| # taz.de -- Debatte Gender: Der Kampf mit der Biologie | |
| > Darf Caster Semenya als Frau laufen? Der Sportverband sagt Ja und bekennt | |
| > sich damit zum Geschlecht als sozialer Konstruktion. | |
| Bild: War elf Monate gesperrt, weil Sportverbände an ihrer Geschlechtszugehör… | |
| Elf Monate lang kreißte der Internationale Leichtathletikverband (IAAF), | |
| dann brachte er einen dürren Satz hervor: Caster Semenya darf wieder | |
| starten. Die südafrikanische Läuferin und Weltmeisterin über 800 Meter, | |
| deren zweifelhafte Weiblichkeit im letzten Jahr für einige Aufregung | |
| gesorgt hatten, musste ungewöhnlich lange auf die Ergebnisse der | |
| angeordneten Geschlechtstests warten. Letzte Woche dann nahm sie in | |
| Finnland an ersten Wettkämpfen nach der Zwangspause teil, gewann die Läufe | |
| locker, blieb aber weit hinter ihrer sensationellen Leistung von 2009 | |
| zurück. Kein Wunder nach zähen Monaten der Unsicherheit, des Zweifels und | |
| der Einschüchterung. | |
| Vom Sport lernen | |
| Gut ist, dass Semenya wieder laufen darf, und gut ist, dass sie als Frau | |
| laufen darf. Unfreiwillig gut ist aber auch die sibyllinische | |
| Presseerklärung des IAAF, die das Wort "Frau" nicht enthält, sondern | |
| lediglich betont, dass die Ergebnisse des medizinischen Gutachtens | |
| vertraulich behandelt und nicht weiter kommentiert werden. Was zur | |
| Entscheidung geführt hat, bleibt im Dunkeln, und nichts Besseres könnte | |
| passieren: Das Urteil zeigt in seinem trockenen Gestus besser als jede | |
| theoretische Abhandlung, dass Geschlecht unter anderem ein "performativer | |
| Sprechakt" ist, das heißt ein Satz, der Tatsachen schafft. Das IAAF lässt | |
| Semenya zu, also gilt sie als Frau. | |
| An der Diskussion über "das dritte Geschlecht", die der Fall Semenya im | |
| letzten Herbst auslöste, war interessant, dass sie für die linken Medien | |
| offenbar nicht besonders interessant war. Während die sogenannte | |
| bürgerliche Presse eingehend und mitfühlend berichtete und an Semenya alle | |
| möglichen Hintergrundartikel zu Hermaphroditismus aufhängte, war die Sache | |
| links des Common Sense relativ schnell und sachlich abgehandelt. Aufklärung | |
| über alle Formen von Inter- Trans- oder Crosssexualität hat hier schon vor | |
| Jahren längst stattgefunden, diesbezüglich war nichts Neues zu berichten. | |
| Auch eine Empörung über die Zwangsverzweigeschlechtlichung durch das | |
| Sportsystem blieb aus, weil ja mittlerweile auch die Verbände und die | |
| liberalisierte Öffentlichkeit wissen, dass die Sache mit den Geschlechtern | |
| so einfach nicht ist. | |
| Kein spannender Diskussionsbedarf im Fall Semenya also? Was gibt es noch zu | |
| tun, wenn das Bewusstsein über Gender Trouble im Mainstream zwischen FAZ | |
| und Welt angekommen ist, wo wäre nun die weiterführende Perspektive? | |
| Einerseits läge sie sicher darin, genauer zu durchdenken, warum eine | |
| Einführung weiterer Geschlechtskategorien - denn das ist es, was als | |
| ordentliche "Lösung" naheliegt - das Problem nur verschiebt. | |
| Geschlechtskategorien, egal wie viele man hat, führen immer in | |
| Widersprüche. | |
| Der Ärger mit den Hormonen | |
| Für die interne Genderdiskussion allerdings wäre die progressive Frage eine | |
| konservative, nämlich: Was ist nun mit den Testosteronwerten von Semenya, | |
| haben die eine Wirkung? Diese Frage ganz naiv zu stellen ist innerhalb der | |
