# taz.de -- Seminar zur weiblichen Ejakulation: Open your Box | |
> Die Sex-Aktivistin Laura Méritt erklärt in Seminaren, wie das Abspritzen | |
> bei Frauen funktioniert. Unsere Autorin hat mitgemacht. | |
Bild: Squirting hat auch eine politische Dimension | |
Wie groß ist so ein Harnröhrenausgang eigentlich? Ich kann ihn nicht | |
finden. Mit sieben anderen Frauen sitze ich unten ohne auf dem Boden eines | |
Wohnzimmers in Berlin-Kreuzberg. Den Handspiegel zwischen den Oberschenkeln | |
aufgestellt. Kurz denke ich, ich habe ihn gefunden. Doch als eine der | |
Frauen der Gruppe ihr Harnloch zeigt, zweifle ich. | |
Ihrs ist so groß, bei mir sieht das Loch aus wie eine kleine Drüse. Dann | |
setzte ich mich vor die Gruppe auf einen Hocker und die andren helfen mir | |
suchen. Da ganz unten beim Eingang der Vagina sei mein Harnröhrenausgang. | |
Ejakulieren können Frauen mit einem so weit unten liegenden Harnloch leider | |
oft nicht so gut, sagt eine. Das Ejakulat laufe oft nur in die Vagina, | |
statt zu spritzen. Eine Ernüchterung – will ich doch genau das an diesem | |
Tag lernen. | |
Es ranken sich viele Mythen um die weibliche Ejakulation. Sucht man auf | |
Google nach dem Begriff „Squirting“, das Wort unter dem das Spritzen auf | |
Pornoseiten zu finden ist, stößt man auf die wildesten Spekulationen. | |
Klare Antworten gibt es nicht auf Fragen wie: Kann das jede Frau? Aus | |
welchem Loch kommt es? Ist es Urin? Sex-Aktivistin Laura Méritt kennt die | |
Antworten und gibt sie weiter. Als Dozentin an der Uni, in ihren Büchern, | |
oder bei so einem Workshop bei ihr zu Hause. | |
## Für die Nachbarn nichts Neues | |
Etwas früher an diesem Tag tönt psychedelische Musik aus der Stereoanlage. | |
Immer wieder jault Yoko Ono „Open your Box“. Es ist Samstagnachmittag und | |
acht Frauen tanzen auf den gemusterten Teppichen in Laura Méritts Wohnung. | |
Eine von ihnen bin ich. Die Frauen sind zwischen 20 und 60 Jahren alt, | |
einige sind extra für den Workshop nach Berlin gereist. Auf die Frage, was | |
ihre Motivation ist, das Ejakulieren zu lernen, antworten sie zunächst: | |
„Ich möchte meinen Körper besser kennenlernen“. Nach den ersten Spritzern | |
ändern sich die Antworten in Sätze wie: „Ich will eine bessere Liebhaberin | |
sein.“ | |
Das Zappeln zur Musik soll uns auflockern, doch ich fühle mich alles andere | |
als entspannt. Durch die bodentiefe Fensterfront können die Nachbarn uns | |
bei jeder Bewegung beobachten. Und hier sollen wir uns gleich ausziehen? | |
Als könnte Méritt meine Gedanken lesen, sagt sie im beschwichtigenden Ton: | |
„Die Nachbarn wissen Bescheid, was hier läuft“. Méritt gibt diese Worksho… | |
schon seit über zehn Jahren. Für die Nachbarn sei das nichts Besonderes | |
mehr. In ihrer Wohnung betreibt Laura Méritt unter anderem die Berliner | |
Institution Sexclusivitäten. Neben Workshops, gibt es dort Spielzeug und | |
Filme zu kaufen, jeden Freitag gibt es feministische Treffen, manchmal | |
bespricht man Pornos. Sie ist Initiatorin des feministischen | |
PorYes-Filmpreises. | |
Auch wir gucken an diesem Nachmittag einen Film. Die rötlich gelockte Frau, | |
die darin vorkommt, stößt, während sie kommt, eine riesige Menge an | |
Flüssigkeit aus. Doch anders als in den Pornos gezeigt, hängen Orgasmus und | |
Ejakulation nicht miteinander zusammen, sagt Méritt. Sie lässt einen | |
Tropfen aus ihren Drüsen laufen, nur um zu zeigen, wie gut man die | |
sogenannte weibliche Prostata mit etwas Übung unter Kontrolle hat. | |
## Urin oder kein Urin? | |
Laura Méritt holt die Schautafeln raus. 30 bis 40 Drüsen habe die weibliche | |
Prostata, die neben der Harnröhre liegt. Ihre zwei Ausgänge liegen neben | |
