# taz.de -- Utopisches Buch „Die bleichen Füchse“: Aussteigen mit Yannick | |
> In seinem Roman „Die bleichen Füchse“ entwirft der französische | |
> Schriftsteller Yannick Haenel einen Aussteiger. Dem ist Aktualität egal. | |
Bild: Im Pariser Viertel Belleville haben die Migranten in „Die bleichen Füc… | |
Die Politik frisst die Körper, die noch die Schwäche haben, an sie zu | |
glauben.“ Yannick Haenel, französischer Schriftsteller, hat dies | |
formuliert. Er entwirft in seiner als Roman titulierten | |
utopisch-negatorischen Schrift „Die bleichen Füchse“ einen Aussteiger, der | |
etwas Besseres als die „Sklaverei“ in der Banlieue sucht. Einen | |
43-Jährigen, „dem die ’Aktualität‘ scheißegal ist“, und „der nur n… | |
Rändern Aufmerksamkeit schenkt, dem Saum, den Krümmungen der Wolken und dem | |
Unkraut, das die letzten Brachen von Paris bedeckt“. | |
Haenels Held gibt also ein altes Leben auf, das in seinem Fall kaum mehr | |
als die Vereinzelung in einer tristen Behausung und den Meldegang aufs | |
staatliche Amt umfasst. Er zieht ins Auto um. Sein neues Leben beginnt am | |
Straßenrand im 20. Arrondissement von Paris – einem innerstädtischen | |
Bezirk, zu dem auch das Einwandererviertel Belleville gehört. | |
Hier ist einiges los und zu beobachten. Afrikanische Männer, die als | |
Illegale obdachlos auf der Straße leben und in Mülltonnen übernachten. Sie | |
kamen um einzusteigen, doch außer der Sympathie von Aussteigern, so legt | |
Haenel in „Die bleichen Füchse“ nahe, haben sie nichts zu erwarten. | |
„Um in Form zu bleiben und um mich zu waschen, gehe ich jeden Tag ins | |
Schwimmbad Tourelles.“ Haenels Aussteiger ist trotz | |
poetisch-skeptizistischer Grundhaltung nicht in allen Belangen an der | |
Lebenswelt des alten (ungewaschenen) Antikapitalismus orientiert. Ansonsten | |
sind die Anlehnungen an den vor 20 Jahren verstorbenen Guy Debord, den | |
Situationismus und den Pariser Mai 1968 fast schon penetrant. Immerhin, die | |
Sache mit dem Körper und dem Sport bedeuten eine gewisse Erweiterung. | |
Die zentrale Parole in Haenels Erzählung bleibt jedoch eine | |
situationistisch aufgeladene: „Die Gesellschaft existiert nicht“, ergänzt | |
um die Zeichnung eines mythisch-afrikanischen Hexenfisches. Ähnlich wie | |
viele der deutschen Lampedusa-Flüchtlingsaktivisten in Hamburg-St. Pauli | |
oder der (vertriebenen) Campaktivisten vom Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg | |
versucht der 1967 geborene Franzose den politischen Linksradikalismus mit | |
den heutigen Kämpfen um Migration zusammenzubringen. Klar, auf der Straße | |
helfen sich die Vernünftigen unter den Schwachen gegenseitig, aber haben | |
sie deswegen auch dieselben Ziele? Wohl zumeist eher nicht. | |
## Linksdrehende Kapitalismuskritik | |
Haenels bohemistischer Held kann aussteigen, während die Migranten, die er | |
trifft, nicht einsteigen dürfen. Das sind Unterschiede, die sich – bei | |
aller Sympathie für romantische Ideen – nicht einfach verwischen lassen. | |
Die linksdrehende Kritik am Kapitalismus lässt sich nicht einfach denen | |
überstülpen, die hier anlanden und auf Teilhabe an westlichem Rechtssystem | |
und Konsumwelt hoffen. | |
Immerhin: Haenel kennt, zumindest da, wo er Romancier und nicht Agitator | |
ist, Körper und Begehren. Für moralisierend Linksdrehende ist das Sprechen | |
über Sex ja in etwa gleich abstoßend wie der Anblick von Knoblauch für | |
Vampire. | |
Der Autor persifliert sich eine schwerbrüstige „polnische Königin“ im rot… | |
Badeanzug, Marx lesend, und lässt sie es mit seinem Helden auf dem Grab | |
eines Generals der Pariser Kommune treiben: „Das ist Voodoo, bemerkte sie | |
lächelnd. Dann ließ sie Wodka über ihre Brüste rinnen, und ich leckte ihn | |
ab. Sie trank den Wodka aus der Flasche, kauerte sich auf allen vieren auf | |
den Stein, das Gesicht ganz nah am Namen des Helden, und bat mich, es ihr | |
dreckig zu besorgen. Ich steckte ihr einen wodkanassen Finger in den Arsch, | |
dann drang ich in sie ein.“ Wie hieß das eingangs? Die Politik frisst die | |
Körper. | |
5 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Fanizadeh | |
## TAGS | |
Roman | |
Paris | |
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Marquis de Sade | |
Patrick Modiano | |
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