# taz.de -- Pro und Contra: Soll man sonntags arbeiten? | |
> Das Bundesverwaltungsgericht will, dass Callcenter, Bibliotheken und | |
> Videotheken am 7. Tag geschlossen bleiben. Das finden nicht alle gut. | |
Bild: Mit der Familie im Bett bleiben: geht gut am Sonntag. Wenn man nicht arbe… | |
## JA | |
Sonntags fahren Busse und werden Kranke gerettet. Man kann frische Brötchen | |
kaufen, ins Restaurant, ins Kino und in die Kirche gehen. Man kann Radio | |
hören und sogar Pferdewetten abschließen. | |
Das geht alles, weil Menschen arbeiten, während andere frei haben. Das ist | |
gut so, sonst würde sonntags vielleicht öfter gestorben. An Krankheiten. An | |
Hunger. An Verblödung. An Langeweile. | |
Aber vielleicht passiert das ja bald. Denn das Bundesverwaltungsgericht | |
will, dass Videotheken und öffentliche Bibliotheken sonntags geschlossen | |
bleiben. Auch Callcenter dürfen dann nicht nerven. Okay, wer will schon, | |
wenn man Sonntagvormittag in seine warme Schrippe beißt, so einem | |
Meinungsumfragen-Depp erzählen, ob man Cola trinkt oder dem Liebsten treu | |
ist. | |
Was aber spricht dagegen, am Sonntagnachmittag eine DVD auszuleihen, | |
spontan, mit Muße? Nach dem Joggen in den Lesesaal zu gehen? Mit der | |
Tochter die neue Jeans zu kaufen? Was man sonst so nicht schafft. | |
All den Sonntagspredigern, die da meinen, dieser Tag müsse ein Familientag | |
und darf niemals, niemals etwas anderes sein, sei gesagt: Auch Tierpfleger | |
im Streichelzoo haben Familien. Auch Eisverkäufer. Auch Notärzte. Sie alle | |
stehen sonntags für fremde heilige Familien bereit. | |
Diesen Sonntagspredigern sei auch gesagt, dass nicht jede und jeder am | |
Sonntag arbeiten MUSS. Aber grundsätzlich sollte das denjenigen, die das | |
wollen, erlaubt sein. Für Sonntagsdienste gibt es gewöhnlich einen Tag in | |
der Woche frei. Dann kann man den Sonntag nachholen. Und zudem Dinge | |
erledigen, die am Wochenende verboten sind. | |
Dieses katholische | |
Wir-scheuchen-die-Kinder-am-Sonntag-früh-aus-dem-Bett-und-gehen-alle-schön- | |
zusammen-in-die-Kirche-und-danach-auf-den-Rummel ist old school und | |
überbewertet. Übrigens: Familien dürfen auch an einem Mittwoch zusammen | |
sein. Oder an einem Donnerstag. Oder wann auch immer. Das ist nicht | |
verboten. Wirklich nicht. (SIMONE SCHMOLLACK) | |
*** | |
## NEIN | |
Alle reden von Entschleunigung – aber wenn es darauf ankommt, wollen sie | |
auf Bequemlichkeiten nicht verzichten. Was spricht schon dagegen, fragt der | |
gehetzte urbane Mensch, sonntags einkaufen zu gehen oder Videos auszuleihen | |
oder telefonisch Handyverträge abzuschließen? Dann habe man schließlich | |
Zeit und Muße dafür. | |
Der Clou ist: Zeit und Muße dafür existieren bislang sonntags nur, weil es | |
die jahrhundertealte Tradition gibt, dass am siebten Tage Ruhe herrsche. Im | |
christlich geprägten Abendland ist das der Sonntag; bei Juden und Muslimen | |
sind es andere Tage. Um den Erhalt dieser Tradition kämpfen Kirchen und | |
Gewerkschaften seit Jahren in Deutschland gleichermaßen. Sie wurden nun vom | |
Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Das ist sehr erfreulich. | |
Denn die Realität sah in den vergangenen Jahren anders aus. Immer mehr | |
Branchen ließen auch am Sonntag malochen, um schnelle Profite zu machen. | |
Arbeiteten 1992 noch knapp 21 Prozent der Berufstätigen an Sonn- und | |
Feiertagen, so waren es zwanzig Jahre später schon knapp 29 Prozent. | |
Höchste Zeit, dass dieser Trend umgekehrt wird. | |
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Der Sonntag ist einer der wenigen | |
Ruhepole, an dem er sich mit anderen Menschen treffen kann, weil die | |
meisten dann Zeit haben: im Fußball- oder Schachverein, bei der Ballett- | |
oder Bauchtanzgruppe, in der Kirche oder beim Parteitag, beim | |
Kindergeburtstag oder beim Krankenhausbesuch. | |
Es ist ganz logisch: Je mehr die Menschen sonntags – das gilt auch für | |
samstags oder abends – zur Arbeit gehetzt werden, umso weniger Chancen | |
haben sie, sich mit Gleichgesinnten zu treffen, weil es immer jemanden | |
geben wird, der gerade dann arbeiten muss, wenn andere Zeit hätten. | |
Sinnvoll ist es deshalb, zumindest die Sonn- und Feiertagsarbeit auf das | |
Nötigste zu begrenzen. Statt Hetze und ständiger Erreichbarkeit braucht es: | |
mehr Zeitwohlstand für alle! (RICHARD ROTHER) | |
28 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Richard Rother | |
Simone Schmollack | |
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Bundesverwaltungsgericht | |
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