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# taz.de -- Farin Urlaub über Musik und die Welt: „Ich habe dieses spezielle…
> Farin Urlaub hat inzwischen mehr als die Hälfte aller Länder der Erde
> bereist und fotografiert. Und noch Zeit gefunden, eine neue Platte zu
> machen.
Bild: Der Sänger auf der Bühne: Farin Urlaub 2012 in Hannover.
taz: Farin Urlaub, Ihr neues Album heißt „Faszination Weltraum“. Auf dem
Cover aber sieht man Sie als Football-Spieler, und dann sind da Songs, die
von etwas völlig anderem handeln. Wie geht das zusammen?
Farin Urlaub: Gar nicht. Man sollte sowieso nicht so viel in den Titel
hineinlesen. Ich fand einfach, er klingt cool. Und schon auf dem Cover wird
er komplett ausgehebelt. Eigentlich haben Cover, Titel und das Album nichts
mit einander zu tun. Es sind drei Kunstwerke in einem. Aber ich wollte eine
Heldenpose – die Figur des von seiner Odyssee Heimkehrenden, der
irgendetwas unter dem Arm hat.
Warum?
Irgendwie wollte ich die Figur des heimkehrenden Helden, jetzt, wo ich 50
bin. Ich dachte, das bringt jetzt was.
Wohin kehrt er heim?
Wo auch immer er mit seiner Odyssee begonnen hat. Es ging mir mehr um
dieses heldenhafte Gefühl.
In einem Song heißt es: „Was die Welt jetzt wirklich braucht / ist dich in
deinem Superman-Kostüm“. Kann man das als Reaktion auf die politischen
Zäsuren des Jahres 2014 lesen?
Es würde sich anbieten, aber das Lied hat mehrere Ebenen. Die
vordergründige Ebene ist für mich einfach die Aufforderung: Arsch
hochkriegen. Ein Kontra-Prokrastinationssong. Der Superheld ist bewusst
gewählt, aber der Song ist 2013 geschrieben, über 2014 konnte ich da noch
nichts wissen. Aber so ’n Superheld, der auf der richtigen Seite steht, ist
natürlich prinzipiell ganz in Ordnung.
Ich würde gern über Ihre Erfahrungen als Reisefotograf sprechen. Ihr
erklärtes Lebensziel ist es, alle Länder der Erde zu bereisen. Wie weit
sind Sie da vorangeschritten?
Über die Hälfte habe ich. Aber ich bin noch nicht so weit, wie ich gern
wäre.
Stimmt es, dass Sie sich die abgehakten Länder auf einer Weltkarte – sehr
deutsch – mit Stecknadeln markieren?
Totaler Blödsinn! Erstens habe ich die Weltkarte im Kopf, und zwar immer;
zweitens weiß ich genau, welche Länder mir noch fehlen, und drittens bin
ich eben nicht sehr deutsch, weil ich nicht jedes Mal in ein neues Land
fahre, sondern die meisten Länder ganz oft besuche. In meine
Lieblingsländer fahre ich 10- bis 15-mal. Ich will ja nicht einfach nur ein
Land besuchen, ich will es im Kontext erleben, ich will die Nachbarländer
kennenlernen. Ich reise sehr gern über Land, sodass man sieht, wie sich
eine Landschaft verändert. Deshalb dauert es auch mit dem Unternehmen
Welterkundung.
Arbeiten Sie während Ihrer Reisen weiter als Fotograf?
Ja. Ich empfinde das aber nicht als Arbeit. Es macht mir Spaß. Ich hab halt
dieses sehr spezielle Leben. Es gibt nicht viele Leute, die auf so viele
Reisen gehen können wie ich und diese auch noch fotografisch festhalten.
Ich habe sehr viel Glück gehabt und mir extra viel Glück dazu genommen.
Also ist das Fotografieren ein Luxus, den Sie sich gönnen?
