| # taz.de -- Frau Dr. Sommer aus der „Bravo“: „Das war mein Traumjob“ | |
| > Wegen sinkender Auflage hat „Bravo“ der Leiterin des Sex-Ressorts, Jutta | |
| > Stiehler, gekündigt. Ein Gespräch über Kondome, Squirting und Beratung. | |
| Bild: Werde ich vom Knutschen schwanger? | |
| taz: Frau Stiehler, Bravo kämpft ums Überleben. Haben Sie Mitleid? | |
| Jutta Stiehler: Ja, großes! Und jetzt soll sie sogar nur noch 14-tägig | |
| erscheinen. Auch wenn mich die Kündigung, die ich nach 16 Jahren im | |
| Dr.-Sommer-Team erhielt, sehr getroffen hat, war auch die Zeit zuvor | |
| belastend. All die Umstrukturierungen, die Chefredaktion wurde quasi über | |
| Nacht ausgetauscht, Kollegen mussten gehen. Natürlich verstehe ich, dass | |
| bei sinkender Auflage gespart werden muss. Bloß haben sich die Fragen an | |
| Dr. Sommer über die Jahre nicht verändert. Liebeskummer tut in jedem | |
| Jahrzehnt weh. Und Fragen zur körperlichen Entwicklung und den Gefühlen in | |
| der Pubertät ändern sich auch nicht. Da wäre schon weiterhin Bedarf | |
| gewesen. | |
| Trotzdem sank auch in Ihrer Rubrik die Nachfrage. Zwischen 3.000 und 5.000 | |
| Zuschriften wöchentlich bekam das Dr.-Sommer-Team zu Hochzeiten. Jetzt sind | |
| es noch 300 pro Woche. Warum? | |
| Das hat verschiedene Gründe. Zum einen die insgesamt sinkende Auflage des | |
| Magazins. Viele Jugendliche brauchen die Bravo nicht mehr, seit sie bei | |
| Twitter direkt mitlesen können, was die Stars schreiben. Weniger Leser | |
| bedeutet auch weniger Zuschriften. Und dann kann man sich über praktische | |
| Fragen auch online informieren. Soll ich Binden oder Tampons benutzen? Wie | |
| benutze ich ein Kondom? | |
| Das Internet hat Sie also überflüssig gemacht? | |
| Nein. Meine Erfahrung ist: Je größer das Angebot an Informationen ist, umso | |
| verunsicherter sind Jugendliche. Die zentrale Frage ist ja häufig: Wie ist | |
| es bei mir? Das kann nur die individuelle Beratung leisten. Letztlich waren | |
| wir – zumindest zu meiner Zeit, wie das heute ist, kann ich nicht | |
| beurteilen – eine ganz seriöse Jugendberatungsstelle mit fachlich | |
| ausgebildetem Personal. Wir waren zwar für mehrere Seiten verantwortlich, | |
| aber die direkte Beratung war sehr wichtig. Als ich anfing, gab es sieben | |
| Telefonsprechstunden pro Woche, dann fünf, dann drei. Heute schreiben | |
| Jugendliche lieber Mails. | |
| Haben Sie immer alle Fragen beantwortet? | |
| Ja. Alles bis auf offensichtliche Scherzfragen. Aber selbst da haben wir im | |
| Zweifelsfall zurückgeschrieben. Unsere Maxime war immer: Lieber nehmen wir | |
| mal eine Frage zu viel ernst als eine zu wenig. Wer an Bravo schreibt, der | |
| will etwas wissen oder hat etwas auf dem Herzen. Das ist eine große | |
| Verantwortung. | |
| Aber kann diese Fragen nicht jeder beantworten? | |
| Auf keinen Fall. Man braucht eine entsprechende fachliche Ausbildung. Und | |
| ein Herz für die Jugendlichen. Ich will das jetzt nicht so esoterisch | |
| sagen, aber wenn ich eine Mail oder einen Brief lese, dann spüre ich, ob da | |
| etwas mitschwingt. Ich muss also zwischen den Zeilen lesen: Was schildert | |
| mir die Person als Problem und wie passt das zusammen? Natürlich beantworte | |
| ich zuerst die gestellte Frage. Aber wenn ich darüber hinaus eine Angst | |
| oder einen Kummer durchgehört habe, habe ich oft nachgefragt und das | |
| Angebot gemacht: Du kannst dich gern noch mal melden. | |
| Da ist also oft auch eine Kommunikation entstanden, die über einen Brief | |
| hinausging? | |
| Zum Teil ja. Wenn es um Themen wie Gewalt in der Familie, sehr schlimmen | |
| Liebeskummer oder sexuelle Gewalt ging. Meist waren es Mädchen, die mir | |
| schrieben: Ich habe einen lieben Freund, aber jedes Mal, wenn er mich | |
| anfasst, kriege ich Angst. Dann geht es darum, dass man den Jugendlichen | |
| vermittelt: Ich höre dich, du bist nicht allein. Für deine Reaktion muss es | |
| einen Grund geben, weil du deinen Freund ja magst. Überleg mal. Hat dir mal | |
| jemand Angst gemacht, dich angefasst, dir wehgetan? Psychologisch gesehen | |
| bleibt nach solchen traumatischen Erlebnissen eine körperliche und eine | |
| seelische Erinnerung, die verarbeitet werden muss. Sonst ist eine befreite | |
| Sexualität nicht möglich. | |
| Wie haben die Jugendlichen reagiert? | |
