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# taz.de -- Junge Tunesierinnen über die Wahl: „Man foltert immer noch unges…
> Zeineb Turki und Lina Ben Mhenni, zwei junge Tunesierinnen, über den
> Polizeistaat, eine unvollendete Revolution und die Bedeutung von
> Online-Medien.
Bild: Alles ist möglich: Alltagsszene aus Tunis.
taz: Frau Turki, Frau Ben Mhenni, wird Tunesiens Jugend drei Jahre nach den
ersten Wahlen gut von der Politik vertreten?
Zeineb Turki: Nein, die Parteien repräsentieren die Jugend nicht. Die
politische Elite ist gescheitert, und die Jugend vertraut der Politik nicht
mehr. Aber in der aktuellen wirtschaftlichen und politisierten Realität ist
es schwierig, Hoffnung aufrechtzuerhalten. Es ist nicht mehr wie im Jahr
2011.
Lina Ben Mhenni: Ich fühle mich auch von keiner Partei angesprochen. Sie
geben sich keine Mühe. Nur wenige Kandidaten für die Parlamentswahlen sind
jung.
Hat die Revolution denn irgendetwas Positives bewirkt?
Ben Mhenni: Es hat sich nichts geändert! Meinungsfreiheit vielleicht, aber
auch nicht ganz. Und die Polizeigewalt geht weiter, im Namen des Kampfes
gegen den Terror: „Ihr sollt alles akzeptieren, nichts diskutieren.“ Als
Ben Ali an die Macht gekommen ist, war es genauso. Erst war es ruhig, und
dann hat man Freiheiten eingeschränkt, um den Terror zu bekämpfen. Wenn
neue Politiker alte Politik betreiben, gibt es keine Veränderung.
Ist Tunesien noch ein Polizeistaat?
Ben Mhenni: Für mich schon. Man foltert immer noch ungestraft. Ich selbst
wurde vor zwei Jahren von 10 Polizisten auf der Straße verprügelt.
Turki: Es gibt durchaus das Risiko der Banalisierung, und das ist sehr
gefährlich. Es gibt noch viel Arbeit, um die Institutionen zu reformieren.
Das System ist noch da, aber Ben Ali wurde immerhin rausgeschmissen, und es
gibt Wahlen. Es war wichtig, dass der demokratische Wandel friedlich
verläuft. Es gab zwei Möglichkeiten: Konfrontation oder Verhandlung.
Ben Mhenni: Ich verhandle doch nicht mit Kriminellen, denen muss man sich
widersetzen. So wird es nicht lange gut gehen! Die Ziele der tunesischen
Revolution waren Arbeit, Freiheit und Würde für alle Bürger. Heute aber
reden die Politiker nur noch über Identität und Religion. Das ist der
falsche Weg.
Im Ausland heißt es oft, Tunesiens Gesellschaft sei zweigeteilt: Islamisten
und Modernisten. Stimmt das?
Turki: Ich sehe es nicht so. Diese Wahrnehmung bezieht sich auf die
politische Elite. In der Gesellschaft ist es nicht so. Man kann in
derselben Familie einen Salafisten, einen Alkoholiker, einen jungen
Dschihadisten und einen Arbeitslosen finden. Das Volk ist nicht geteilt, es
ist verschieden.
Ben Mhenni: Ich bin derselben Meinung, auch wenn ich den Eindruck habe, die
politischen Orientierungen beeinflussen die Gesellschaft immer mehr.
Sie sind beide in den sozialen Medien aktiv. Ist ihr Einfluss noch so groß
wie zu den Zeiten der Revolution?
Ben Mhenni: Schon. Aber es reicht nicht, man muss auch vor Ort arbeiten.
Manche Tunesier haben weder fließendes Wasser noch Strom, von sozialen
Medien ganz zu schweigen.
Turki: Soziale Medien sind ein öffentlicher Raum zum Meinungsaustausch.
Meinungsführer können schon etwas bewegen. Man muss jedoch auch in
Bürgernähe agieren.
Haben die Blogger noch so viel Einfluss wie in der Revolution?
Ben Mhenni: Nein. Heute nennt sich jeder Blogger; manche arbeiten sogar für
Parteien oder Firmen. Wir haben nie für Geld gearbeitet. Bloggen war für
mich keine Arbeit.
Turki: Ich glaube schon, dass Blogger die Bürger dank ihrer Bekanntheit
noch mobilisieren können.
Worum geht es bei den kommenden Wahlen?
Turki: Das größte Risiko ist politische Instabilität. Wenn es keine
Einigung über wirtschaftlichen Aufschwung und Sicherheitspolitik gibt, kann
die Situation eskalieren. Das Volk wird sich nicht ewig zurückhalten.
Ben Mhenni: Die Leute glauben, alles wird nach den Wahlen besser. Während
der Verfassungsverhandlungen hat man ähnlich gedacht. Und was hat sich
geändert?
Kann der demokratische Wandel erfolgreich sein?
Turki: Ich glaube schon. Sonst wäre ich nicht hier.
Ben Mhenni: Wir sind doch gar nicht in einem demokratischen Wandel! Ein
Kellner ist vorhin zu mir gekommen und meinte: „Was die Politiker machen,
hat keinen Sinn. Wir, das Volk, die Armen, wir werden reagieren. Es kommt.
Bald wird es ausbrechen.“
26 Oct 2014
## AUTOREN
Sandro Lutyens
## TAGS
Tunesien
Wahl
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