Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Verzicht auf Selbstbefriedigung: Hände weg!
> Onanieren bekommt wieder ein schlechtes Image. Viele junge Männer
> verzichten freiwillig darauf – in der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Bild: Der Slogan der Fapstronauten: Bekomm dein Leben wieder in den Griff.
Selbstbefriedigung ist schädlich. Es gibt Ideen, die kommen nie aus der
Mode. Es gibt einen Haufen junger Männer, die das meinen und die darauf
bauen, dass sie mit dem Verzicht auf Selbstbefriedigung ihr Leben neu
ordnen können. Genannt wird diese Community von Abstinenten NoFap. Fap
kommt von to fap oder fapping und bedeutet: masturbieren.
Der Slogan der Fapstronauten, so nennen sie sich selbst, lautet: „Get a new
grip on life“ – Bekomm dein Leben wieder in den Griff. In den [1][Foren von
reddit], dort wo NoFap seinen Anfang fand, gibt es fast 150.000
Fapstronauten.
In den Foren erzählen die Fapstronauten davon, wie viel besser es ihnen
ohne Masturbation und ohne Pornografie geht. Sie versuchen auszubrechen aus
einem Zirkel von PMO – Porno, Masturbation, Orgasmus. Dafür verzichten sie
auf alle drei dieser Dinge. Denn diese Dinge sind für die Fapstronauten
untrennbar miteinander verbunden. Keine Masturbation ohne Porno, also ohne
Porno kein Orgasmus. NoFap wirkt wie das Selbsthilfeprogramm einer
Generation, die mit Internetpornografie aufgewachsen ist.
Bemerkenswert sind die Erfahrungsberichte. In den Foren schreiben die
jungen (und alten) Männer von Erlösung. Davon, dass ihre „sozialen Ängste
verschwinden“, dass sie sich „lebendig und voller Energie“ fühlten. Sie
berichten, dass ihre Erektionsprobleme verschwunden seien und dass sie sich
endlich Frauen anzusprechen trauten.
Hendrik ist 33 Jahre alt und studiert Englisch und Sport auf Lehramt. Er
heißt eigentlich anders; und wie er aussieht, lässt sich auch nicht sagen.
Er möchte nur am Telefon sprechen. Hendrik sagt, er habe schon immer zu
Pornos masturbiert. „Wenn ich abends nach Hause gekommen bin, war
vielleicht nicht mein erster, aber auf jeden Fall mein dritter Gedanke:
Porno.“ Es war nie anders, und es wurde zur Gewohnheit. „Ich habe Pornos
nicht geguckt, wenn ich Lust verspürte. Ich habe sie geguckt, um mir Lust
zu machen, und dann zu masturbieren.“
## Heilung durch Enthaltsamkeit
Vor einiger Zeit bemerkte Hendrik, dass er immer wieder Probleme hatte,
wenn er mit Frauen schlief. Er bekam keine Erektion; und wenn er eine
bekam, hatte er keinen Orgasmus. Eines Tages googelte Hendrik „Masturbation
und Impotenz“ und fand NoFap. Die vielen Foreneinträge versprachen Heilung.
Wenn er nur 90 Tage lang auf Pornos und Masturbation verzichtete, würde es
ihm besser gehen. 90 Tage bis zur Erlösung.
Die Fapstronauten sind nicht religiös. Die Verdammnis der Masturbation war
nie nur ein Privileg der Gläubigen. Den Fapstronauten geht es um ihre
„psychische und physische Gesundheit“, nicht um ihre Seelen. Dass
Masturbation medizinisch schädlich ist, ist tatsächlich eine Idee der
Aufklärung.
Diese Idee beginnt im Jahre 1712 und einem Buch mit dem Titel „Onania oder
die abscheuliche Sünde der Selbstbeschmutzung“. Die Onania war das Werk
eines Quacksalbers, aber es verbreitete sich auf dem ganzen Kontinent und
wurde in alle europäischen Sprachen übersetzt. So fand die Idee, dass
Masturbation krank mache, ihren Weg in den Mainstream. Bis dahin hatten die
Kirchen das Monopol darauf, vor Masturbation zu warnen. Die Bibel bot genug
Belege. Die Kirche verdammte die Selbstbefriedigung als Untat gegen Gott.
Schlimm genug. Doch plötzlich war sie auch eine Untat gegenüber der eigenen
Gesundheit.
Als der Schweizer Arzt Simon-August Tissod seine Dissertation mit dem Titel
„Die Onanie. Abhandlung über Krankheiten durch Masturbation“
veröffentlichte, war das Schicksal der Selbstbefriedigung besiegelt. Nur
Wenige im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts konnten masturbieren, ohne
das Gefühl zu haben, etwas Ungesundes zu tun.
## Von der Kirche zu NoFap
Die Aufklärung führte nicht nur einen medizinischen Kampf gegen die
Selbstbefriedigung, sondern auch einen moralischen. Pädagogik und
Philosophie schlossen sich an. Jean-Jacques Rousseau verurteilte die
Selbstbefriedigung genauso wie Immanuel Kant. Masturbation war Ausdruck von
Disziplinlosigkeit, ein Vergnügen ohne Nutzen. Wer masturbierte, war
asozial, koppelte sich von der Gesellschaft ab. Niemals dürfte sich die
Jugend dem unendlichen Fundus an sexuellen Reizen hingeben, welche die
eigene Fantasie zur Verfügung stellte.
