# taz.de -- Aufklärung vor Ort: Klarheit über das Vergangene | |
> In der Stadtbibliothek nutzen zahlreiche Bremer die Gelegenheit, Einsicht | |
> in Stasi-Akten zu beantragen. | |
Bild: Stasi-Keller in Parchim, 4. Dezember 1989: Was nicht in letzter Minute no… | |
BREMEN taz | Wortfetzen wabern durch den Wallsaal der Zentralbibliothek, | |
ein Gemurmel, das nach geheimnisverhangenen, unangenehmen Geschichten | |
klingt: „Decknamen-Entschlüsselung“. „Verschwundene Akten“. „Mein On… | |
nie was erzählt“. Ältere Damen und Herren – hauptsächlich Herren – sit… | |
an kleinen Tischen und warten. Darauf, von den eigens angereisten | |
MitarbeiterInnen des „Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen“ | |
aufgerufen zu werden. Sie wollen Akteneinsicht beantragen. | |
Die Verwandten in der DDR seien „politisch tätig“ gewesen, erzählt ein | |
Mittsechziger. So sei es bei ihnen auch!, sagen zwei Männer vom Nebentisch. | |
Das erweist sich allerdings als missverständlich: Mit „politisch tätig“ | |
meinen sie nicht, dass ihre Verwandten in kirchlichen Umweltgruppen oder | |
sonst wie oppositionell aktiv waren – sondern als Parteikader. Jetzt wollen | |
sie wissen, ob sie als West-Verwandte observiert wurden, „vielleicht von | |
den Verwandten selbst“. | |
„Drei Mal fuhr gerade die Post weg, als ich zu Besuch kam“, erzählt einer, | |
„die war für Telefone zuständig.“ Im Nachhinein komme ihm das schon | |
„komisch“ vor. Dann beugen sich alle wieder über ihre Antragsbögen. Man | |
kann als „Betroffener“ Auskunft wollen, oder in Bezug auf verstorbene | |
Angehörige. Dann wiederum ist zu entscheiden, ob es um Rehabilitierung, | |
Persönlichkeitsrechte oder „Schicksalsaufklärung“ geht. „Der Zweck der | |
Auskunft ist glaubhaft zu machen“, steht auf dem Formular, „Ankreuzen | |
reicht nicht aus“. | |
Im Zweifelsfall hilft Klaus Költzsch weiter. Zusammen mit einer Kollegin | |
sitzt er im Nebenzimmer, alle paar Minuten winkt er einen Antragsteller | |
herein. Wobei es auch Gespräche gibt, die gut eine Stunde dauern. | |
Kompliziert wird es beispielsweise, sagt Költzsch, wenn jemand Auskünfte | |
aus den Akten Dritter möchte. Wenn man vermutet, man könne in deren Akten | |
vorkommen. Das muss man dann gut begründen. | |
Wie etwa steht es mit dem Enkel, der wissen will, ob Opa tatsächlich nur | |
unter Stasi-Zwang in die LPG (Landwirtschaftliche | |
Produktionsgenossenschaft) eintrat? Wenn Opa tot ist, kann jeder seiner | |
Verwandten bis zum dritten Grad die Akten einsehen. „Aber es kann ja sein“, | |
sagt Költzsch – und wie viel „sein kann“, weiß jemand wie er, der seit … | |
in der Rostocker Außenstelle der Stasi-Akten-Behörde arbeitet, sehr genau – | |
es könne also sein, dass die Akten nicht nur von Opas begeistertem Eintritt | |
in die LPG berichten. Sondern, dass da noch Unterlagen liegen, von der | |
Stasi-Abteilung IX/11 – das war die, die sich mit NS-Kriegsverbrechern | |
befasste. „Soll man das dem Enkel, der gar nicht danach fragte, dann | |
mitteilen?“, überlegt Költzsch. Das seien manchmal schwierige | |
Abwägungsprozesse. | |
Seine Arbeit hat ohnehin oft akut-seelsorgerische Aspekte: „Die Leute | |
schütten ihr Leben vor dir aus, und freuen sich sehr über unsere Zeit und | |
Hilfe.“ | |
Dafür gibt es allerdings keinerlei psychologische Schulung. Költzsch hat | |
eine archivalische Ausbildung, die Kollegin am Nachbartisch ist | |
Kunstgeschichtlerin. Die freundliche Zugewandtheit der beiden ist | |
offensichtlich, das müsse auch ausnahmslos gegenüber allen Antragstellern | |
so sein, sagt Költzsch: „egal, ob Betroffener, also Opfer, oder | |
Hauptamtlicher“. Letztere respektiere er „als Bürger“. | |
Ein Rache-Aspekt versteckt sich allerdings in der Entgelt-Ordnung für | |
Kopien: Hauptamtliche und Informelle Ex-Stasimitarbeiter müssen zehn Cent | |
pro Seite zahlen, ihre Opfer drei. Alle anderen Dienstleistungen des Amtes | |
sind ohnehin kostenfrei. Jetzt müssen die Antragsteller - bis zum Abend | |
sind gut 150 gekommen - nur noch eins: bis zu einem Jahr warten. Und das, | |
fürchtet ein älterer Mann, „wird meinen Nerven nicht sehr guttun“. | |
11 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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