Ja. Neben dem Reisen der wichtigste in meinem Leben.
Neben Landschaftsfotografien zeigen Ihre Aufnahmen auch die soziale
Wirklichkeit in den Ländern. Würden Sie auch in Krisengebieten
fotografieren?
Ich war in Krisengebieten unterwegs, bevor ich fotografiert habe. Das ist
mit so viel Gefahr für Leib und Leben verbunden, das möchte ich nicht noch
mal machen. Ich bin weder so mutig noch so Gefahren suchend. Ich habe in
meinem Leben schon in sehr viele Gewehre reingeguckt.
Wo war das?
Darüber will ich nicht reden. Ich will ja keine Heldengeschichten daraus
machen. Es ist auch gar nicht heldenhaft, man hat einfach Todesangst. Je
betrunkener oder aggressiver der Mann an diesem kleinen Hebelchen ist,
desto schlimmer wird sie.
Waren das die intensivsten Erfahrungen auf Reisen?
Zum Glück nicht. Wenn das das Intensivste gewesen wäre, dann hätte ich
aufgehört mit dem Reisen. In manche Situationen bin ich einfach so
hineingeraten. Es gibt einfach auch viel zu viele Waffen auf der Welt.
Wenn Sie von längeren Reisen zurückkehren, was ist dann das Beste bei der
Heimkehr?
Dass meine Freunde hier sind. Und auch meine Familie.
Was reizt Sie noch an Berlin?
Ich komme halt von hier. Es ist immer noch die Kultur, die mir am
vertrautesten ist. Dennoch: So etwas wie Heimweh oder Sesshaftigkeit kenne
ich nicht. Für mich ist das Reisen immer schöner als das Zurückkehren. Aber
als Basis und als Ort, um sich auszutauschen, sich wiederzutreffen, unter
Gleichgesinnten zu sein, ist Berlin perfekt für mich.
Sie haben zwar Ihren Künstlernamen danach gewählt, aber war diese
Reisefreude wirklich schon immer da?
Ja. Mit neun Jahren wurde mir das erste Mal klar, dass ich lieber unterwegs
bin als zu Hause. Ich erinnere mich genau daran.
Sind Sie denn zu frühen Ärzte-Zeiten auch viel gereist?
Ja, damals hatte ich überhaupt kein Geld, deshalb bin ich immer getrampt.
Ich bin zu der Zeit viel in Europa unterwegs gewesen.
Auch innerhalb Berlins sind Sie hin und her gezogen.
Die ersten sieben Jahre habe ich in Moabit gelebt, dann in Frohnau bis zur
Volljährigkeit, und ab dem 18. Geburtstag habe ich ’ne ganze Weile in
Kreuzberg gelebt. Dann noch mal ’n bisschen Moabit, und danach bin ich auch
schon weggezogen.
Sie haben das Landleben ausprobiert.
Ich habe 20 Jahre lang richtig ländlich in der Lüneburger Heide gewohnt.
Warum sind Sie zurückgekehrt?
Es hat mich gelangweilt. Ich habe meine Freunde zu selten gesehen. Und nun
wohne ich eben hier „im Umland“, wie man so schön sagt. Ich bin
zurückgekommen, um wieder mehr in Berlin zu sein.
Sie haben sich ausführlich mit Fotografie beschäftigt, haben Ihre eigene
Band gegründet, sind künstlerisch sehr offen. In einem Song des neuen
Albums tauchen nun ganz viele Schriftsteller auf. Gehen Sie dann auch bald
unter die Romanautoren?
Nein. Ich hab’s versucht, ich kann’s einfach nicht. Ich dachte, ich
probier’s mal aus. Die Kurzstrecke kann ich ja, den 3-Minuten-Popsong, den
hab ich drauf. Aber ein Buch haut nicht hin.
Und den unbedingten Ehrgeiz haben Sie nicht, einen Roman zu schreiben?
