# taz.de -- Ein Besuch im GDL-Streikcafé: Alle für Claus | |
> Lokführergewerkschaft-Chef Weselsky genießt bei der Streikkundgebung in | |
> Berlin große Zustimmung. Er verkürzt den Streik um anderthalb Tage. | |
Bild: Die Trillerpfeifen gehören zur Berufsausrüstung: Streikkundgebung am Fr… | |
BERLIN taz | Ein bisschen mülltütenartig sehen sie aus, die gelben | |
Streikwesten der Lokführer und Zugbegleiter – aber in der Masse geben sie | |
ein eindrucksvolles Bild ab. Rund 500 Mitglieder der Lokführergewerkschaft | |
GDL sind am Freitagmittag zur Streikkundgebung am Potsdamer Platz in | |
Berlin, direkt vor der Zentrale der bundeseigenen Deutschen Bahn AG | |
gekommen, zumeist mit Sonderbussen. | |
„Wir sind alle Weselsky“ steht auf einem der Plakate, „Claus, halte durch… | |
auf einem anderen, und am Ende rufen sie wie Fußballfans seinen Namen: | |
„Claaaaa-us Weselsky“. Gemeint ist GDL-Chef Claus Weselsky, der in den | |
Medien oft gescholten wird. Den Bahnern am Potsdamer Platz gibt er | |
Zuversicht und Selbstvertrauen – obwohl er selbst nicht da ist, weil er | |
beim Streikprozess in Frankfurt/Main weilt. | |
Dort hat Weselsky am Freitag gesiegt. Das Hessische Landesarbeitsgericht | |
erklärte den Ausstand der Lokführer am Freitagnachmittag in höchster | |
Instanz für rechtens. Nichtsdestotrotz verkürzt die GDL ihren Ausstand: | |
Statt bis zum Montagmorgen soll nun nur noch bis Samstagabend, 18 Uhr, | |
gestreikt werden. Es handele sich um eine Geste der Versöhnung, begründet | |
Weselsky diesen Schritt. Die Feiern zum 25. Jubiläum des Mauerfalls am | |
Sonntag in Berlin werden damit kaum noch behindert. | |
Die GDL hatte ihren Streik im Personenverkehr am Donnerstagmorgen begonnen. | |
Nach Angaben der Bahn war ein Drittel aller Fernzüge dennoch gefahren; auch | |
im Regional- und S-Bahn-Verkehr fuhren vielen Züge. Die Berliner S-Bahn, | |
eine Bahntochter, stellte zum Beispiel auf den wichtigsten Zubringerlinien | |
des Umlands einen stabilen Verkehr in die Innenstadt her. | |
## „Eine Frechheit“ | |
„Dass sie unsern Claus so durch den Dreck ziehen, das ist eine Frechheit“, | |
sagt Michael. Er sitzt im Streikcafé der Lokführergewerkschaft in der Nähe | |
des Berliner Ostbahnhofes und fingert in seinem Rucksack. „Ah, hier!“, sagt | |
er, zieht eine Berliner Zeitung heraus. „Wutwelle gegen Schienen-Honecker“ | |
steht da. „Das ist doch unfassbar.“ Michael ist Zugbegleiter und heißt | |
eigentlich anders. Aber wie fast alle GDL-Mitglieder im Streikcafé möchte | |
er seinen Namen nicht in der Zeitung wiederfinden. Man kann ja nie wissen, | |
ob ihn nicht am nächsten Tag der Titel „Bahnsinniger“ ziert. | |
Im Zugbegleitereck des Cafés sitzen Michael, Linda, Gunnar, Hans und noch | |
sieben andere Zugbegleiter, die auch anders heißen. Sie sind wütend. Wütend | |
auf die Eisenbahnergewerkschaft EVG, auf die Zeitungen und auf die Politik. | |
Weil Lokführer und Zugbegleiter in Schichten arbeiten und weil diese | |
Schichten so unterschiedlich sind, ist hier heute den ganzen Tag | |
Dauerbetrieb: Jeder kommt für die Zeit seiner Schicht in das Lokal. Und die | |
sind ziemlich lang: „Ich sitze hier seit heute morgen um 4 Uhr“, sagt | |
Gunnar. Jetzt ist es halb sechs Uhr abends. | |
Dann schiebt Linda ihren Dienstplan über den Tisch. | |
Würde sie an diesem Tag arbeiten, würde sie zwölfeinhalb Stunden lang, bis | |
20.23 Uhr, im Einsatz sein. „Eigentlich dürfen wir nur einmal pro Woche 12 | |
Stunden lang arbeiten“, erklärt Michael. „Aber den Rest der Woche lassen | |
sie uns dann oft bei elfeinhalb Stunden verrecken.“ | |
## „Es geht um die Vereinbarkeit mit der Familie“ | |
Nach Arbeitsschluss wäre Linda aber nicht in ihrer Heimatstadt Berlin. | |
Sondern in Köln. Da könnte sie in einem von der Bahn bezahlten Hotel | |
schlafen. „Und für die Zeit kriegen wir kein Geld!“, ruft es von der | |
anderen Seite des Tisches. „Wir kriegen nur die Zeit bezahlt, in der wir | |
auch im Zug sind.“ Linda könnte bis 4 Uhr morgens schlafen. Denn um 5 Uhr, | |
so sagt es der Dienstplan, wäre schon wieder Arbeitsbeginn. „Es geht hier | |
bei unserem Streik gar nicht in erster Linie ums Geld“, sagt Linda. „Es | |
geht um die Vereinbarkeit mit der Familie.“ Die anderen nicken. | |
Auch auf der Streikkundgebung am Potsdamer Platz ist das beherrschende | |
Thema nicht das Geld. Sondern das Gesetz zur Tarifeinheit. „Wir stehen hier | |
falsch vor dem Gebäude der Deutschen Bahn“, ruft einer. „Wir müssten ins | |
Regierungsviertel ziehen!“ Das Gesetz zur Tarifeinheit, das | |
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorlegte, soll die Macht der | |
kleinen Gewerkschaften einschränken. Sie sehen ihr Streikrecht bedroht. | |
Im Streikcafé, am Tisch der Zugbegleiter, ist die EVG, die sich für die | |
Zugbegleiter zuständig fühlt, ein Reizthema. „Die machen doch überhaupt | |
nichts für uns!“, sagt Michael. „Hätten sie etwas getan, dann säßen wir | |
jetzt nicht hier bei der GDL.“ Zustimmendes Gemurmel. Und Michael ruft: | |
„Außerdem sind die käuflich.“ | |
7 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Laura Meschede | |
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