# taz.de -- Studie über junge Juristen: Gerne auch drakonisch | |
> Jeder dritte Jurastudent will am Anfang seiner Ausbildung die Todesstrafe | |
> zurück. Laut einer Studie wächst bei jungen Juristen insgesamt der Wunsch | |
> nach hohen Strafen. | |
Bild: Jura-Vorlesung in Freiburg. | |
ERLANGEN dpa | Es ist paradox: Die Zahl der Morde und Totschläge sinkt in | |
Deutschland seit Jahren. Die Leute fühlen sich so sicher wie fast nie | |
zuvor. Und dennoch wächst bei jungen Jurastudenten der Wunsch nach immer | |
härteren Strafen. Ein Drittel von ihnen befürwortet laut einer Studie sogar | |
die Todesstrafe. Etwa gleich viele finden, dass selbst eine lebenslange | |
Haft bei manchen Straftaten noch zu mild ist. Und die Hälfte der Befragten | |
würde einen Verdächtigen foltern, wenn damit ein Menschenleben gerettet | |
oder die Allgemeinheit beschützt werden könnte. | |
[1][Für seine Langzeitstudie] hat der Erlanger Jura-Professor Franz Streng | |
zwischen 1989 und 2012 etwa 3.100 Jurastudenten befragt, die gerade mit | |
ihrem Studium begonnen hatten. „Das sind Ausbildungsanfänger, die noch | |
durch die Schule, ihr Elternhaus und die Medien in ihren Ansichten geformt | |
sind“, sagt Streng. | |
Die befragten Studenten schätzten das Risiko, selbst Opfer eines Angriffs | |
zu werden, im Lauf der Jahre als immer geringer ein. Gleichzeitig würden | |
sie für ein bestimmtes Delikt heute deutlich höhere Strafen verhängen als | |
früher. Dies zeigte sich an einem fiktiven Beispiel: Ein Totschlag im | |
Affekt nach der Trennung eines Pärchens. Wurden 1989 im Schnitt noch etwa | |
sechs Jahre Haft als angemessene Strafe betrachtet, waren es 2012 fast | |
neuneinhalb Jahre. | |
Mit [2][Blick auf die Kriminalstatistik] lässt sich dies nicht erklären. | |
Demnach sinkt seit 2007 die Zahl der Gewalttaten. „Das Bemerkenswerte ist, | |
dass die ganz schweren Straftaten in Deutschland langfristig immer weiter | |
abgenommen haben“, sagt Streng. „Die Befragten fühlen sich heute so sicher | |
wie kaum jemals.“ Und dennoch werden von den angehenden Juristen höhere | |
Strafen gewollt. | |
## Hohe Strafen bringen nichts | |
Vor 37 Jahren wollte mehr als ein Drittel der Jura-Anfänger die lebenslange | |
Freiheitsstrafe ganz abschaffen, weil sie als zu hart empfunden wurde. | |
Heute wollen das nur noch zwei Prozent. Die Todesstrafe wurde 1977 von | |
knapp 12 Prozent der Befragten befürwortet. Vor vier Jahren dagegen wollte | |
sie jeder dritte Student zurück. | |
[3][//www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/Strafverfolg | |
ungVollzug/StrafverfolgungsstatistikDeutschlandPDF_5243104.pdf?__blob=publi | |
cationFile:Einen weiteren Punkt] gibt Streng zu bedenken: „Wir wissen | |
inzwischen, dass hohe Strafen gar keinen Sinn haben.“ Sie helfen demnach | |
weder bei der Resozialisierung noch verhindern sie Straftaten. Eine Strafe | |
müsse vor allem angemessen sein und dürfe die Straftat nicht | |
bagatellisieren. „Aber sie soll zugleich Rücksicht nehmen auf das künftige | |
Leben des Bestraften. Und unter diesen Aspekten bereitet mir die | |
Entwicklung unter den jungen Leuten Sorgen.“ | |
Der Professor meint: „Junge Juristen werden für das Strafrecht nicht | |
hinreichend ausgebildet. Sie lernen zwar sehr gut das Strafrecht als | |
Solches, aber sie erhalten nicht die notwendigen Kenntnisse aus | |
Psychologie, Soziologie und Psychiatrie.“ Die meisten wüssten daher nicht, | |
was sie von der Wirksamkeit einer Strafe erwarten können. Streng plädiert | |
daher dafür, dass angehende Richter und Staatsanwälte eine verpflichtende | |
Ausbildung in Kriminologie bekommen. | |
Ihn habe überrascht, dass der Wunsch nach höheren Strafen zum Teil so | |
dramatisch angestiegen sei, sagt Streng. „Die Todesstrafe ist aber | |
letztlich eine fiktive Geschichte, weil sie durch unsere Verfassung | |
abgeschafft ist, und zugleich über internationale Verträge etwa im Rahmen | |
der EU überhaupt nicht dran zu denken ist, dass man sie wieder einführt.“ | |
## Medien und „allgemeine Verunsicherung“ | |
Streng glaubt, dass heute mehr an die Opfer gedacht wird. „Die | |
Opferorientierung ist sehr sinnvoll im Strafrecht und sie ist früher | |
vernachlässigt worden. Sie hat aber auch problematische Nebenwirkungen“, | |
sagt Streng. „Wer sich abstrakt für Opferbelange stark macht, der neigt zu | |
hohen Strafen.“ | |
Ein zweiter Erklärungsansatz: „Die Medien mit ihrer exzessiven Betonung von | |
'Crime' – also Sendungen, die man als kriminalistisch bezeichnen kann.“ | |
Dies führe zu einer „allgemeinen Verunsicherung“. Die Fülle der Sendungen | |
habe aber mit der Realität nichts zu tun. "Wer sehr viele Kriminalfilme | |
anschaut, der ist eher geneigt, höhere Strafen zu verhängen", sagt Streng. | |
Im Berufsleben gibt es nach Angaben des Deutschen Richterbundes letztlich | |
jedenfalls keine signifikanten Unterschiede zwischen jüngeren und älteren | |
Juristen. In der Praxis sei „zwischen älteren und jüngeren Kollegen kein | |
Unterschied bezüglich der Höhe der beantragten oder verhängten Strafen | |
erkennbar“, sagte Stefan Caspari, Strafrechtsexperte des Richterbundes. | |
„Strengere und mildere Richter gibt es in allen Altersgruppen – dies hängt | |
ausschließlich von der Persönlichkeit ab.“ | |
26 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://blogs.fau.de/news/2014/09/01/wunsch-nach-hoeheren-strafen-waechst/ | |
[2] http://www.bka.de/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/pks__node.… | |
[3] http://https | |
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