Nein, dazu lese ich zu viel. Meine literarischen Vorbilder sind so
unfassbar gut, da kapituliere ich. Ich habe nicht mal das Gefühl, dass ich
in die Nähe dieser sprachlichen Qualität komme. Dann ist es witzlos. Bei
der Fotografie hatte ich anfangs ein ähnliches Gefühl – inzwischen aber
weiß ich, wie’s geht.
Der eben angesprochene Song ist nur vordergründig eine Aufforderung, das
gute Buch mal liegen zu lassen und tanzen zu gehen. Eigentlich ist es eine
Hymne auf das Lesen, oder?
Ja, natürlich, es ist ein Ska-Tanz-Song, aber am Schluss singe ich ja auch
„Lies!“ Dieser Song etwa war zunächst nicht so gedacht – ich hatte nur
diese erste Zeile im Kopf: „Tolstoi kann warten“. Das fand ich gut, das ist
so dreist: Wer ist schon Tolstoi?
William Faulkner scheint Ihnen auch noch wichtig zu sein.
Ja, ich habe gerade meine Faulkner-Phase, ich versuche, alles von ihm zu
lesen. Und ich stolpere über Sätze, bei denen ich hin und weg bin, da
gehört so viel Beobachtungsgabe, so viel sprachliche Präzision dazu – das
traue ich mir nicht zu. „As I lay dying“ zum Beispiel ist ein
Wahnsinnsbuch.
Gleichzeitig steckt in Ihrem Song auch drin, dass man nicht zu viel
Ehrfurcht vor solchen Texten haben sollte.
Ja. Es gibt Leute, die lesen Tolstoi nicht, weil ihnen immer erzählt wird,
das sei total schwierig und ganz wichtig und hochgeistig. Wenn man
Literatur so hochhängt, fängt ja keiner mehr an zu lesen. Ich habe Bücher
immer als Freunde betrachtet. Da gibt es auch welche, die eben etwas
komplizierter reden als andere.
Wer von Ihren Lieblingsschriftstellern redet komplizierter?
Ich war lange Fan von Arno Schmidt. Ich war auch in dessen Haus in
Bargfeld, habe seinen heiligen Zettelkasten besichtigt. Bis zu „Zettel’s
Traum“ kam ich auch noch mit. Aber bei „Abend mit Goldrand“ dachte ich
dann: Lass mich einfach mal in Ruhe.
So viele neue Facetten von Farin Urlaub gibt es – vor allem musikalisch –
aber nicht auf dem Album, oder?
Es ist ein Rockalbum. Wir haben uns zusammengesetzt und uns gefragt: Was
hat am meisten Spaß gemacht? Das waren eben die Rocksongs.
Sind Sie selbst überrascht, wie viel ein einfacher Rocksong Ihnen immer
noch geben kann?
Nein. Musik ist ja ständig präsent in meinem Leben. Ich spiele auch ständig
vor mich hin.
Könnte man Ihnen künstlerisch Stagnation vorwerfen?
Es ist immer der Widerstreit: Will ich mich künstlerisch weiterentwickeln,
den Leuten zeigen, dass ich nun dies und das auch noch mache, oder will ich
die ungebremste Lebensfreude rauslassen? Ich habe mich wieder für Letzteres
entschieden. Wenn ich wandern gehe, mache ich auch immer dasselbe. Ich
finde nichts verkehrt daran.
Auch ein Luxus, den Sie sich leisten können?
Am Ende des Tages entscheidet das Publikum. Wenn die Zuhörer das irgendwann
ablehnen, habe ich eben verloren.
Auch thematisch zieht sich einiges schon länger durch Ihr Werk. Beim Song
„Find Dich Gut“ legen Sie eine Art Empowerment-Strategie für nicht so
schillernde Charaktere vor.
Aber so auf den Punkt gebracht habe ich das noch nie!
Schreiben Sie manche Songs speziell für Ihre Hörerschaft?
