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# taz.de -- EM-Qualifikation Gibraltar: Mehr Zuschauer als Einwohner
> Gibraltar darf erstmals bei der EM-Qualifikation mitkicken. Nun wollen
> die Aufsässigen vom Affenfelsen die Fifa in die Knie zwingen.
Bild: Gibraltar-Fans beim Qualifikationsspiel gegen Polen im September
GIBRALTAR taz | Flugplatz vor Ihnen, Sie überschreiten jetzt eine
operierende Startbahn, bleiben Sie innerhalb der weißen Linien und gehen
Sie schnell“ – dieses Schild empfängt den Besucher gleich nach der
Passkontrolle. Es ist das kuriose Entrée zu einem kuriosen Zipfel Europas,
sechseinhalb Quadratkilometer England an der Küste zu Afrika.
Gibraltar, das ist Spanisch mit britischem Akzent (oder umgekehrt), das
sind mediterrane Soldaten mit Union Jack am Ärmel, englische Geschäfte und
viktorianische Häuschen, das sind Weingummi und Wachen im Stechschritt, das
ist die überschminkte Bedienung am Jachthafen, die Fish and Chips serviert
und nachmittags um zwei in bestem Manchester-Dialekt ankündigt: „Goin’ out
tonight. Gonna get drunk.“ Aber das kommt alles erst später. Nach dem
Rollfeld kommt erst mal: das Stadion.
Was ja passt, denn der Fußball ist neuerdings die wichtigste Visitenkarte
der knapp 30.000 Anwohner von „The Rock“, dem berühmten Affenfelsen. Nach
langem Rechtsstreit darf Gibraltar erstmals offiziell an der
EM-Qualifikation teilnehmen. Das Debüt ging 0:7 gegen Polen verloren, eine
Enttäuschung, denn in Freundschaftsspielen hatte man zuvor der Slowakei ein
0:0 abgerungen, in Estland gepunktet und Malta besiegt.
Heute steigt in Dublin gegen Irland das zweite Qualifikationsmatch, am
Dienstag geht es gegen Georgien und im November nach Deutschland: Das
kleinste Team, das je an einem europäischen Wettbewerb teilnahm, beim
Weltmeister – mehr war nicht zu erträumen, als sie voriges Jahr die
Aufnahme in die Uefa mit einer großen Straßenparade feierten.
## Ganz Gibraltar ein Sportplatz
Am Victoria Stadium tragen viele Kinder das rote Nationaltrikot. Sie wuseln
über das kleine Nebenfeld, während der Hauptplatz gerade von der
Mädchenschule zur Leichtathletik genutzt wird. Vor dem Eingang lungern
Spieler in grünen Trainingsjacken des College Europa FC, eines der acht
Erstligavereine, hören Musik, die letzten überqueren noch die Grenze.
Sie warten auf ihre Trainingsstunde, außerdem stehen noch Spiele der
Reserveliga an. Auf einer Rampe nebenan klappern Skateboards, hin und
wieder startet ein Düsenjet. Dazu Grüße, Umarmungen auf Englisch und
Spanisch. Man kennt sich, logischerweise. Es wirkt, als wäre ganz Gibraltar
ein Sportplatz. Was damit zu tun haben könnte, dass es nur diesen einen
Sportplatz gibt.
Fläche ist Gibraltars größtes Problem. Obwohl rund die Hälfte von dem
Felsen, seiner Steilküste und seinem Naturschutzgebiet absorbiert wird, ist
es eines der am dichtesten besiedelten Territorien der Welt. Auf die rund
29.000 Einwohner sind fast ebenso viele Autos zugelassen. Zum Hafen hin
entstanden Neubauviertel mit regelrechten Wolkenkratzern, selbst die alten
Militärbastionen sind mit Wohnungen überbaut.
Nur Fußballstadien kann man halt nicht in die Höhe errichten. Am südlichen
Ende der Halbinsel will sich der Verband den Platz daher notfalls von Meer
und Fels erkämpfen, um eine Arena zu bekommen, die den vorgeschriebenen
Standards genügt. Bisher trägt er seine Heimspiele in Portugal aus. Vier
Stunden entfernt.
## „Sie werden uns für Engländer halten“
Wenigstens im Vergleich dazu ist die halbe Stunde nach Castellar ein
Klacks. In dem verschlafenen andalusischen Dorf trainiert an diesem Abend
der Lincoln Red Imps FC. Vor der Sportanlage steht sein Mannschaftsbus –
wenn man so will: Auf die Seiten sind Affen lackiert, und normalerweise
karrt er Touristen den Felsen hoch. Hinter ein paar Tennisplätzen und
Padel-Käfigen trainiert auf dem letzten Platz der Meister Gibraltars und
Teilnehmer an der Champions-League-Qualifikation.
Jeden Abend woanders, erklärt Ryan Casciaro, die Slots unter dem
Affenfelsen sind ja begrenzt. Casciaro gehört zu denjenigen, die nun in
Dublin in eine neue Welt gebeamt werden. An der Lansdowne Road erwartet man
mehr Zuschauer, als Gibraltar Einwohner hat. „So etwas haben wir alle noch
nicht erlebt. Und wahrscheinlich werden sie uns auch noch für Engländer
halten, was es nicht einfacher macht.“
Dabei sieht er durchaus südländisch aus und bietet auch Spanisch als
Gesprächsoption an beziehungsweise „Spanglish“ – die gibraltarische
Umgangssprache: „Vamos, alright?“ Was fühlt man, wenn man gegen Stars
spielt, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt? „Stolz, auch ein
bisschen Angst. Bei Lewandowski zum Beispiel: Du sagst dir, wir stehen
jetzt auf einem Fußballplatz, vergiss einfach, dass er für Dortmund oder
für Bayern München oder wen auch immer spielt.
