# taz.de -- Yavuz Köse über Osmanen: „Eine Politik des Stillschweigens“ | |
> Eine Hamburger Ausstellung beleuchtet die deutsch-osmanischen Beziehungen | |
> um den Ersten Weltkrieg herum. Sie thematisiert auch, dass Hamburger | |
> Unternehmer vom Völkermord an den Armeniern wussten – und schwiegen. | |
Bild: Pioniertat: Türkisch-Unterricht am Hamburger Büsch-Institut 1915. | |
taz: Herr Köse, worin unterscheiden sich Türken von Osmanen? | |
Yavuz Köse: Das Osmanische Reich war multiethnisch. Dort lebten unter | |
anderem Armenier, Griechen, Juden und muslimische Türken. Die Republik | |
Türkei dagegen existiert erst seit 1923. Für die Zeit davor sollte man also | |
von „osmanischen Staatsbürgern“ sprechen. | |
Und wie waren die deutsch-osmanischen Beziehungen zur Zeit des Ersten | |
Weltkriegs, die Ihre Hamburger Ausstellung thematisiert? | |
Das Deutsche Reich war in den Vorkriegsjahren im Vergleich zu England, | |
Frankreich oder Österreich-Ungarn, die am Osmanischen Reich zerrten, ein | |
eher „neutraler“ Partner. Zwar hatten letztlich alle westlichen Staaten | |
imperiale Ambitionen, aber Deutschland suchte als „latecomer“ im kolonialen | |
Wettrennen das Osmanische Reich wirtschaftlich und kulturell zu | |
durchdringen – im Sinne einer „pénétration pacifique“ –, hegte ab den | |
1880er-Jahren aber sicher auch Weltmachtambitionen. | |
Welche Rolle spielte Hamburg? | |
Hamburg war eine der deutschen Städte, die die osmanische Studienkommission | |
1911 besuchte. Organisator war der Hochschullehrer Ernst Jäckh, finanziert | |
wurde die Reise von deutschen Banken. Ziel war, das Negativ-Image eines | |
militaristischen, kulturfernen Deutschland zu korrigieren. Langfristig | |
hoffte Deutschland auf wirtschaftspolitische Vorteile. | |
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs schlossen die Osmanen eine | |
„Waffenbrüderschaft“ mit dem Deutschen Reich. Warum? | |
Die Osmanen hatten mit Deutschland über Jahre engste wirtschaftliche und | |
militärische Kontakte gepflegt. Osmanische Offiziere – darunter Enver | |
Pascha – hielten sich lange in Deutschland auf. Zudem waren wichtige Posten | |
der osmanischen Armee von Deutschen besetzt. Man setzte hier auf einen | |
bewährten und vermeintlich militärisch schlagkräftigen Partner. | |
Welchen Vorteil brachte das Bündnis für Deutschland? | |
Deutschland bot sich so die Option, Russland über das Schwarze Meer | |
anzugreifen. Zudem brauchte man das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg, | |
um Armee-Einheiten der Entente-Mächte zu binden und einen Puffer gegen | |
Russland zu haben. | |
Während des Ersten Weltkriegs verübte das osmanische Regime auch den | |
Genozid an rund 800.000 Armeniern. | |
Ja. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatten Spannungen zwischen den | |
Minderheiten zugenommen, die oft in Pogrome mündeten – etwa in den 1890ern | |
gegen die Armenier. Und seit 1913 betrieb das jungtürkische Regime eine | |
Politik der ethnischen Homogenisierung. Anfang 1915 beschloss die | |
osmanische Regierung, fast die gesamte armenische Bevölkerung Anatoliens in | |
syrisches Gebiet zu deportieren. Ende 1915 waren fast alle Armenier | |
deportiert – außer in Izmir, Istanbul und Aleppo. | |
Wussten die Deutschen davon? | |
Ja. Deutsche Diplomaten, Krankenschwestern und Missionare sahen die | |
Deportationen und berichteten der Botschaft davon. | |
Protestierte die deutsche Regierung daraufhin? | |
Vor Ort taten dies einige Vertreter der Regierung. Es scheint aber, dass | |
man in Berlin, um seinen Bündnispartner nicht zu verärgern, eine Politik | |
des Stillschweigens und der Zensur betrieb, sodass in den deutschen | |
Standardmedien nichts über die massenhaften Deportationen und Ermordungen | |
zu lesen war. | |
Wussten Hamburger Unternehmer von dem Genozid? | |
Zumindest beobachtete Robert Blohm, der als Vertreter der Firma Blohm & | |
Voss 1915 zu Verhandlungen im Osmanischen Reich weilte, in Izmit bei | |
Istanbul, dass alle Armenier vertrieben und ihre Stadtviertel | |
niedergebrannt wurden. Das zeigt, dass es keineswegs um „kriegsnotwendige“ | |
Deportationen an der Ostgrenze ging. Izmit liegt im Westen des Landes, wo | |
es definitiv keine Frontlinie gab. | |
Versteht sich Ihre Ausstellung als politisch? | |
Eher als wissenschaftlich und informativ. Sie soll osmanische Präsenz in | |
Hamburg zeigen, die auch schon lange vor dem Ersten Weltkrieg existierte. | |
Seit wann genau? | |
Erste Seehandels-Kontakte gab es im 16. Jahrhundert, aber wirklich relevant | |
wurden die Beziehungen im 19. Jahrhundert, als man Handelsverträge | |
abschloss und das erste osmanische Generalkonsulat in Hamburg eröffnete. | |
Von da an ließen sich immer mehr osmanische Geschäftsleute in Hamburg | |
nieder. | |
In welchen Branchen? | |
Viele arbeiteten in der Tabakindustrie, etwa der Zigarettenfabrikant | |
Sossidi, ein griechischer Osmane, der sich hier Ende es 19. Jahrhunderts | |
ansiedelte. Die Schau zeigt übrigens, dass viele dieser Zigaretten | |
türkische oder orientalische Namen hatten – etwa „Türken Nummer 5“. | |
Recht kolonial gedacht. | |
Letztlich ja. Zwar waren es die osmanischen, später die türkischen | |
Hersteller, die ihren Produkten diese Namen gaben. Aber das taten sie | |
natürlich aus Marketing-Gründen, um den Kundenwünschen zu entsprechen. | |
Ihr Ausstellungsposter zeigt eine Türkisch-Klasse. Wann entstand das Foto? | |
Es zeigt den ersten „offiziellen“ Türkisch-Unterricht 1915 im Hamburger | |
Büsch-Institut, einer Lehranstalt des Gewerkschaftsbundes. Das war deshalb | |
ein Einschnitt, weil man am Kolonial-Institut zwar schon seit 1909 Türkisch | |
lehrte, aber nur für Studenten. Am 14. 10. 1915 begann der Unterricht für | |
eine breitere Öffentlichkeit. Klientel dürften Menschen gewesen sein, die | |
in Einrichtungen tätig waren, die mit dem Osmanischen Reich in Verbindung | |
standen. | |
## Eröffnung der Ausstellung „Osmanen in Hamburg – Eine | |
Beziehungsgeschichte zur Zeit des Ersten Weltkrieges“: 5. 11., 18 Uhr, | |
Staats- und Universitätsbibliothek, Hamburg. Laufzeit bis 4. 1. 2015 | |
5 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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