# taz.de -- Film über Jugendrichterin in Neukölln: Erheben Sie sich! | |
> War sie die „Richterin Gnadenlos“? Die ARD zeichnet in „Das Ende der | |
> Geduld“ das Wirken der Jugendrichterin Kirsten Heisig nach. | |
Bild: Martina Gedeck spielt in „Das Ende der Geduld“ die Richterin Corinna … | |
Eigentlich will ihr Vorgesetzter gar nicht, dass sie den Job übernimmt. Für | |
eine, die gerade aus einer längeren Burn-out-Auszeit zurückkehrt, ist doch | |
Neukölln nichts. Aber bitte, die Frau, die hier Corinna Kleist heißt, hat | |
es sich in den Kopf gesetzt, in dem vermeintlichen Berliner Problembezirk | |
als Jugendrichterin zu arbeiten. Soll sie doch. | |
Gespielt wird die knapp 50 Jahre alte Richterin von Martina Gedeck. Und | |
zwar ungefähr so, wie sie in „Der Baader Meinhof Komplex“ die Ulrike | |
Meinhof gab, womit der Hauptperson von Anfang an eine ungute Vermischung | |
von Profession und Mission anhaftet sowie eine gute Portion Asexualität. | |
Allzu sympathisch kommt sie nicht rüber. | |
Das Bayerische Fernsehen hat die letzten zwei Lebensjahre der posthum zur | |
Bestsellerautorin gewordenen Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig als | |
Spielfilm inszenieren lassen, und gemessen daran, was es auch hätte werden | |
können, ist das gar nicht mal schlecht gelungen. Regisseur Christian Wagner | |
(„Ghettokids“) und Drehbuchautor Stefan Dähnert (Doppel-„Tatort“: | |
„Wegwerfmädchen“ und „Das goldene Band“) geht jedenfalls häufig gesch… | |
Hüftsteife des deutschen Fernsehschaffens weitgehend ab. | |
Eine deutsche Version der HBO-Serie „The Wire“ ist der Film deshalb aber | |
noch nicht, dabei hätte das Thema solch epische Breite und | |
Perspektivenvielfalt sicher verdient. Dass der Film nun heißt wie das Buch | |
– „Das Ende der Geduld“ –, führt aber erst mal in die Irre. Denn der P… | |
verfolgt neben dem Geschick der Richterin auch das einiger Jugendlicher. | |
Und dabei wird natürlich nicht allein die Sicht der einiger markiger | |
Sprüche in der Öffentlichkeit wegen als „Richterin Gnadenlos“ verschrienen | |
Heisig eingenommen. Diese hat sich bis zu ihrem Suizid 2010 dafür | |
eingesetzt, jugendliche Gewalttäter in beschleunigten Gerichtsverfahren | |
einer Strafe zuzuführen. Heute ist das, im Verbund mit anderen von ihr | |
vorgeschlagenen Maßnahmen, bekannt als „Neuköllner Modell“. | |
## Nicht alle Kollegen sind begeistert | |
Schon Heisig selbst erfährt hier mehr Gerechtigkeit als in so manch anderem | |
Beitrag über sie. Denn ihr war – das kann, wer will, auch dem Buch | |
entnehmen – nicht in erster Linie an Strenge und pädagogisch gedachter | |
Grenzziehung gelegen, sondern daran, den Jugendlichen, die vor ihrem | |
Richterpult landeten, ein anderes Leben nicht zu verstellen. Ob die von ihr | |
favorisierten Maßnahmen dafür die geeigneten Mittel darstellen, entscheidet | |
dieser Film nicht. | |
Stattdessen zeigt er den Zuschauern und Zuschauerinnen neben einer | |
schillernden Richterin auch Meinungen ihrer Kollegen (u. a. Jörg Hartmann), | |
bei denen sie sich nicht beliebt gemacht hat, die Haltung und die Probleme | |
der Jugendlichen (u. a. Mohamed und Hassan Issa) und ihrer Familien, die | |
eines Law-and-Order-Bullen (Alexander Gersak), einer türkischstämmigen | |
Polizeibeamtin (Sesede Terziyan) und einer bedrohten Schulleiterin. | |
## Familienclan aus dem Libanon | |
Die Fälle stammen allesamt aus dem Buch und insofern aus dem Neuköllner | |
Alltag der Richterin bis vor vier Jahren, kleinere Fiktionalisierungen | |
richten da keinen Schaden an. Und wie jenes legt der Fernsehfilm besonderes | |
Augenmerk auf die Brutalität einiger der Jungs eines Familienclans aus dem | |
Libanon, die mit dem Handel von illegalen Drogen befasst sind, ohne dabei | |
auf allzu reißerische Bilder zu setzen. „Arabischstämmig“ setzte Heisig in | |
ihrem Buch übrigens stets in Anführungszeichen. | |
Ja, Neukölln sells. Das wissen auch die Verantwortlichen bei der ARD, wo | |
„Das Ende der Geduld“ zur Primetime läuft. Ja, einige der im Film | |
gesprochenen Sätze und einige der Figuren kommen vielleicht etwas zu | |
plakativ rüber. Ja, der Handel mit harten Drogen macht aus denjenigen, die | |
ihn treiben, keine Chorknaben, und das hätte der Film ja auch noch ruhig | |
klarmachen können. | |
Aber „Das Ende der Geduld“ verweigert sich den üblichen Frontstellungen: | |
hier Scharfmacher und Rassisten, dort die Neukölln-ganz-nett-Finder, denen | |
der Name des Stadtteils jeweils nur eine Chiffre ist. Dafür allein lohnt | |
sich das Anschauen. | |
19 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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Heinz Buschkowsky | |
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