Von da aus ist es nicht mehr weit zu NoFap. Dessen Grundidee ist durch und
durch wissenschaftlich: NoFap begann auf reddit mit der Diskussion über
eine wissenschaftliche Studie. Sie besagte, dass der Testosteronspiegel
eines Mannes nach sieben Tagen Abstinenz seinen Höhepunkt erreichen würde.
Die Ersten probierten es aus, und NoFap war geboren.
Heute wird jeder, der im Internet NoFap findet, auf Gary Wilson verwiesen.
[2][Gary Wilson] ist der Wissenschaftler der Nichtwichser. [3][Auf seiner
Webseite] erläutert er seine These: Das menschliche Gehirn sei nicht bereit
für die Menge an leicht zugänglicher Hardcore-Pornografie, die es
heutzutage gibt. Erregung entsteht laut Wilson im männlichen Gehirn durch
Neuheit. Bekommt das Gehirn einen neuen sexuellen Reiz, stößt es Dopamin
aus. Das Internet ermögliche einen unendlichen Fundus an „Neuheit“, wodurch
gerade junge Männer auf einer Dopaminwelle reiten würden. Dieser Rausch
würde das Belohnungssystem im Gehirn praktisch ausleiern, die
physiologischen und psychologischen Folgen seien: Einsamkeit, krankhafte
Schüchternheit, Depression oder Beziehungsunfähigkeit.
Auch Hendrik fand als Erstes Gary Wilson. „Als ich das Video sah, traf mich
der Blitz“, sagt er. „Endlich habe ich verstanden, was das Problem ist.“
Wilson beschreibt auf seiner Webseite auch einen Weg der Heilung: Wer nur
lange genug auf Pornografie verzichte, der könne sein Belohnungssystem
reparieren. Die Fapstronauten nennen das Reboot. Sie setzen die Festplatte
ihrer Sexualität neu auf. Verschiedene Seiten im Internet bieten Begleitung
für einen solchen Reboot an. Oft nennen sie es Challenge. Hendrik
absolviert eine.
Diese Challenges meinen aber nicht nur den Verzicht auf Pornografie,
sondern eben auch auf Selbstbefriedigung, und hier beginnt das
Missverständnis. Gary Wilson schreibt selbst auf seiner Webseite: „Die
meisten Debatten über Pornosucht entwickeln sich zu Debatten über
Masturbation. Das ist sinnlos und verschmutzt unsere Debatte.“
## NoFap statt NoPorn
Aber genau darum geht es bei NoFap. Es heißt ja nicht NoPorn. Die
Fapstronauten reden über Masturbation, nicht über Pornografie. Sie erzählen
davon, dass sie den Rechner zuklappen und das Leben entdecken. Und so, wie
man das Problem generalisiert, lässt sich auch die Heilung generalisieren.
Einfach aufhören, dann klappt es schon.
Das ist auch nachvollziehbar. Denn NoFap und all die vielen Websites, die
den Trend aufnehmen, versprechen etwas. Verstärkt durch das Internet, durch
Foren, Facebook und Hunderte Memes verspricht NoFap ein besseres Leben:
mehr Produktivität, mehr Energie, mehr Frauen. Und das alles ist nur einen
Handgriff entfernt. Oder eben keinen Handgriff.
Aber von der Vorstellung, dass Masturbation einem Energie raube, bis zu
der, sie mache krank, ist es nur ein kurzer Weg. Einer schreibt: „Ich suche
nach einem medizinischen Hinweis für den Zusammenhang von Masturbation und
Rückenschmerzen. Kann mir jemand helfen?“ Und so schnell ist man wieder im
18. Jahrhundert.
Die Sache ist kompliziert. Das ist Sex immer. Der Zugang zu einem
unendlichen Archiv von Internetpornografie verändert die Sexualität der
Menschen. Das ist eine berechtigte Sorge. Um sich davon zu befreien,
verzichten die Leute auf einen essenziellen Teil einer Sexualität.
Hendrik hat seine 90 Tage durchgehalten. Leicht war es nicht, aber er
freute sich auf ein neues Sexleben. Tatsächlich lernte er relativ schnell
eine Frau kennen. Sie gingen aus und miteinander nach Hause. Als sie
gemeinsam nackt im Bett lagen, hatte Hendrik wieder keine Erektion.
Frustriert ging er nach Hause. Am nächsten Tag schaute er einen Porno und
holte sich einen runter.
13 Apr 2015
## LINKS
[1] http://www.reddit.com/r/NoFap/
[2] http://www.youtube.com/watch?v=wSF82AwSDiU
[3] http://yourbrainonporn.com/
## AUTOREN
Francesco Giammarco
## TAGS
Sexualität
Selbstbefriedigung
Gedöns
Gedöns
Neuseeland
Bravo
## ARTIKEL ZUM THEMA
Das Geschäft mit dem G-Punkt: Spritze in den Schritt
Es ist ja auch nicht einfach, dieses Sexleben. So finden Frauen, die mehr
wollen, immer öfter Hilfe in der Intimchirurgie.
Die Wahrheit: Die masturbierende Nonne
Neues aus Neuseeland: Kunst ist ein komplexes Thema in Aotearoa. Für manche
zu komplex. Vor allem wenn es um Kritik am eigenen Land geht.
Frau Dr. Sommer aus der „Bravo“: „Das war mein Traumjob“
Wegen sinkender Auflage hat „Bravo“ der Leiterin des Sex-Ressorts, Jutta
Stiehler, gekündigt. Ein Gespräch über Kondome, Squirting und Beratung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.