Aber wenn du ihn dann siehst, beeindruckt es dich schon.“ Lewandowski
erzielte vier der sieben polnischen Tore, daran konnte ihn Abräumer Ryan
Casciaro nicht hindern. So wie den Angreifern Lee Casciaro und Kyle
Casciaro leider auch kein Treffer gelang.
## Lohn: Ersatz für den Verdienstausfall
Ryan ist mit 30 Jahren der mittlere der drei Brüder. Früher mussten sie
sich ein Zimmer teilen. Das Steuerparadies Gibraltar ist einer der
reichsten Flecken der Welt, aber gerade das macht das Leben für die
einfache Bevölkerung ziemlich teuer. Die Fußballer bekommen jetzt durch die
Gelder aus der Uefa-Mitgliedschaft vielleicht mal einen Bonus in die
Tasche. „Ein paar Pfund wären schon Luxus“, sagt Casciaro.
Bislang bekommt er von seinem Klub maximal Ersatz für den Verdienstausfall,
wenn er einen Dienst sausen lassen musste. Casciaro ist Polizist. „Schicht
von acht bis fünf, schnell nach Hause, die Tasche packen, um 20 nach 5
wartete der Bus auf der anderen Seite der Grenze. Dann hierher, trainieren,
und um neun frühestens wieder zu Hause.“
Der Bus wartete deshalb schon in Spanien, weil es für Autos mit dem
Grenzübergang immer etwas länger dauert. Das liegt weniger daran, dass
manchmal ein Flugzeug vorbeigelassen werden muss, als an den üblichen
Schikanen. Zwischenmenschlich ist das Verhältnis zwischen Spanien und
Gibraltar unproblematisch, politisch keineswegs.
Erst Spaniens EU-Beitritt öffnete in den 1980er Jahren die einst von
Diktator Franco geschlossene Grenze. Doch nach wie vor reklamiert Madrid
die 1704 von den Briten eroberte Kronkolonie für sich. Und das prägt auch
den Fußball. Dennis Beiso gibt sich alle Mühe, Schuldzuweisungen zu
vermeiden, aber man kann sich schon vorstellen, dass er, im ewigen Streit
mit Spanien und den internationalen Fußball-Behörden, manchmal am liebsten
einen Affen treten würde. Beiso sitzt in seinem Büro im Victoria-Stadion.
## Es gibt Frauen- und Futsalteams
Seit vorigem Jahr ist er der erste hauptberufliche Geschäftsführer der GFA,
der Gibraltar Football Association. Sie wurde 1895 gegründet, einer der
ältesten Verbände der Welt. „Wir sind eine Fußballnation“, sagt Beiso.
3.000 Personen seien bei der GFA registriert, es gibt Frauen- und
Futsalteams. „Aber wir laufen gegen eine Mauer, immer und immer wieder“.
Von der Uefa wurde Gibraltar erst aufgenommen, als die Urteile des
Internationalen Sportgerichtshofs CAS keine andere Wahl mehr ließen. Nun
meldete sich Fifa-Chef Joseph Blatter zu Wort: Gibraltar könne nicht der
Fifa beitreten, weil es keine von der UN anerkannte Nation sei.
Da das bei anderen Verbänden, darunter denen von britischen Kolonien wie
Grenada oder den Cayman Islands, allerdings nie ein Problem war, ist es
nicht schwer, die starke spanische Lobby hinter der Absage zu vermuten.
Gibraltar wird jetzt wieder vor den CAS gehen. „Die Position der Fifa ist
unhaltbar, denke ich“, sagt Beiso. „Ein Jammer, dass es wieder die Gerichte
erledigen müssen.“
Sollte es sich hinziehen, wird man die nächste WM-Qualifikation verpassen.
Nachgeben wird man nicht, das gab es hier noch nie. Über ein Dutzend Mal
ist Gibraltar in seiner Geschichte belagert worden. Höhlen, Tunnels,
Baracken und zahllose Denkmäler erzählen von der militärischen Identität
des einst so wichtigen Felspostens.
## Ein paar hundert Amateure
Auf Beisos Stuhl hat sich jetzt Allen Bula gesetzt, der Nationaltrainer.
Ein kerniger Typ mit verwaschenem Tiger-Tattoo („Ich war sehr jung und sehr
betrunken“), der früher in England und der Slowakei arbeitete. „Wenn Sie
sich Länder wie San Marino anschauen – dort will man wohl einfach nur
möglichst niedrig verlieren. Gibraltar ist anders.“ Wie anders? „Sehr
leidenschaftlich“, sagt Bula.
Er hat nicht mal feste Mitarbeiter und nur ein paar hundert Amateure
inklusive ein paar Profis aus unteren englischen Ligen mit Vorfahren vom
Felsen. Aber Allen Bula sagt: „Wir brauchen jetzt Punkte. Es geht um
Frankreich.“ Dort findet die EM-Endrunde statt.
11 Oct 2014
## AUTOREN
Florian Haupt
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