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# taz.de -- Sperre für Leichtathletin: Primitive Korrekturen
> Die indische Sprinterin Dutee Chand hat zu viel Testosteron im Blut. Sie
> darf erst starten, wenn sie sich einer Hormonbehandlung unterzogen hat.
Bild: Ihr WM-Sieg 2009 stieß die Debatte über Intersexualität an: 800 m-Läu…
Dutee Chand ist nicht allein. Die indische Läuferin, deren
100-Meter-Bestzeit bei 11,62 Sekunden liegt, hat viele Unterstützer. Es
gibt [1][eine Petition auf change.org], die inzwischen fast 5.000 Leute
unterzeichnet haben, ferner eine Extraseite im Netz, die Aktivisten für die
18-Jährige eingerichtet haben. „Let Dutee run“ heißt sie. Eine
Sympathisantin schreibt: „Gender-Tests kriminalisieren starke,
kraftstrotzende Frauen.“
Die Politik des Internationalen Olympischen Komitees, findet eine andere
wiederum, sei sexistisch, rassistisch und verletze Frauenrechte. „Sport ist
für alle Frauen da“, meint eine weitere Fürsprecherin in der Causa Chand,
„egal, wie ihre genetische Ausstattung ist oder ihr Selbstverständnis als
Frau.“
Chand hat Zuspruch jeder Art nötig, denn die junge Athletin darf zurzeit an
keinem Wettkampf teilnehmen. Die Commonwealth Games fanden ohne sie statt
und die Asienspiele in Südkorea auch. Der internationale
Leichtathletikverband IAAF hat sie gesperrt, weil ihr Körper zu viel
männliches Sexualhormon, Testosteron, produziert.
## Präzedenzfall Caster Semenya
Hyperandrogynie ist der klinische Begriff dafür. Vor drei Jahren hat der
Verband sein Regelwerk überarbeitet – nach dem kontrovers diskutierten Fall
Caster Semenya, der südafrikanischen 800-Meter-Läuferin, die 2009 mit sehr
großem Vorsprung Gold bei der Leichtathletik-WM in Berlin gewann.
Seitdem werden Fälle von weiblichen Leistungssportlern, die sogenannte
Störungen in der sexuellen Entwicklung zeigen, nach einem einfachen Prinzip
gehandhabt: Wer zu viel Testosteron im Blut hat, darf nicht starten. Man
schaut nicht mehr ins Höschen, wie früher bei den sogenannten Sextests, mit
denen man in den 60er Jahren anfing.
Man ist auch abgekommen von den biochemischen Verfahren, dem Barr-Body-Test
oder der PCR-Analyse zur Ermittlung des chromosomalen Status; eine Fahndung
nach dem Y-Teilchen findet nicht mehr statt – auch weil die Methoden in der
vielgestaltigen Welt der Intersexualität oft zu falschen Ergebnissen
führten. Ob eine maskulin wirkende Frau bei den Frauen starten darf,
entscheidet jetzt nur ein einziger hormoneller Wert: das Testosteron. Es
ist eine Bastapolitik, die IAAF und IOC da verfolgen, um einen „fairen
Wettbewerb“ zu gewährleisten.
## 140-mal häufiger als in der Normalbevölkerung
Erlaubt sind Werte bis zu 10 Nanomol pro Liter. Frauen produzieren
gemeinhin zwischen 0,2 und 3 Nanomol pro Liter an Testosteron, Männer
zwischen 10 und 35. Wird also der Männerwert erreicht, erfolgt der
Ausschluss. Nur 0,1 Prozent der Frauen kommen allerdings überhaupt auf
einen Wert von 3 und noch viel weniger auf einen von 10. Normalerweise.
Im Leistungssport sind diese statistischen Werte jedoch verzerrt. Nach
einer Studie, die Mitte August in einem Fachmagazin erschien und in der 849
Leichtathletinnen, Teilnehmerinnen an der Weltmeisterschaft 2011 im
südkoreanischen Deagu, unter anderem auf ihren Testosteronwert hin
untersucht wurden, gab es fünf Fälle von Hyperandrogynie – das ist 140-mal
häufiger als in der Normalbevölkerung.