dem Harnloch. Im Eingang der Vagina kann man die Prostata ertasten. Sie | |
fühlt sich zunächst schwammig an. Wenn man sie penetriert, füllt sie sich | |
mit einer klaren Flüssigkeit, die laut Méritt jedoch auf keinen Fall Urin | |
ist. | |
Erst im März erregte eine Studie des französischen Forschers Samuel Salama | |
Aufsehen, weil darin behauptetet wurde: Es sei doch Urin. Méritt regt sich | |
darüber auf. Ein Mann führe eine Studie mit sieben Teilnehmerinnen durch | |
und gleich werde die Arbeit von über dreißig Jahren Frauenbewegung und | |
Tausenden Frauen in Frage gestellt. Der Name des Workshops lautet: „Wir | |
spritzen zurück.“ Inwiefern ist spritzen politisch? | |
„Letztendlich geht es um unterdrücktes Wissen“, sagt Méritt. Es gebe genug | |
Untersuchungen zur weiblichen Ejakulation, aber das Wissen werde nicht | |
weitergegeben. Es sei hoffnungslos veraltet, was man in den Büchern sehe. | |
„Die Anatomie der Frau wird kleingeredet“, sagt Méritt. Die weibliche | |
Prostata, die oft auch als G-Punkt bezeichnet wird, sei kein Punkt, sondern | |
eine Fläche. „Und auch die Klitoris ist nicht nur eine Perle, sondern eine | |
Nervenstruktur, die weit in den Körper hineinreicht.“ Auf den | |
Aufklärungsabbildungen der Schule stünden nur die zum Kinderkriegen nötigen | |
Körperteile im Vordergrund. „Wogegen beim Mann jede Sehne dargestellt | |
wird.“ | |
## Zum Abschluss gibt's Torte | |
Dann folgt der praktische Teil des Workshops. Hosen runter, | |
Einmalhandschuhe und Gleitgel bereitstellen. Die Nachbarn sind mir noch | |
immer nicht egal. Ich setzte mich auf ein Handtuch, möglichst weit weg vom | |
Fenster. Nachdem wir unsere Harnröhrenausgänge alle gefunden haben, folgt | |
die nächste Aufgabe: Die G-Fläche zu penetrieren. Ich hätte nie gedacht, | |
wie selbstverständlich es sich anfühlt, sich in einem Raum voller Fremder | |
die Finger in die Vagina zu stecken. Mit etwas Gleitgel stochern wir in uns | |
herum, bis das schwammige Gewebe ein fester Hügel wird. Eine Teilnehmerin | |
johlt: „Das fühlt sich an, als hätte ich einen Penis in mir.“ Auch im | |
äußeren Bereich schwillt alles an. Es fühlt sich an, als müsste ich | |
dringend auf die Toilette. Die Drüsen sind gefüllt, jetzt muss man nur | |
loslassen. | |
Ich befehle mir, mich zu konzentrieren, und den Druck abzulassen, aber es | |
geht nicht. Ich sitze breitbeinig auf dem Fußboden an den Wohnzimmerschrank | |
angelehnt. Ich wechsle die Position, knie mich auf den Boden wie ein Tier | |
und penetriere mit einer Hand weiter. So soll es einfacher sein zu | |
spritzen, sagt Méritt. Sie fängt sogleich damit an, direkt neben ihr seufzt | |
schon die nächste Teilnehmerin. Und auf einmal läuft auch an meinem Arm | |
eine klare Flüssigkeit hinunter. Nicht viel, aber es reicht, um verdammt | |
stolz sein. Für jedes erfolgreiche Ejakulieren jubelt Méritt. Da einige | |
Teilnehmerinnen noch beschäftigt sind, setzte ich noch mal an und mache | |
diesmal das ganze Handtuch nass. Ob es wirklich gespritzt oder nur gelaufen | |
ist, weiß ich nicht. Doch ich bin so glücklich, am liebsten würde ich ein | |
Foto schießen. | |
Beim Abschlussgespräch riecht der ganze Raum süßlich. Es gibt Torte und | |
Teilchen, daneben liegen die nassen Handtücher. Nicht jede Teilnehmerin hat | |
es geschafft zu ejakulieren. Zwei mussten zum Zug, eine mochte das Gefühl | |
nicht. Doch theoretisch kann es jede. Ich frage, um wirklich sicherzugehen: | |
Die Flüssigkeit ist wirklich kein Urin? Méritt lacht. „Hast du schon mal | |
versucht zu pinkeln, während du erregt bist? Das ist anatomisch gar nicht | |
möglich.“ | |
20 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Renate Wolfenstein | |
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