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# taz.de -- Tanzperformance „Made in Bangladesh“: Das Auf und Ab der Nadeln
> Mit Tänzerinnen aus Bangladesch hat Regisseurin Waldmann ein Stück über
> die Textilindustrie entwickelt. Ein Besuch.
Bild: Aus den reduzierten, sich ständig wiederholenden Abläufen der Nähfabri…
Sie kichern oder verkneifen sich das Grinsen, die Tänzerinnen aus
Bangladesch, die in Berlin mit Helena Waldmann proben. Waldmann,
Tanzregisseurin, korrigiert gerade einzelne Szenen.
Die meisten der Tänzerinnen sitzen auf Kissen am Rand und amüsieren sich
über die Ratlosigkeit eines zierlichen Kollegen, der eine Sequenz
wiederholen soll, aber diesmal mit dem Rücken zum Publikum. Im Kathak, der
genutzten Tanztechnik, ist das unüblich; gegen die Wand zu blicken,
irritiert ihn. Doch das Unverständnis, mit dem er dies seiner Regisseurin
signalisiert, ist übertrieben und gespielt.
Nach fast drei Monaten Proben, zwei davon in Bangladesch, die letzten
Wochen in einem Berliner Probenraum, kennt das Ensemble aus neun
Tänzerinnen und drei Tänzern das schon. Helen Waldmann dreht Figuren aus
dem Tanz, versucht verschiedene Richtungen. Und wenn sie die Tänzer zu
Improvisationen herausfordert, dann auch, um herauszufinden, was sich für
die Tänzer gut und was befremdlich anfühlt: „Anfangs waren wir verwirrt“,
sagt die Tänzerin Mehmaz Sharimin, „warum ändert sie so viel und andauernd.
Die Verständigung geht manchmal Umwege, aber sie kann damit umgehen.
Inzwischen haben wir begriffen, worauf das hinausläuft.“
Neben Helena Waldmann sitzt Vikram Iyengar, ihr Ko-Choreograf aus Kalkutta.
„Ohne ihn wäre ich aufgeschmissen“, sagt Waldmann, er ist ihr Vermittler
und Übersetzer, wo das Englisch nicht ausreicht. Vor allem aber ist er
Experte im Bewegungsstil Kathak, einer Tanztechnik, die alle in der Gruppe
schon in früher Jugend gelernt haben.
Es ist ein stampfender Tanz, mit unglaublich schnellen Füßen, die feste
gegen den Boden stoßen. Seine Bewegungsrichtung ist die Vertikale, von oben
nach unten saust die Kraft. „Das hat mich interessiert, dieser gehörig
starke Druck, der dabei ausgeübt wird, weil er mich an das Auf und Ab der
Nadeln in den Nähmaschinen erinnert hat. Deshalb habe ich mich für den
Kathak entschieden“, sagt die Regisseurin.
## Riskante Arbeitsbedingungen, tödliche Unfälle und minimale Bezahlung
Ihr Stück „Made in Bangladesh“ setzt bei der Textilindustrie in Bangladesch
an. Die ist berühmt-berüchtigt für riskante Arbeitsbedingungen, tödliche
Unfälle und minimale Bezahlung. Das Thema vor Ort zu recherchieren, war
nicht einfach. Doch eine der Tänzerinnen, Munmum Ahmed, ist in ihrem Land
ein Star und hat eine eigene Tanzschule. Sie unterrichtet auch die Tochter
eines Fabrikbesitzer der Textilindustrie. Und der war bereit, sich mit
Waldmann und ihren Tänzern zu treffen, ihnen Interviews zu geben und sie in
die Produktionsräume zu lassen.
„Aber wir kamen nur in der Mittagspause in die Fabrik“, erzählt Waldmann,
„denn, so sagte der Fabrikbesitzer, in der Arbeitszeit würde unsere
Anwesenheit den Output schmälern. Als wir in der Pause zwischen den
Maschinen einige Bewegungen des Kathak ausprobiert haben, kamen
Arbeiterinnen dazu und haben die Tänzerinnen nachgemacht. Dann haben wir
gesagt, zeigt uns mal die Bewegungen, die ihr tausendmal am Tag macht.“ Auf
diesem Besuch in der Fabrik beruht ein kurzer [1][Trailer] zu „Made in
Bangladesh“.
Weiteren Kontakt zu einzelnen Näherinnen stellte Nasma Akter her, eine
bekannte Aktivistin für die Rechte der Arbeiter. „Sie vermittelte uns zwölf
Näher, die Paten für meine Tänzer wurden, sich mit uns trafen und von ihrem
Leben erzählten.“ Wie hält der Körper das aus, wenn er sich acht, zehn und
mehr Stunden lang immer denselben reduzierten Abläufen unterwerfen muss,
das vor allem beschäftigte die Tänzer.
