# taz.de -- Mit dem Zug durch die Ukraine: Reise ins Feindesland | |
> Täglich gibt es Tote im Kampf zwischen Regierungstruppen und Rebellen. | |
> Doch die Bahn verkehrt immer noch aus Kiew in die „Volksrepublik | |
> Lugansk“. | |
Bild: Auch im Krieg: Die Bahn fährt nach Lugansk. | |
UNTERWEGS taz | Der Zug von Kiew nach Lugansk ist bis auf den letzten Platz | |
ausgebucht. Mitten im ukrainischen Krieg hat man sich ein Stück weit | |
Normalität erhalten. Fahrkarten in das umkämpfte Gebiet Lugansk kann man | |
problemlos am Bahnhof erhalten. Das einzige Problem: die hohe Nachfrage. | |
Rund 800 breitspurige Schienenkilometer beträgt die Entfernung von der | |
Hauptstadt der Ukraine bis ins Zentrum der „Volksrepublik Lugansk“. Langsam | |
nimmt der Zug mit der Aufschrift „Lugansk“ pünktlich um drei Uhr am | |
Nachmittag Fahrt vom Kiewer Hauptbahnhof auf. Wider Erwarten ist die | |
Stimmung unter den Fahrgästen alles andere als gedrückt. | |
Die Kiewer Studentin Veronika zeigt ihrer Nachbarin Inna auf ihrem iPhone | |
begeistert Fotos ihres Freundes, der in Lugansk lebt. Inna kommt aus | |
Lugansk, hat sich aber im Sommer entschieden, in Kiew zu leben. „Kiew hat | |
einen entscheidenden Vorteil“, sagt die Programmiererin. „Dort wird nicht | |
geschossen.“ Und ihren Kindern wollte sie ein Leben mit der ständigen | |
Angst, beschossen zu werden, nicht mehr zumuten. Nun fahre sie nach Hause | |
zu ihrer Mutter. | |
## Pendeln zwischen Krieg und Frieden | |
Igor pendelt ebenfalls seit Kriegsbeginn regelmäßig zwischen Kiew und | |
Lugansk. Die Firma, bei der seine Frau arbeitet, habe im Sommer ihre | |
Lugansker Filiale geschlossen. Seitdem könne sie nur noch in der Kiewer | |
Zentrale arbeiten. Alle zwei Wochen fahre er nach Kiew, bleibe dann eine | |
Woche bei ihr. „Wenn ich in Lugansk bin, bin ich ganz allein. Nur mein Hund | |
und unsere Katze sind bei mir.“ | |
Keiner der Pendler zwischen Kiew und Lugansk im Abteil will sich politisch | |
festlegen. „Ich muss immer mit meiner Sprache aufpassen“, meint Veronika. | |
„In Kiew darf ich nur vom ’Gebiet Lugansk‘ sprechen, in Lugansk hingegen | |
mache ich mich verdächtig, wenn ich nicht die Formulierung ’Volksrepublik | |
Lugansk‘ verwende.“ | |
Es ist weniger die große Politik, als vielmehr gewisse Kleinigkeiten, die | |
eine Freundin von Veronika, die sich im Gang mit Veronika unterhält, in der | |
„Volksrepublik“ ärgern. Kürzlich seien dort alle Frauen dazu aufgefordert | |
worden, abends nicht mehr in Cafés zu gehen und nicht mehr „über die | |
Stränge zu schlagen“. Frauen, so hörte Veronika im Fernsehen vor Ort, | |
sollten am Herd bleiben. „Wie kann ich einen Herd schaffen, wenn man mir | |
nicht mal mehr die Gelegenheit gibt, abends einen jungen Mann in einem Café | |
kennenzulernen“, fragt sie. | |
Die Nacht ist fast vorübergegangen, der Zug ist immer noch unterwegs. An | |
der Demarkationslinie zum Rebellengebiet durchstreift ein ukrainischer | |
Soldat mit Maschinenpistole die Gänge der Waggons. Für die Personalpapiere | |
interessiert er sich nicht, ja, er betritt nicht einmal die Abteile der | |
Reisenden, und das, obwohl die Regierung in Kiew erst in der letzten Woche | |
beschlossen hat, Passkontrollen zu den moskautreuen Regionen einzuführen. | |
## Eine scheinbar endlose Reise | |
Bald darauf, am Bahnhof von Krasnij Liman, hat die Fahrt erst einmal ein | |
Ende. Um fünf Uhr morgens wartet der Zug stundenlang auf eine Weiterreise. | |
Niemand weiß den Grund der Verzögerung. Es gibt keine Passkontrolle, denn | |
die soll erst am Bahnsteig im Endbahnhof erfolgen. Immerhin dürfen die | |
Toiletten weiterhin benutzt werden. | |
Die Freunde und Verwandten der Reisenden in Lugansk sind weder telefonisch | |
noch per Internet erreichbar. Wieder einmal sollen alle Verbindungen in der | |
Stadt zusammengebrochen sein, so heißt es. Doch aus Kiew häufen sich die | |
Anrufe bei den Passagieren. Angeblich werde heute wieder in einem Vorort | |
von Lugansk geschossen. | |
Die Fahrtgäste reagieren stoisch. „Wann nur wird das alles ein Ende haben“ | |
sagt Veronika. „Ich kann nicht mehr.“ Nach neun Stunden Warten ruckt der | |
Zug wieder an. Die Fahrt geht weiter, nunmehr schon länger als 25 Stunden | |
dauernd. Noch zwei Stunden Fahrt. Lugansk, wir kommen. | |
10 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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