# taz.de -- Bela B. im Interview: "Ich bin ein echter Fanboy" | |
> "Die Ärzte"-Schlagzeuger Bela B. wandelt immer häufiger auf Solopfaden. | |
> Ein Gespräch über Reichtum, Erfolg, Tätowierungen – und die Frage, wo der | |
> Punk geblieben ist. | |
Bild: "I hope I die before I get old? Das hat sich bei mir längst relativiert". | |
taz: Was würde Ihr 20-jähriges Alter Ego sagen, wenn es Sie heute sehen | |
könnte? | |
Bela B: Der geht stark auf die 50 zu. Hat viel Geld verdient. Spielt mit | |
seiner Band vor Zehntausenden, macht auch noch eine Solokarriere. Da wäre | |
der junge Bela auf jeden Fall misstrauisch. Aber vielleicht würde er mich | |
auch ein bisschen cool fin- den, schließlich fand ich mit 20 Keith Richards | |
auch ziemlich geil. | |
Reichtum, Erfolg - das hat eigentlich nichts mehr mit Punk zu tun… | |
Klar gilt wohl für die meisten Jugendlichen: Der Typ ist kein Punk mehr, | |
weil er viel zu viel Kohle hat. Trotzdem bin ich dieser Punkrock-Maxime | |
"Tu, was du willst" stets treu geblieben. Und dass ich maximal ein Jahr im | |
voraus denke, verbindet mich immer noch mit dem "No Future"-Gedanken. Wobei | |
ich natürlich nicht früh sterben will, sondern mir so eine Art Hedonismus | |
bewahrt habe. | |
Sie würden also keine Lebensversicherung abschließen? | |
Ich habe mein Testament gemacht, das war mir wichtig. Ansonsten ist es | |
nicht meins, die Zukunft zu planen, Zukunftsangst kenne ich sowieso nicht. | |
Ich bin halt kein Kopfmensch, Entscheidungen treffe ich meistens aus dem | |
Bauch heraus. In diesem Punkt ticke ich völlig anders als Farin Urlaub, der | |
fast alles durchdenkt und damit richtig fährt. Wir haben eben sehr | |
unterschiedliche Lebensmodelle. Jeder hat das gefunden, was für ihn perfekt | |
ist. | |
Heißt das, privat sind Sie ebenso impulsiv wie in der Öffentlichkeit? | |
Im Prinzip schon. Allerdings lässt der öffentliche Bela gewisse Ängste oder | |
Sensibilitäten nicht so nach außen treten, weil er sich nicht verletzlich | |
machen will. Deswegen habe ich ja irgendwann mein Alter Ego, den Grafen, | |
erfunden, der aus meiner Vorliebe für Horrorfilme entstanden ist. | |
Welche Rolle spielt das Fansein für Ihre Künstleridentität und Ihre Musik? | |
Es ist mein Treibstoff. Weil ich schon Poster von Chris Spedding | |
(englischer Rock- und Fusion- und Studio-Gitarrist, u. a. für Sex Pistols, | |
Roxy Music und Tom Waits, Anm. d. Red.) in meinem Kinderzimmer hatte, | |
wollte ich ihn unbedingt für meine Platte "Code B" gewinnen. Die Art, wie | |
er Gitarre spielt, hat mich extrem geprägt. Es gibt ein Solo von ihm mit | |
nur zwei Tönen. Sich so zu reduzieren, ist eine Kunst, die kaum jemand | |
beherrscht. | |
Sie begeistern sich auch für Duette mit Frauen. Was reizt Sie daran? | |
Wer sich Lee Hazlewood und Nancy Sinatra anguckt, der weiß: In so einem | |
Duett liegt stets eine sexuelle Spannung. Das ist quasi ein legitimes | |
Fremdgehen mit einer attraktiven Frau. Diesmal erzähle ich in dem Lied | |
"Liebe und Benzin" mit Emmanuelle Seigner so eine Art "Bonnie und | |
Clyde"-Geschichte. Bei einem Tankstellenüberfall verlieben sich Opfer und | |
Täterin ineinander. Natürlich ist das nur eine Fantasie - ich würde mich | |
niemals mit Roman Polanski anlegen… | |
Lieber knüpfen Sie in dem Stück "Als wir unsterblich waren" an Ihre Jugend | |
an. | |
Es gibt eben in mir immer noch diesen Zwölfjährigen, der mein Leben ganz | |
schön bestimmt. Ich bin ein richtiger Fanboy. Über ein Treffen mit Chris | |
Spedding freue ich mich tierisch. Wenn ich nur der abgeklärte Rockmusiker | |
wäre, der sich sowieso alles leisten kann, dann hätte ich diesen Spaß ja | |
gar nicht. | |
Was bedeutet Ihnen Geld? | |
Sicher finde ich es angenehm, dass ich nicht dreimal darüber nachdenken | |
muss, ob ich mir einen Comic oder eine CD kaufe. Aber die Welt hat sich für | |
mich nie allein um Statussymbole gedreht. Ich sammele keine Ferraris, keine | |
Rolex. Meine Freunde sitzen nicht im Millionärsclub, sondern im | |
