| # taz.de -- Ende einer unseligen Genderdiskussion: Semenya darf wieder rennen | |
| > Die südafrikanische Athletin, seit der Berliner Leichtathletik-WM unter | |
| > Verdacht des Gender-Betruges gesperrt, ist rehabilitiert. Die Affäre hat | |
| > viel Schaden angerichtet. | |
| KAPSTADT taz | Die 19-jährige südafrikanische Athletin Caster Semenya darf | |
| nach einem fast einjährigen, unwürdigen und unqualifizierten | |
| Diskussionsdrama über ihr Geschlecht wieder an Wettbewerben teilnehmen - | |
| und zwar als Frau, gegen Frauen. Der internationale Leichtathletik-Verband | |
| IAAF gab am späten Dienstag grünes Licht für die Wiederzulassung der | |
| Spitzensportlerin, nach elf Monaten Sperrung wegen Überprüfung ihrer | |
| Geschlechtszugehörigkeit. Die Ergebnisse der Prüfung bleiben vertraulich. | |
| Aufgewachsen mit ihrer Großmutter in der Provinz Limpopo, in einem Haus | |
| ohne fließend Wasser und Elektrizität, ahnte Semenya wohl nicht, worauf sie | |
| sich einließ, als sie vor elf Monaten auf Anraten von Leonard Chuene, den | |
| mittlerweile suspendierten Chef von ASA (Athletics South Africa), an der | |
| Leichtathletik-WM in Berlin teilnahm. | |
| Die damals 18-jährige steigerte ihr Tempo auf unerklärliche Weise. Ihre | |
| tiefe Stimme, großen Muskeln, leichter Bartwuchs und flacher Busen fielen | |
| dem internationalen Leichtathletik-Verband IAAF auf, und man schickte sie | |
| zu Tests, um zu klären, ob sie wirklich eine Frau ist oder nicht. Semenya | |
| trat trotzdem an - und holte Gold im 800-Meter-Lauf, während die ungeklärte | |
| Geschlechtsfrage wie ein Schwert über ihrem Kopf hing. Danach durfte sie | |
| vorerst nicht mehr an internationalen Wettbewerben teilnehmen. | |
| Chuene behielt die ganze Kontroverse zunächst einmal für sich, verneinte | |
| sie anschließend und stempelte sie am Ende, als beides nicht mehr | |
| funktionierte, als "Verschwörung" ab. Statt Fehler in der Handhabung des | |
| Falles einzuräumen, zeigte sich der ASA völlig erbost. Dabei hätte man der | |
| Athletin einiges erspart, wäre die Geschlechtsfrage vor ihrem Antritt zur | |
| WM geklärt worden und hätte nicht die ganze Welt bei der Auflösung dieser | |
| äußerst privaten Frage zugeschaut. | |
| Noch erboster als der ASA zeigte sich allerdings die südafrikanische | |
| Regierungspartei ANC inklusive seiner Jugendliga. Beide mischten sich | |
| wortlaut in dieses höchst heikle Thema der Sexualität ein. Man hielt es in | |
| südafrikanischen Regierungskreisen für plausibler, dass sich Europa | |
| "verschworen" habe, um erfolgreiche afrikanische Athleten niederzumachen, | |
| als dass Caster Semenya vielleicht tatsächlich eine Intersexuelle sein | |
| könnte - also eine Person mit biologisch nicht eindeutiger | |
| Geschlechtszugehörigkeit. | |
| Das Bemühen, angeblichen Rassismus aufzudecken, kaschierte eine dumpfe | |
| Gender-Ignoranz. Julius Malema, der populistische ANC-Jugendligaführer, | |
| ereiferte sich immer wieder: "Geschlecht was? Geschlecht was? Hermaphrodit, | |
| so ein Ding gibt es in unserer Kultur nicht." | |
| Die ganze unselige Diskussion um Caster Semenya zeigt die Schwierigkeiten | |
| vieler Südafrikaner in dem Umgang mit Gender und Sexualität. | |
| Südafrikanische Städte, allen voran Kapstadt, gelten als äußerst tolerant, | |
| und tatsächlich hat Südafrika auch eine der liberalsten Verfassungen der | |
| Welt. Doch draußen in den Townships und in den ländlichen Gebieten, wo die | |
| meisten Südafrikaner leben und von wo auch Caster Semenya herkommt, | |
| herrschen ganz andere Einstellungen. | |
| Attacken auf tatsächliche oder vermeintliche Schwule, auch | |
| "Korrekturvergewaltigungen" lesbischer Frauen durch Machomänner, die ihnen | |
| ihre Homosexualität "austreiben" wollen, sind keine Seltenheit. Diese in | |
| Südafrika und viel mehr noch in anderen afrikanischen Ländern verbreitete | |
| Verweigerungshaltung gegenüber allem "Andersartigen" sah man auch deutlich | |
| im Umgang mit Caster Semenya. | |
| Nun ist Semenya wohl tatsächlich eine Frau, dies ist amtlich bestätigt, und | |
| sie darf als Sportlerin arbeiten. Wären die von der IAAF veranlassten Tests | |
| anders ausgefallen, wäre sie wahrscheinlich nicht zu beneiden gewesen. | |
| Caster Semenyas Anwalt Greg Nott hofft: "Hoffentlich dient Caster Semenyas | |
| Fall als Präzedenzfall, so dass anderen Athletinnen dieses öffentliche | |
| Debakel erspart bleibt." | |
| 7 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Elena Beis | |
| ## TAGS | |
| Intersexualität | |
| Intersexualität | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Intersexuelle bei Olympia: Angst vor dem dritten Geschlecht | |
| Die Läuferinnen Caster Semenya und Dutee Chand werden in Rio starten. Aber | |
| die Anfeindungen sind so stark wie nie zuvor. | |
| Sperre für Leichtathletin: Primitive Korrekturen | |
| Die indische Sprinterin Dutee Chand hat zu viel Testosteron im Blut. Sie | |
| darf erst starten, wenn sie sich einer Hormonbehandlung unterzogen hat. | |
| Intersexuelle: Weder männlich noch weiblich | |
| Bei der Geburt muss schnell entschieden werden, welches Geschlecht das Kind | |
| hat. Nicht immer ist das möglich. Für Betroffene hat dies oft katastrophale | |
| Folgen. | |
| Schicksal einer Intersexuellen: Jede Bluse eine Mondlandung | |
| Christiane Völling wurde mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren. | |
| Ärzte erklärten sie zum Jungen. Nach über 45 Jahren erkämpft sie sich ihre | |
| Identität zurück. | |
| Olympia 2012 mit Geschlechtertests: Wettbewerbe der Weiblichkeit | |
| Um einen zweiten Fall Semenya zu verhindern, soll es bei Olympia 2012 | |
| Geschlechtertests geben – anonym. Athletinnen mit erhöhten Androgenwerten | |
| drohen Sperren. | |
| Der Fall Caster Semenya: Sport ist nicht gerecht | |
| Caster Semenya kehrt ins Berliner Olympiastadion zurück. Dort begann ihre | |
| Leidensgeschichte: Sie gewann den WM-Titel – und ihr Geschlecht wurde in | |
| Zweifel gezogen. | |
| Debatte Gender: Der Kampf mit der Biologie | |
| Darf Caster Semenya als Frau laufen? Der Sportverband sagt Ja und bekennt | |
| sich damit zum Geschlecht als sozialer Konstruktion. |