| Oft sehen sie erst gar keinen Zusammenhang. Diesen Mechanismus habe ich | |
| erklärt und Anlaufstellen dazu geschrieben. Für eine 15-Jährige ist es ein | |
| großer Schritt, zu einer Beratungsstelle zu gehen. Bis es so weit war, habe | |
| ich oft ermutigt und bestärkt: Toll, dass du einen Termin ausgemacht hast. | |
| Ich denk an dich, wenn du dahin gehst. | |
| Ist Ihnen das schwergefallen? | |
| Im Gegenteil. Jugendlichen zu helfen war mein Traumjob. Der direkte Kontakt | |
| mit ihnen fehlt mir sehr. | |
| Schockiert hat Sie nie etwas? | |
| Schockiert nicht, aber manche Fotos sind mir in Erinnerung geblieben. Ein | |
| Junge hatte zum Beispiel seinen erigierten Penis fotografiert, weil er mir | |
| einen Ausschlag an der Eichel zeigen wollte. Letztlich war das ein großer | |
| Vertrauensbeweis. Dann kamen mit der Zeit auch immer wieder neue Themen | |
| auf. Intimrasur zum Beispiel oder Analverkehr. Darüber hätten wir Jahre | |
| zuvor nicht geschrieben. Und was Squirting [weibliche Ejakulation; Anm. d. | |
| Redaktion] ist, musste ich auch erst mal nachschlagen. | |
| Heute sind Christian und Nina auf der Dr.-Sommer-Seite abgebildet … | |
| … das sind Models. Die beiden gibt es im Dr.-Sommer-Team nicht. Die | |
| Jugendlichen sollen sich mit den beiden identifizieren können. | |
| Wie hat sich das Team nach Ihrem Fortgang verändert? | |
| Es ist in erster Linie kleiner geworden. Zu Hochzeiten waren wir zu sechst | |
| im Print und noch mal drei oder vier online. Als ich ging, blieben nur eine | |
| fest angestellte Erzieherin, ein freier Mitarbeiter mit Fachausbildung | |
| sowie eine Journalistin übrig, die jetzt die vier bis sechs Seiten der | |
| Dr.-Sommer-Strecke betreuen. Ich weiß, wie zeitaufwendig die | |
| Veröffentlichungen sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da noch viel | |
| Zeit für individuelle Beratung bleibt. | |
| Bedauern Sie das? | |
| Sehr. Für Jugendliche ist Dr. Sommer nach wie vor eine Instanz, die man | |
| alles fragen kann. Wenn diese Fragen dann nicht beantwortet werden, tut mir | |
| das für jeden einzelnen Jugendlichen leid, der keine oder nur eine | |
| technische Antwort kriegt. Letztlich geht es doch um die Emotionen, darum, | |
| dass man Herzklopfen hat, wenn man zum ersten Mal ein Kondom überrollt, und | |
| um Erfahrungen, dass die erste Regel beispielsweise auch wehtun kann. Die | |
| Pubertät ist so eine besondere Zeit. Die Jugendlichen wollen sich | |
| abgrenzen, sich neu orientieren, sind voller Neugier, aber auch | |
| Unsicherheit und Scham. Im Körper passiert ganz viel Neues. Zwar streben | |
| sie weg von den Eltern, brauchen aber gleichzeitig viel Zuwendung und | |
| Orientierung. | |
| Die Zeiten haben sich geändert. 1972 wurden zwei Ausgaben der Bravo wegen | |
| Artikeln über Selbstbefriedigung als jugendgefährdend eingestuft und | |
| indiziert … | |
| … mit einer lächerlichen Begründung. Die sexuelle Reife allein berechtigt | |
| nicht zur Inbetriebnahme der Geschlechtsorgane, stand da. | |
| Das bedeutet aber auch: Früher war Bravo oft die einzige Quelle der | |
| Aufklärung. Machen Eltern das heute besser? | |
| Auf jeden Fall. Aber es gibt Fragen, die Jugendliche nicht fragen und die | |
| Eltern nicht beantworten wollen. Als mein jüngerer Sohn 15 war, hat er mich | |
| gefragt, wie man Kondome verwendet. Er hatte damals eine Freundin, also hab | |
| ich den beiden übers Wochenende einen Verhütungsmittelkoffer mitgebracht. | |
| Da waren Kondome drin und Dildos in Delfinform. Ich sagte zu den beiden: | |
| Schaut mal rein. Ihr dürft alles ausprobieren. Aber ich hab sie das allein | |
| machen lassen, nichts erklärt oder gar gezeigt. Er soll nicht an seine | |
| Mutter denken müssen, wenn er ein Kondom überrollt. Ich kann das einem | |
| fremden Jungen erklären. Aber ich denke, beim eigenen Sohn ist diese | |
| Verknüpfung psychologisch ungünstig. | |
| Wie geht’s für Sie jetzt weiter? | |
| Ich plane, eine Praxis für Beratung, Therapie und Entspannung zu eröffnen | |
| sowie Vorträge und Seminare zu halten und Texte zu schreiben. Es gibt auch | |
| schon einige Angebote. Ich bin zuversichtlich, dass da noch mehr kommt! | |
| 18 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Halser | |
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