| linken Genderkritik nicht opportun, weil ihre Logik gerade auf dem | |
| Ausschluss solcher unmittelbaren Bezugnahme auf Biologisches beruht. Sex, | |
| also das biologische Geschlecht, ist immer schon Gender, also sozial | |
| vermittelt, das ist die unhintergehbare Weisheit. Beim Thema Geschlecht und | |
| Sport geht die Rechnung allerdings nicht ganz auf, weil hier der Körper in | |
| anderer Weise eine Rolle spielt. Die Unterscheidung männlich/weiblich gilt | |
| im Sport ganz pragmatisch auch als Leistungsklasse, was für einige | |
| Disziplinen durchaus sinnvoll ist. So schmerzhaft es sein mag, Männer sind | |
| im Durchschnitt für Kraftsportarten besser ausgestattet und können bei | |
| Training zu höheren Leistungen gebracht werden. Die Geschlechterklassen | |
| aufzuheben würde Frauen unter sehr ungleiche Wettbewerbsbedingungen stellen | |
| und allenfalls in der Weise einen gerechten Sinn haben, dass man Frauen | |
| zwar mit Männern, nicht aber Männer mit Frauen konkurrieren lässt. | |
| Das Problem der Gender Studies | |
| Der Fall Semenya konfrontiert beide - das Sportsystem wie die Gendertheorie | |
| - mit ihren jeweiligen internen Widersprüchen. Der Leistungssport stößt | |
| einmal mehr an die Grenzen seiner paradoxen Forderung nach naturgegebener | |
| Hyperpotenz. Er giert nach dem begnadeten Körper, wie Semenya ihn besitzt, | |
| und muss ihn gleichzeitig kontrollieren und gegebenenfalls ausschließen. | |
| Die Genderkritik dagegen stößt beim Thema Intersex im Sport an die Grenzen | |
| ihrer selbst gestellten Beschränkungen. Die Frage nach dem biologischen | |
| Geschlecht ist nämlich falsch und berechtigt zugleich. Diesen Spagat muss | |
| man aushalten können. Selbstverständlich ist die Unterscheidung in zwei | |
| "natürliche" Geschlechter ideologisch. Aber es wäre genauso ideologisch, | |
| die körperliche Differenz als Konstrukt zu marginalisieren. | |
| "The body matters" (Der Körper zählt) - die Genderkritik würde das nicht | |
| leugnen. Mittlerweile nimmt der Begriff "Körper" in dem gesamten | |
| Theoriegebäude eine nahezu penetrant zentrale Stelle ein, gleichzeitig wird | |
| strikt nicht physiologisch über ihn gesprochen. | |
| Der Körper gilt den WissenschaftlerInnen stets als Produkt von Biomächten, | |
| gesellschaftlichen Einschreibungen und medizinisch-sozialen Praxen. Diese | |
| Perspektive ist berechtigt, und doch liegt hier ein Problem. Der | |
| Genderdiskurs ist vorhersehbar und unbefriedigend, weil er um die eine | |
| ausgeschlossene Gretchenfrage Biologie wie um den heißen Brei herumtänzelt. | |
| "Die Konstruktion von Geschlecht in der medialen Inszenierung von Sport", | |
| so heißen die Arbeiten zum Thema. Ja, das wissen wir jetzt. Und welche | |
| Rolle spielen Hormone dabei? | |
| Es geht nicht darum, hinter die These von der sozialen Konstruktion des | |
| Geschlechts zurückzufallen, sondern auf ihrer Basis weiterzudenken und sich | |
| jenseits der eingeschliffenen Denkmuster noch einmal mit der Bedeutung von | |
| physiologischen Bedingungen für Geschlechtlichkeit zu beschäftigen. | |
| Eigentümlicherweise wächst gerade im Herzen der queeren Bewegung derzeit | |
| eine Vorliebe für die Evidenz physiologischer Manipulation: In wachsender | |
| Zahl zeigen Transpeople beeindruckend, wie viel man mit Hormonen anstellen | |
| kann. Die Biologie hat die Gender bender längst eingeholt. | |
| 22 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Andrea Rödig | |
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