| # taz.de -- Die Wahrheit: Die Scheinfinnin | |
| > Die Finnenwoche der Wahrheit: Über die Entlarvung einer pseudo-finnischen | |
| > Putzkraft. | |
| Jeden Donnerstagvormittag bekommt meine Mutter Besuch von einer finnischen | |
| Hilfskraft, die für sie einkauft, putzt und die wöchentliche | |
| 156-Tabletten-Ration in sieben Tagesschubladen eines kleinen | |
| Pillendosenturms ordnet. Die Hilfskraft nennt sich Juttaa, und in letzter | |
| Zeit mehren sich die Anzeichen, dass es sich bei ihr um einen besonders | |
| unverschämten Fall von Scheinfinnentum handelt. | |
| Ich bin nicht mehr so sicher, ob Juttaa wirklich so finnisch ist, wie sie | |
| tut: Sie trinkt nicht, sie schweigt nicht, sie benutzt kein Handy, sie mag | |
| keine Kinder. Beim Spontantest zum Thema Lappland ist sie zudem komplett | |
| durchgefallen: Sie war nicht in der Lage, das samische Originalzelt, das | |
| ich ihr mitgebracht hatte, innerhalb der vorgeschriebenen Zeit aufzubauen. | |
| Danach weigerte sie sich mit dem Hinweis auf angebliche Kehlkopfschmerzen, | |
| für mich einen Joik-Gesang aufzuführen. Sie berief sich auf den | |
| Minderheitenstatus der Lappen, aber als ich ihre Handtasche durchsuchte, | |
| fand ich darin ihren Personalausweis, an dem das zweite „a“ in ihrem | |
| Vornamen eindeutig mit Kuli angefügt worden war. | |
| Doch ich kann das sogar verstehen. Nachdem deutschlandmüde Menschen | |
| jahrzehntelang erfolglos versucht haben, in Trommelgruppen Sambarhythmen | |
| hinzukriegen und dabei nur immer wieder auf der „1“ und der „3“ gelandet | |
| sind, ist es vielleicht an der Zeit, sich eine Nationalität auszusuchen, | |
| die besser passt, und deren Eigenheiten noch nicht so bekannt sind. Ich | |
| schlug Juttaa also vor, über ihr Scheinfinnentum Stillschweigen zu | |
| bewahren, und stattdessen ein bisschen an ihrer Überzeugungskraft zu | |
| arbeiten. | |
| Vor allem übten wir Saunieren. In Finnland ist die Sauna Küche, Wohnzimmer | |
| und Bad in einem, man unterhält sich, simst, schläft, flirtet und gebiert | |
| seine Kinder im Dampf. Wenn jemand eine Sauna betritt, ohne einen frischen | |
| Aufguss zu machen, gilt das als schwerwiegender Fauxpas – der Hausherrin in | |
| den Schoß zu göbeln, würde weniger Augenbrauen heben. Die Aufgusskelle gilt | |
| beim Saunieren als „Talking Stick“ – wer sie hat, muss etwas (Kurzes) | |
| sagen, der Finne und die Finnin nennen das „sillä puheet kenellä kuuppa“: | |
| Wer die Kelle hat, hat das Wort. | |
| Juttaa und ich trainierten zwei Wochen lang in Dampfsaunen, bis wir ohne | |
| mit der Wimper zu zucken Temperaturen um 150 Grad aushielten, und dabei | |
| noch stumm auf unsere Handys schauen und Wodka trinken konnten. Juttaa | |
| paukte lappische Traditionen, berühmte Samen, Mittsommernachtsspiele und | |
| Wodkamarken. | |
| Sie wurde immer schweigsamer und finnischer. Selbst meine Mutter fand es | |
| irgendwann unheimlich, und sie bat mich, ihr doch jemanden zu suchen, der | |
| ein klein wenig mehr Leben in die Bude brächte, wenn er die Pillen | |
| verteilte. Ich rief beim Roten Kreuz an, und man vermittelte uns eine | |
| Französin namens Stéffi. | |
| Stéffi schminkt sich nicht, trinkt keinen Rotwein und trägt flache Schuhe. | |
| Aber ich entwickle gerade einen extracharmanten Trainingsplan für sie, | |
| heute haben wir die erste Eyeliner-Stunde. In zwei Wochen mache ich aus ihr | |
| die neue Carla Bruni. | |
| 10 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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