Jahren für sein
Viertel engagiert. Einige Kriminelle seien deshalb von der Polizei
festgenommen worden, andere hätten sich zurückgezogen. Zudem haben die
Anwohner das Barrio abgesichert.
## Abgeriegelt und bewacht
Wer heute Puente Nayera betreten will, muss ein großes Tor passieren. An
einigen Stellen schützt ein dichter Holzzaun vor Angreifern, die übers
Wasser eindringen wollen. Über dem einzigen einigermaßen befestigten
Schotterweg ist ein Transparent gespannt, das klarstellt: „Räume des Lebens
– ausschließlich für die Zivilbevölkerung“. Niemand sei in den letzten
Monaten umgebracht worden, sagt Castillo.
Die Angst ist dennoch geblieben. Buenaventura gilt als eine der
gefährlichsten Städte Kolumbiens. Zwei große Mafiabanden streiten um die
Kontrolle des Drogenmarkts. Sie kämpfen auch um den Hafen, über den viele
illegale Waren ins Land kommen: gefälschte Jeans, unverzollte
Fernsehgeräte, Waffen. Wer den Kriminellen im Weg steht, muss damit
rechnen, erschossen zu werden. Auch Orlando Castillo lebt jenseits seines
Barrios gefährlich. 27 Morddrohungen hat er bisher bekommen. „Die Ausrufung
der humanitären Zone hat mich noch bekannter gemacht“, sagt der Aktivist,
der wie die meisten Einwohner Buenaventuras Afrokolumbianer ist. Und
außerhalb seines Viertels existieren weiterhin „Schlachthäuser“. Sein
freundlicher Blick, die sanften Gesichtszüge und seine klare politische
Haltung lassen kaum erahnen, welche Angst die Drohungen hervorrufen. Sehr
zurückhaltend spricht er über die Momente, in denen ihm zum Heulen zumute
ist. Darüber, dass er häufig Gott um Hilfe bittet und sich schuldig fühlt,
weil er seine Angehörigen gefährdet.
Seit langem schon leben Castillos vier Kinder nicht mehr in der Stadt. Vor
zwei Jahren wurde seine Lebensgefährtin getötet. Angeblich sei eine
verirrte Kugel während eines Schusswechsels zwischen Kriminellen dafür
verantwortlich gewesen. Aber er glaubt das nicht. „Die Paramilitärs
verfolgen meine Kinder, meine Brüder und Schwestern, meine ganze Familie.“
Castillo spricht nur von „Paramilitärs“, wenn von den Verbrechern die Rede
ist. Schließlich seien die kriminellen Banden direkt aus den rechten
Truppen hervorgegangen, die in vielen Teilen des Landes die Bevölkerung
terrorisieren. Wie viele ist Castillo davon überzeugt, dass hinter der
ausufernden Gewalt mehr steckt als der Revierkampf zweier Banden. Es gehe
um wirtschaftliche Interessen: um den Ausbau des Hafens, der mit allen
Mitteln durchgesetzt werden soll.
## „Hamburg Süd“ legt an
Mit einem lauten Hupen kündigt sich am Horizont einer der vielen Frachter
an, die täglich in die Bucht von Buenaventura einfahren. „Hamburg Süd“ ist
auf dem Bug zu lesen. Auf der Ladefläche stapeln sich Hunderte Container
wie übergroße bunte Schuhkartons. Die Schiffe bahnen sich ihren Weg
zwischen den winzig wirkenden Holzbooten, mit denen die Fischer aus den
Pfahlbauten aufs Meer fahren.
Zwei Drittel des kolumbianischen Frachtverkehrs werden mittlerweile in
Buenaventura abgewickelt. Durch den zunehmenden Handel mit asiatischen
Staaten und den Pazifik-Anrainern gewinnt die Stadt weiter an Bedeutung.
Speditionsfirmen vergrößern ihre Lager, auf jeder Freifläche stehen
Container. Mit Hochglanzbroschüren werben Gesellschaften wie TC Buen oder
die Sociedad Portuaria für ein „neues Buenaventura“.
Wie sich die Stadtplaner die Zukunft vorstellen, verdeutlicht eine
Wandtafel im Rathaus. Neue Hochhäuser, ein moderner Containerhafen, schicke
Hotelanlagen. Wo heute Pfahlbauten ins Meer ragen, soll eine gepflegte
Promenade entstehen.
## Der engagierte Bischof
Was aber soll mit jenen passieren, die dort leben? Diese Frage stellt sich
auch Bischof Epalza. Sein Amtssitz, derzeit eine Baustelle, liegt direkt an
der Hafenanlage. Von hier aus sieht der 74-Jährige die hohen Metallzäune,
den Stacheldraht und die Soldaten, die das Gelände schützen. Schon lange
setzt sich der Geistliche gegen die Gewalt in der Stadt ein, im Frühjahr
organisierte er eine Demonstration, an der sich Tausende beteiligten.
