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# taz.de -- Kasse streicht Palliativversorgung: Stirb schneller!
> Einer Krebspatientin verweigert die IKK urplötzlich die Schmerztherapie.
> Der Patientin selbst teilt die Krankenkasse das gar nicht mit.
Bild: Ein Palliativ-Team kann Linderung schaffen - wenn die Kasse zahlt.
HAMBURG taz | Doris Schober* (43) ist unheilbar krebskrank. Sie ist
bettlägerig und wird zu Hause in Elmshorn rund um die Uhr medizinisch
versorgt und gepflegt. Ohne Morphium würde sie schreien vor Schmerzen. Für
ein längeres Gespräch hat sie keine Kraft mehr.
„Dass es die ambulante Palliativversorgung für Patienten wie sie überhaupt
gibt, ist ein Segen“, sagt Alice Zacharias, ehrenamtliche, ambulante
Hospizmitarbeiterin der Johanniter. „Ihre Medikamente sind gut eingestellt,
sie kann sogar mit Freude essen.“ Umso schockierter war sie, als die
Patientin von ihrem Arzt erfuhr, dass ihre Krankenkasse, die IKK, die
Kosten für die nicht mehr übernimmt.
„Mittags am 5. November erhielt ich ein Fax, dass die Bewilligung am
gleichen Tag um Mitternacht endet“, berichtet der Arzt Burkhard Schmieding.
„Sehr befremdlich.“ Der Palliativmediziner, der Schober seit knapp einem
Jahr betreut, hatte eine Nachfolgeverordnung für die „Spezialisierte
Ambulante Palliative Versorgung“ (SAPV) bei der IKK eingereicht. Das muss
er regulär alle acht Wochen tun. Begründung für die Ablehnung: Die
Verordnung sei identisch mit der vorherigen und es gäbe keine neuen
Erkenntnisse.
Doris Schober selbst erhielt zunächst gar keine Nachricht von der IKK.
Gerhard Boll, Geschäftsführer der DRK Schwesternschaft Ostpreußen e.V. in
Itzehoe, Casemanager des für Schober zuständigen Palliativ-Teams, musste
die Krankenkasse erst bitten, die Patientin zu informieren. Den Brief der
Kasse, in dem die Ablehnung nicht begründet wurde, erhielt die Patientin
dann am 11. November, also fast eine Woche nach Ablauf der Kostenübernahme.
Was passiert, wenn ein sterbenskranker Mensch keine Palliativversorgung
mehr bekommt? Der Palliativmediziner ist nicht mehr zuständig, auch die
spezialisierten Pflegekräfte nicht. Ein Hausarzt würde die medizinische
Versorgung übernehmen, doch der ist in der Regel nicht speziell
palliativmedizinisch geschult. Würde es der sterbenskranken Frau nachts
plötzlich schlecht gehen, müsste der Notarzt kommen. Das könnte auch ein
Arzt ohne palliativmedizinische Erfahrung sein, der die ihm unbekannte
Patientin dann eventuell ins Krankenhaus überweisen müsste.
„Das medizinische Geschehen und die Versorgung sind in vielen Fällen – so
auch bei Frau Schober – sehr komplex“, erläutert Palliativspezialist
Schmieding. Da eine Heilung in diesem Stadium bei Krebserkrankungen nicht
mehr möglich ist, geht es nur noch um Linderung: Schmerztherapie,
Verhinderung von Luftnot, Übelkeit, Erbrechen, Angst und Panik. Der
betreuende Arzt hat 24 Stunden Bereitschaft.
Schober hat Widerspruch bei der IKK eingelegt, was sie aufgrund ihrer
krankheitsbedingten Schwäche ohne Hilfe anderer gar nicht könnte. Dem hat
die Krankenkasse am 18. November stattgegeben. Allerdings zunächst nur, bis
ein Zweitgutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK)
vorliegt.
Das Antragsverfahren hält IKK-Sprecherin Angelika Stahl auf Nachfrage für
keine größere Belastung für Doris Schober. Sie sei nicht von bürokratischen
Hürden betroffen, da die Prüfung der weiteren medizinischen Notwendigkeit
zwischen dem MDK, der Kasse und dem Palliativ-Team erfolge. Gerhard Boll
vom Roten Kreuz meint dagegen: „Das verwaltungstechnische Prozedere ist für
die Betroffenen grundsätzlich zu lang und im Widerspruchsverfahren für sie
und die Angehörigen außerordentlich belastend.“
Der zuständige MDK Nord begutachte nur noch wenige, strittige Fälle, sagt
dessen Sprecher Jan Gömer. „Die Leistungsentscheidung trifft immer die
Krankenkasse.“ Der Palliativmediziner Burkhard Schmieding schätzt, sechs
bis zehn Prozent der Verordnungen würden abgelehnt.
Doch was an diesem Fall könnte strittig sein? Eine gute Versorgung könne
den Allgemeinzustand verbessern und lebensverlängernd wirken, die Patienten
„blühten auf“, sagt Burkhard Schmieding. In den Richtlinien für die SAPV
ist aber von einer zu erwartenden Lebenszeit von Tagen, Wochen oder Monaten
die Rede. Doris Schober hat die ihr gestellten Prognosen übertroffen.
*Name geändert
25 Nov 2014
## AUTOREN
Angela Dietz
## TAGS
Krankenkassen
Bremen
Kongress
Palliativmedizin
Krankenkassen
Pflege
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