„In den Fabriken steht jede Bewegung unter den Prämissen von Output, die
Effektivität steigern, das Tagesziel erreichen“, sagt Waldmann. „Wir waren
mal in einer Fabrik, da hat einer von unten im 7. Stock angerufen: ’Alert,
alert, buyers are coming‘, und dann saßen da alle lächelnd an ihren
geputzten Maschinen.“
## Man spürt den Druck von Anfang an: Output, Effektivität, Konkurrenz
Für das Stück „Made in Bangladesch“ werden die Tänzer und Tänzerinnen im
ersten Bild selbst zu Teilen einer Maschine, die exakte, reduzierte
Bewegungen wiederholen und wiederholen, in einem kaum aushaltbaren Tempo.
Sie drehen sich wie die Spindeln der Garne auf den Nähmaschinen und ordnen
sich zu Reihen. Im Hintergrund sieht man eine schachbrettähnliche
Anzeigentafel, die für jeden Arbeitsplatz in jeder Stunde die Stückzahlen
angibt.
Jeder ist so dem ständigen Wettbewerb ausgesetzt, mehr zu schaffen als sein
Nachbar. Output, Effektivität, Konkurrenz. Ein „Line-Manager“ gibt
Anweisungen, der Ko-Choreograf übernimmt die Rolle. Man spürt den Druck,
der von Anfang an da ist, und seine stetige Steigerung.
Bevor der Durchlauf geprobt wird, gibt es Tee, Rosinen, Zimtsterne. Kostüme
werden gebracht und zusammen beurteilt, farblich wunderbar abgestimmt, aber
spannt es nicht in der Bewegung? Mehrfach suchen die Tänzerinnen nach der
Schmerzsalbe, drei große Tuben hat die Assistentin gekauft. Einige machen
Yoga, fast alle schauen auf ihre Smartphones nach den Nachrichten von zu
Hause.
Zu den Tänzerinnen gehört auch Tumtumi Nuzaba, die in ihrer Stadt an einem
College Tanz unterrichtet. Nebenher entwirft sie Mode aus traditionellen
Materialien aus Bangladesch. Die Vorstellung aber, zu versuchen, mit den
Mitteln des Tanzes über die Textilindustrie erzählen, war für sie neu.
Für Tänzerin Shareen Ferdous ist das Thema im Alltag immer gegenwärtig:
„Wir bekommen den Protest der Textilarbeiter gegen ihre Arbeitsbedingungen
mit, die Streiks, [2][den Kampf um höhere Löhne]“, erzählt sie. „Es gibt
auch viele Songs über den Protest, Musiker schreiben Lieder für die Näher,
Maler greifen das Thema auf. Aber dass sich eine Theaterproduktion damit
beschäftigt, das ist neu.“ Wenn alles gut geht, wird ihre Produktion, die
am 26. November in Ludwigshafen Premiere haben wird, auch in Bangladesch
und anderen asiatischen Ländern laufen.
## Auch in der Kunst geht es immer nur um Output
Helena Waldmann, die in Berlin lebt, wenn sie nicht auf Reisen ist, ist
international gut vernetzt und arbeitet oft mit Unterstützung des
Goethe-Instituts, das auch hier als einer von neun Koproduzenten mitmacht.
Bekannt wurde sie vor neun Jahren mit dem Stück „Letters form Tentland“,
das sie mit Darstellerinnen aus dem Iran entwickelt hatte. Mit einem sehr
bildhaften Ansatz erkundeten sie den Bewegungsraum der Frauen in der
Öffentlichkeit im Iran.
Sie lernt jedes Mal viel von ihren Darstellerinnen, von deren Alltag, von
ihren ästhetischen Sprachen, eine sehr wörtlich zunehmende
Horizonterweiterung. Dennoch bleiben ihre Stücke nicht beim Blick auf die
Erfahrungswelt ihrer Performerinnen stehen. So nutzt sie auch in „Made in
Bangladesch“ das Thema der Textilindustrie, um einen Bogen zu uns zurück zu
schlagen.
„Es ist einfach zu sagen, die Ausbeutung findet in Bangladesch statt, das
ist schön weit weg. Aber im zweiten Teil des Stücks befinde ich mich in
Europa“, sagt Waldmann, während eines letzten Warm-ups der Tänzer vor dem
Durchlauf. „Die Tänzer machen fast dasselbe, aber die Kontexte sind
verschoben. Wieder geht es um totale Optimierung, besser werden, schneller.
Das gilt auch im Kontext von Kunstproduktionen, es geht immer um Output.“
Die Regisseurin redet sich in Rage. „Es fehlt an Wertschätzung gegenüber
der geleisteten Arbeit.“
26 Nov 2014
## LINKS
[1] http://www.youtube.com/watch?v=vwtY9Bh_7tM
[2] /Naeherinnen-in-Bangladesch-fordern-Lohn/!143523/
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
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