Millerntorstadion bei St. Pauli. Wie viel Geld jemand hat, interessiert | |
mich nicht. Ich will Menschen um mich haben, die meine Leidenschaften | |
teilen. | |
Was reizt Sie denn mehr: Fan zu sein oder Fans zu haben? | |
Zuspruch zu bekommen, das ist schon cool. Wenn sich Leute mein Gesicht oder | |
mein Autogramm tätowieren lassen, dann habe ich jedoch gemischte Gefühle. | |
Einerseits bin ich extrem geschmeichelt, andererseits ist mir das | |
unheimlich. Trotzdem muss ich zugeben: Dass das Publikum bei meinen | |
Konzerten zu meinen Songs ausrastet, finde ich toll. Schließlich habe ich | |
mir das als Teenager erträumt. | |
Also lassen Sie sich lieber bejubeln, statt selber zu jubeln? | |
Nein. Das Fansein genieße ich genauso. Dabei habe ich nämlich die Chance in | |
einer Welt, in der alle bei McDonalds essen und sich bei H&M einkleiden, | |
meine individuellen Vorlieben auszuleben. Leider kommt im Zeitalter der | |
Globalisierung die Individualität immer mehr abhanden. Wir steuern mit | |
unserem einheitlichen Lebensstil auf einen kompletten Kollaps zu, fürchte | |
ich. | |
Machen Sie diesen Trend zur Vereinheitlichung auch in der Musikszene aus? | |
Absolut. Sehen Sie sich bloß an, wie lieblos heutzutage mit einem | |
Cover-Artwork umgegangen wird! Madonna zum Beispiel macht vier Fotos im | |
selben Kostüm, dazu kommen ein paar Texte - fertig ist die Laube. So kann | |
und will ich nicht arbeiten. Ich muss hundertprozentig hinter allem stehen | |
können, was ich tue. Das gilt für die Optik meiner CDs, meine Musik und | |
meine Auftritte gleichermaßen. | |
Und deswegen leben Sie bei Ihren Konzerten Ihr Faible für Glamour aus? | |
Ich bin halt ein Showtyp, darum lasse ich mir Kostüme schneidern. Weil ich | |
in den 70ern groß wurde, hat mich Glamrock geprägt. Damals fingen die | |
Männer an, sich zu schminken, sie trugen Glitzeranzüge und Plateausohlen, | |
trotzdem rockten sie hart. Dieser Stil von The Sweet oder Slade hat mich | |
einfach nie losgelassen. | |
Verstecken Sie sich hinter Ihrer Bühnenverkleidung? | |
Ich lebe durch sie eher einen Teil von mir aus. Dass ich privat nicht so | |
rumlaufe, hat einen ganz simplen Grund: Da jeder weiß, wer Bela B ist, | |
möchte ich mit extravaganten Klamotten nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf | |
mich lenken. | |
Da mag man kaum glauben, dass Sie mal Polizist werden wollten … | |
Ist unvorstellbar! | |
Sie lachen … | |
Im Ernst: Polizist war damals der Job, in dem es im ersten Lehrjahr das | |
meiste Geld gab. Also habe ich mich mit 15 bei der Polizei beworben. Kurz | |
vor Beginn der Ausbildung lernte ich im Zeltlager politisch links denkende | |
Leute kennen, die sagten zu mir: "Du wirst das schon machen. Es müssen ja | |
auch gute Menschen bei der Polizei sein." Aber ich war dort vom ersten Tag | |
an unglücklich. Erst als ich nach zwei Wochen kündigte, ging es mir wieder | |
richtig gut. | |
Bis Sie eine Lehre zum Dekorateur begannen? | |
Das habe ich für meine alleinerziehende Mutter getan. Die war total | |
entsetzt, als ihr Sohn plötzlich arbeitslos war. Daher musste ein anderer | |
Ausbildungsplatz her. Wobei schon in dieser Zeit klar war: Eigentlich ist | |
Musik meine Welt. Mit 20 hörte ich zum ersten Mal Lee Hazlewood, ich fand | |
Sid Vicious geil, der Satz "I hope I die before I get old" aus dem | |
The-Who-Song "My Generation" sprach mir aus der Seele. Was sich natürlich | |
längst relativiert hat. | |
Trotzdem haben Sie mit "In diesem Leben nicht" ein Lied über den Tod | |
geschrieben. Klopft da das Alter an? | |
Vor einigen Jahren machte ich eine Nahtoderfahrung. Darauf basiert dieses | |
Stück, mit dem ich die Angst vor dem Sterben ein bisschen abschwächen | |
wollte. Zugleich hat es aber auch etwas mit den Stationen eines Lebens zu | |
tun: An jedem Punkt, an dem du ankommst, stirbt ein Teil deiner | |
Vergangenheit. | |
18 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Dagmar Leischow | |
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