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# taz.de -- Nachruf auf Ärzte-Bassist Hagen Liebing: Zu früh
> Hagen Liebing hat als Bassist der „Ärzte“ Popgeschichte geschrieben, als
> Redakteur des Magazins „tip“ prägte er die Berliner Musikerszene. Am
> Sonntag ist er gestorben.
Bild: Da war er noch Arzt: Hagen Liebing 1987
Am Sonntagnachmittag posteten seine Kollegen aus der tip-Redaktion auf
Facebook einen seiner liebsten Songs: „[1][It’s All Over Now Baby Blue]“,
geschrieben von Bob Dylan, in der Version von Them und Van Morisson aus dem
Jahr 1966. Ein Lied zum Abschied von Hagen Liebing; einem Menschen, der
für, mit und von der Musik gelebt hat.
Ein Lied, in dem alles drinsteckt, was man in diesen Momenten mit dem
ehemaligen Mitglied der Band Die Ärzte und späteren Musikredakteur des tip
Berlin verbindet: Rock-’n’-Roll-Spirit, Soul, Melancholie. Trauer und
Trost. Aber auch die Hoffnung, das Lebensbejahende, den möglichen
Neuanfang, den man in den berührenden Versen findet: Strike another match,
go start a new. And it's all over now, Baby Blue.
Hagen Liebing war eine der treuesten Seelen der Berliner Musikszene.
Bekannt wurde er in den Jahren 1986 bis 1988 als Bassist bei Die Ärzte.
Eine vielzitierte Anekdote aus der Geschichte der selbst ernannten „besten
Band der Welt“ führte damals zu seinem Engagement: Mitte der Achtziger
hatten die beiden Ärzte-Masterminds Bela B. und Farin Urlaub den Bassisten
Hans Runge alias Sahnie unehrenhaft entlassen und waren auf der Suche nach
Ersatz.
Bela rief Hagen Liebing an, der bereits in verschiedenen Berliner Bands
gespielt hatte, und fragte ihn: „Willst du Popstar werden?“ Liebing wollte.
Und stieß genau in der Phase zu den Ärzten, in der sie eine der
berühmtesten und die berüchtigtste Band der Bundesrepublik wurden.
## Punk in Westberlin
Geboren wird Hagen Liebing 1961 in Berlin. Er wächst in Spandau auf und
wird Ende der Siebziger in der Punkszene Westberlins (musikalisch)
sozialisiert. Mit 18 spielt er in der Popgruppe Freundschaft (P.G.F.), die
Szene trifft sich zu dieser Zeit im Ballhaus Spandau oder im Jugendclub
Lipschitzallee. Von 1980 an spielt Liebing bei The Rubberbeats und lernt
bei gemeinsamen Auftritten seine späteren Bandkollegen Bela und Farin
kennen, die zu dieser Zeit als Soilent Green Punkrock fabrizieren.
Mitte der Achtziger hat Liebing mit The Nirvana Devils bereits seine
nächste Combo, ehe er zu den inzwischen gegründeten Ärzten gelotst wird.
Als ordentlicher Punk braucht man zu dieser Zeit natürlich auch ein
ordentliches Alias. Seines war: The Incredible Hagen.
Die Ärzte werden in der Zeit, als der unglaubliche Hagen zu ihnen kommt,
zur ersten Funpunk-Band, die bundesweit für Aufsehen sorgt. Ihr selbst
betiteltes Album „Die Ärzte“ (1986) wird genauso wie „Debil“, eines der
Vorgängerwerke, indiziert. Der Flirt mit dem Inzest in den Texten – in
„Geschwisterliebe“ – ist für die Bundesprüfstelle für jugendgefährden…
Medien too much.
Die Ärzte reagieren, indem sie das Album „Ab 18“ (1987) veröffentlichten,
auf dem sich weitere Funpunk-Klassiker wie „Helmut K.“ („Helmut Kohl
schlägt seine Frau“) und „Claudia hat ’nen Schäferhund“ finden. Bei d…
Aufnahmen spielt Hagen Liebing erstmals auch im Studio Bass. Bis zum
Erfolgsalbum „Das ist nicht die ganze Wahrheit …“ – unter anderem mit d…
Hit „Westerland“ – ist er Teil der Band, ehe diese sich 1988 auflöst.
Liebing setzt fortan sein Studium der Medienwissenschaften fort und wird
zum Musikjournalisten. Dass Die Ärzte bei ihrer Reunion 1993 Rodrigo
Gonzáles als Bassist einstellen und bei ihm nicht mal anfragen, sorgt für
kurze Verärgerung – später aber steht Liebing auch wieder mit den Ärzten
auf der Bühne: beim Jubiläumskonzert „15 Jahre netto“ 2002 auf dem
Kreuzberger Mariannenplatz. Seine Erfahrungen schreibt er in „The
Incredible Hagen – meine Jahre mit Die Ärzte“ 2003 auf.
Als Journalist beginnt er, Mitte der Neunziger unter anderem für den
Tagesspiegel zu schreiben, ehe er maßgeblich das Musikressort des
Stadtmagazins tip prägt, das er bis zuletzt geleitet hat. Dass der
tip-Musikteil zeitweilig vielen als Leitmedium in Berlin gedient habe, sei
seine eigentliche Lebensleistung gewesen, sagt Michael Beckmann, ehemaliger
Rainbirds- und heutiger Plan B-Bassist, der Hagen Liebing seit den
Achtzigern kannte. Als „immer smarten und zurückhaltenden, freundlichen
Menschen“ beschreibt er ihn. Fragt man andere, die ihn kannten, so sagen
sie Ähnliches über den Mann mit den buschigen Augenbrauen und den
gescheitelten Haaren. Er war jemand, „der sehr viel Spirit hatte“, sagt
Beckmann, „gepaart mit einem unglaublichen musikalischen Wissen. Eine
Rock-’n’-Roll-Seele, die Klugheit ausstrahlte.“
Neben der Musik gibt es in Liebings Leben eine weitere Leidenschaft:
Fußball, genauer: Tennis Borussia Berlin. Er ist Stammgast im
Mommsenstadion und wird in den Nullerjahren Pressesprecher des Vereins. Im
Klub engagiert er sich ehrenamtlich und sorgt so mit dafür, dass die
Verbindung von Musik- und Fankultur im Verein heute so ist, wie sie ist.
Privat ist Liebing seit Anfang der Neunziger mit der Radio Eins-Moderatorin
und -Musikchefin Anja Caspary liiert; sie haben zwei gemeinsame Kinder.
Es hatte sich zuletzt herumgesprochen, dass Liebing an einer unheilbaren
Krankheit litt. Sein Tod wird eine Lücke in der Berliner Musik- und
Kulturlandschaft hinterlassen – und nicht nur dort. Hagen Liebing starb am
Sonntag in Berlin. Er wurde 55 Jahre alt.
26 Sep 2016
## LINKS
[1] http://www.dailymotion.com/video/x1snxjh_them-its-all-over-now-baby-blue-19…
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Nachruf
Die Ärzte
Journalismus
Pop
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