Nein. Das ist ein Gerücht, mit dem ich schon immer versuche aufzuräumen.
Ich habe niemanden vor Augen, wenn ich Texte schreibe. Es geht nur darum,
was mich gerade anmacht. Und diese Zeile: „Find Dich gut / Find Dich
einfach super / wenn’s kein andrer tut“ geistert schon seit zwei, drei
Jahren durch meinen Hinterkopf. Es gibt dann viele verschiedene
Interpretationen für so einen Song, aber oft entstehen die sehr spontan
aufgrund einer einfachen Idee. Ich will es auch oft gar nicht so genau
wissen, wie das dann genau entsteht. Es kommt irgendwo aus der Anarchie
meines Kopfes. Ich habe zwar auch schon mal Bücher über Kreativität gelesen
…
Sie lesen Bücher über Kreativität? Wenn ich an Ihr ganzes Wirken mit Die
Ärzte denke, an Ihr Oeuvre – Ouevre, Scheißwort …
… nö, ist doch schön. Besser als „Werk“ …
… jedenfalls ist das eine Art von Witz, der schwer zu erlernen ist. Da
könnte man sich jahrelang Kreativitätsbücher angucken.
Es geht nicht um Bücher, aus denen man lernt, wie man kreativ ist – das
weiß ich. Mich interessiert: Wo kommt’s her? Was passiert im Gehirn?
Heraus kommt bei Ihnen meist ein launiger Auf-den-Punkt-Popsong.
Ein ganzes Album nur mit Gesellschaftskritik und Meckerei passt nicht zu
Farin Urlaub. 50 Minuten nur Kulturpessimismus wäre nichts für mich – auch
wenn es bestimmt sehr modern wäre.
Sind Sie denn mit dem Bild, das die Öffentlichkeit von Farin Urlaub hat –
einem gut gelaunten Schelm – einverstanden?
Für Farin Urlaub: ja. Für mich wäre das zu eindimensional.
Da trennen Sie weiter strikt?
Ich trenne das, ja. Teile von mir finden sich in Farin Urlaub wieder,
andere Teile nicht. Für mich ist auch die Trennung zwischen öffentlich und
privat superwichtig. Die Leute, die ihr Privatleben öffentlich machen,
legen offenbar keinen Wert darauf. Viele denken, wenn man berühmt ist,
gehöre es dazu, öffentlich zu erklären, mit wem man die letzte Nacht
verbracht hat, wie viel man trinkt, welche Probleme man hat. Ich sehe das
anders.
Okay, dann reden wir doch kurz nach dem Mauerfall-Jubiläum noch über etwas
politisches Privates: Haben Sie spezielle Erinnerungen an den Mauerfall?
Ja! Wir sind einen Tag vor dem Fall der Mauer rübergeklettert. Da
berichteten schon CNN und einige andere Medien darüber, dass da jetzt was
passiert. Wir sind am Brandenburger Tor über die Mauer und bis zum Alex
gelaufen. Als wir wieder zurückkamen zum Brandenburger Tor, zogen sich die
Grenztruppen zusammen. Wir sind so ganz selbstverständlich auf die
zugegangen – und die haben uns auch ganz selbstverständlich wieder zurück
in den Westen klettern lassen. Das war ein irrer Moment, die Grenz-Vopos zu
passieren. Entweder nehmen die uns jetzt fest, oder die schießen – oder es
ist eben vorbei. Am nächsten Tag war die Mauer weg.
Haben Sie mit Die Ärzte mal in der DDR gespielt?
Nein. Wir sind einmal rübergefahren und haben ein Interview gemacht, das
war’s. Unser Bassist Hagen Liebing war da sehr hinterher, dass wir mal im
Osten spielen. Aber wir haben es nicht auf die Reihe gekriegt. Eine der
wenigen Sachen, die ich bereue.
23 Nov 2014
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Die Ärzte
Berlin
Popmusik
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