Dutee Chand kennt sich erst seit ein paar Wochen mit diesem ganzen
medizinischen Kram aus. Erst war sie verwundert, als sie nach den
Asienspielen der Junioren von einem Ärzteteam besucht wurde, dann
deprimiert. Man zapfte ihr Blut ab und begutachtete sie.
## Chand verweigert körperliche Eingriffe
Die IAAF macht das nicht selbst. Sie lässt Experten ran, Mediziner,
Endokrinologen, also Spezialisten auf dem Gebiet der Hormone. Sie lieferten
die niederschmetternde Diagnose. Chand hätte sich im Anschluss behandeln
lassen können, nicht von diesem Expertengremium, sondern von einem Arzt
ihrer Wahl.
Der hätte ihr Mittel geben können, die den Testosteronspiegel absenken. Er
hätte ihr auch, sofern Dutee Chand beiderlei Geschlechtsmerkmale trägt,
empfehlen können, eine Gonadektomie durchzuführen, eine Entfernung der
Hoden. Aber wie dem auch sei, die Inderin wollte keine Form der
Intervention mit dem Rezeptblock oder Skalpell.
„Ich fühle instinktiv, dass es falsch ist, seinen Körper für einen
Sportwettkampf zu verändern, nein, das werde ich bestimmt nicht tun“, sagte
sie der New York Times in einem Interview, „das wäre ja wie in manchen
Gesellschaften, wo sie dem Dieb die Hand abhacken. Hier haben wir es mit
einem ähnlich primitiven, unethischen Gesetz zu tun.“
## Testosteron-Regel soll fallen
Sie ist wild entschlossen, sich zu wehren, weswegen sie vor den
Sportgerichtshof Cas in Lausanne gezogen ist. Die Testosteron-Regel soll
fallen, aus mehreren Gründen: Es gebe zum Beispiel keinen Beweis, führen
sie und ihre Unterstützer an, dass Testosteron im weiblichen Körper
leistungssteigernd wirke. Es gebe auch nur wenige Studien auf diesem Gebiet
– was die Dopingopfer der DDR, denen massiv männliche Hormone zur
Leistungssteigerung zugeführt wurden, wohl kaum glauben können.
Außerdem, argumentiert Chand, werde das Prinzip der Fairness verletzt. Sie
sei eine Frau, und als Frau könne sie nicht an einem Frauenwettkampf
teilnehmen, weil die IAAF und das IOC einen fragwürdigen Standard
formuliert haben. Und: Sehr viele Sportler profitierten von einem
genetischen Vorteil; es gibt allein etwa 200 Genvarianten, die
leistungssteigernd wirken.
Chand, die Jura studieren will, hat schnell Mitstreiter gefunden, allen
voran ihre indische Leidensgenossin Santhi Soundarajan, die, genetisch ein
Mann, 2006 vom Leichtathletikverband gesperrt wurde, oder die indische
Frauenrechtlerin und Sportsoziologin Payoshni Mitra. „Ärzte denken beim
Thema Intersexualität immer nur an Medizin, aber es ist ein soziales
Phänomen“, sagt sie. „Wenn die IAAF und das IOC der Meinung sind,
Athletinnen mit Hyperandrogynie sollten Hormone dagegen nehmen, warum
empfehlen sie dann nicht Usain Bolt, seine überlangen Beine ein Stück
kürzer zu machen, damit er keinen unfairen Vorteil mehr hat.“ Dutee Chand
sieht das mittlerweile genauso.
10 Oct 2014
## LINKS
[1] http://www.change.org/p/let-dutee-run-don-t-ban-women-athletes-for-high-nat…
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Intersexualität
IOC
Leichtathletik
Indien
Intersexualität
Intersexualität
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