Mehrmals hat er auf die Schlachthäuser aufmerksam gemacht, aber die
Regierenden wollen davon nichts hören. Immer wieder kommen Menschen in
dieses Büro und berichten ihm verzweifelt von den Schreien der Opfer. Etwa
jene Frau, die verrückt wurde, weil man sie zwang, eines der Häuser vom
Blut zu reinigen.
Wie der Stadtteilaktivist Orlando Castillo vermutet auch Bischof Epalza,
dass zwischen dieser prosperierenden Anlage und dem Bandenterror ein
Zusammenhang besteht. „Da geht es um mehr als um Drogen“, sagt Epalza. „Im
Hintergrund agieren mächtige Personen.“ Politiker? Unternehmer? Epalza will
keine Namen nennen.
Sollen denn die Bewohner von Puente Nayera durch das brutale Vorgehen der
Banden vertrieben werden, um Platz zu machen für eine ungezügelte
Modernisierung? Der Bischof schließt das nicht aus. Schließlich hat dieses
Vorgehen in Kolumbien Tradition. In anderen Regionen vertrieben
Paramilitärs Kleinbauern im Auftrag von Unternehmern. Wenig später
siedelten sich Agrarindustrielle auf dem frei gewordenen Land an. Warum
sollte es in Buenaventura anders laufen? Seit 2011 hätten die Banden Druck
auf mehrere Viertel ausgeübt, damit die Bewohner ihre Häuser verlassen,
informiert auch eine Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte
der afrokolumbianischen Community einsetzt.
## Ausgerechnet TC Buen
Übernehmen die kriminellen Banden das dreckige Geschäft der Unternehmen und
Politiker? Gabriel Corrales weist solche Vorwürfe weit von sich. Er ist
Geschäftsführer der Spedition TC Buen. Wer ihn treffen will, muss sich
zunächst am Eingang von der Polizei kontrollieren lassen und dann lange
warten. Während draußen die tropische Sonne brennt, sorgt in den schlicht,
aber modern eingerichteten Büroräumen der Firma die Klimaanlage für kühle
Luft. „Durch unsere Expansion ist niemand geschädigt worden“, erklärt
Corrales. Auf dem Gelände rund um das Gebäude türmen sich unzählige
Container. Der Manager hat sich Zeit genommen und erläutert in aller
Ausführlichkeit, was sein Unternehmen für die Stadt Gutes tue. Mit lokalen
und ausländischen Investoren schaffe TC Buen Arbeitsplätze. „Niemand muss
fürchten, vertrieben zu werden“, behauptet er.
Orlando Castillo findet das nicht beruhigend. Bis heute sei nicht geklärt,
warum im April das Viertel Santa Fe abgebrannt sei. Vieles spreche dafür,
dass Paramilitärs die Häuser in Brand gesetzt hätten. Auf einem
angrenzenden Gelände lagert die Spedition Container, sie wolle sich schon
lange weiter ausbreiten. Bereits 1996 habe die Polizei den
TC-Buen-Vorsitzenden Òscar Isaza mit einem in Buenaventura ansässigen
Kartell in Verbindung gebracht, sagt Castillo. Dann muss er weiter.
Wie jeden Samstag treffen sich die Anwohner von Puente Nayera, um über
Sicherheitsmaßnahmen und anstehende Probleme zu sprechen. Heute soll es
darum gehen, ob die Gemeinde ein Grundstück erwirbt, um darauf ein
Kulturzentrum zu bauen. Auf der Schotterstraße stehen bereits die Stühle,
einige Frauen sitzen da und warten. Aber eines will Orlando Castillo noch
betonen: „Wir wehren uns nicht gegen die Entwicklung Buenaventuras, aber
wir müssen miteinbezogen werden.“
Auch Merci Caisero hofft, dass sich endlich etwas tut. „Wenn wir es
schaffen würden, dass alle Arbeit haben oder lernen können, wäre Schluss
mit der Angst und der Gewalt.“ Mit ihrem Bratwurststand kommt die
alleinstehende Mutter zweier Kinder gerade über die Runden. Sie hätte gar
nichts dagegen, wenn die Hafenpromenade gebaut wird. Vorausgesetzt, sie
kann hier bleiben. Dann würde die 36-Jährige ihre Würste einfach dort
verkaufen. Und vielleicht, so hofft sie, kann sie dann den Wunsch ihrer
Tochter erfüllen. Die Zwölfjährige will Ärztin werden.
12 Oct 2014
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
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