Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pfandsammeln und Crowdfunding: Schafft mehr Untergrund-Währungen!
> Pfand ist Umverteilung auf bescheidenem Niveau. Deshalb brauchen wir mehr
> davon: Pfand auf Glühbirnen, Weihnachtsbäume, Couchgarnituren.
Bild: Pfand bis zum Rand: Die ungleiche Verteilung von Ressourcen wird sichtbar.
Neulich in der U-Bahn: Einer bettelt, „kannst du mir ’nen Euro geben?“
„Nein, aber meine Flasche kannste haben.“ Er nimmt sie, kontrolliert, ob es
Pfand darauf gibt, läuft weiter, fragt den Nächsten. Als er auf den
Bahnsteig zurückkommt, hat er drei Flaschen unterm Arm. Mit monetärem
Gegenwert. Crowdfunding – nur so nicht benannt.
Vor zehn Jahren wurde das Dosenpfand nach langem Hickhack endlich
eingeführt. Seither wird es geschmäht. Was es bewirken sollte, einen
größeren Gebrauch von Mehrwegflaschen, hätte es nicht erreicht,
argumentieren die Gegner, die vor allem aus der Verpackungswirtschaft und
Aluminiumverarbeitung kommen.
Überhaupt wurde jede Menge Häme über Pfandvorgaben geschüttet. Dennoch hat
sich das System reibungslos etabliert. Und neben der Müllvermeidung wurde
es zur „größten sozialen Errungenschaft“ der Nachkriegsgesellschaft, wie
manche Pessimisten sagen. Zu einer Art Crowdfunding des Lebens.
Der Wert des Pfandsystems ist also an ganz anderer Stelle als dem Rücklauf
der Flaschen zu suchen. Erstens gelingt mithilfe des Flaschenpfands eine
monetäre Umverteilung, wenngleich auf bescheidenem Niveau. Zweitens bilden
Pfandflaschen eine Untergrundwährung. Statt Geld bekommt der Bettler die
Flasche.
Drittens hat es einen alten Beruf, den des Sammlers, reetabliert und
transformiert hin zum neuen Sammler von Wohlstandsmüll. Sammelte der
Sammler früher Dinge, die in der Natur herumlagen, sammelt er nun Dinge,
bei denen Natur (Rohstoffe) in Kulturgüter (Flaschen) verwandelt wurde und
die in der zivilisierten Gesellschaft herumliegen, als wären sie Teil der
Natur.
## Ökologischer und umweltsozialer Nutzen
Viertens bewirkt es, dass Armut und ungerechte Verteilung von Ressourcen
durch die Flaschensammler sichtbar werden. Wer das Pfandsystem schmäht,
will sich der Verantwortung, die aus diesen Punkten folgt, nicht stellen.
Richtiger wäre, die Pfandgebühr zu erhöhen und das Pfandsystem auszuweiten.
Zu diesem Schluss kommt auch das Umweltbundesamt im Jahr 2010 in einer
großen Studie, die dem Pfand einen ökologischen und umweltsozialen Nutzen
attestiert: Die Flaschen liegen nicht mehr herum und verschmutzen die
Umwelt.
Es gibt bereits weitere Untergrundwährungen: Umzugskartons, Altpapier in
großen Mengen, volle Laubsäcke (nur solche, die man vorher leer bei den
Stadtreinigungen kaufte) und Baumwolltaschen der Drogeriemarktkette dm. Wer
diese Sachen zurückbringt, kriegt Geld zurück. Aber das wissen nur wenige,
und für volle Laubsäcke, Papier und Umzugskartons braucht es geeignete
Transportmöglichkeiten.
Um das System auszuweiten und um zu erreichen, dass ganz neue
Untergrundpfandwährungen entstehen, müssen andere Dinge in den Fokus
rücken. Solche, die es en masse gibt. Batterien zum Beispiel. Achtlos
weggeworfen, verseuchen sie Böden und Wasser. Die neuen Glühbirnen auch.
## Batterie- oder Glühbirnensammler
Es gibt keine akzeptable Begründung dafür, dass die Hersteller von
Batterien und Glühbirnen die sachgemäße Entsorgung durch ein Pfandsystem
nicht initiieren. Das Pfand darf nicht zu niedrig sein, um zum einen eine
hohe Rücklaufquote zu erreichen und zum anderen für die zukünftigen
Batterie- oder Glühbirnensammler ein höheres Zubrot zu generieren. Einzig
der Widerstand bei den Unternehmen dürfte ein gewichtiges Argument gegen
die Einführung sein. Dies zu überwinden ist Aufgabe der Politik.
Auf der Skala der Sympathiewerte steht das Crowdfunding, also die
gemeinsame Finanzierung eines Projekts, sei es das neue taz-Haus, ein
Forschungsvorhaben oder ein neues Start-up-Unternehmen, ganz oben. Die
Bepfandung von Dingen und das sich darauf aufbauende System der
Umverteilung aber wird bisher nicht als Crowdfunding verstanden, obwohl sie
es ist. Unterstützt wird damit das Leben derjenigen, die für andere das
Pfand erhalten.
Wer die Wertigkeit von Crowdfunding und Flaschensammeln nicht als zwei
Seiten einer Medaille versteht, sondern dem einen den Nimbus des Feinen
zubilligt, dem anderen aber den des Unfeinen, setzt damit das Funding von
Projekten und Ideen über das des Lebens. So wird das aber nicht gemeint
sein, oder?
Das Bepfanden von Kulturgütern müsste State of the Art werden. Die
Entsorgung des Kühlschranks, der Couchgarnitur müsste schon beim Kauf
bezahlt werden. Nicht zu knapp. Wer das Zeug zurückbringt, bekommt das Geld
zurück. Wer das Zeug auf die Straße stellt, stellt das Pfand den Sammlern
zur Verfügung. Ein Transportsystem werden diese mit Sicherheit in kürzester
Zeit entwickeln, sofern sich der Aufwand lohnt.
Ein gutes Objekt, um das Pfandsystem zur Reife zu bringen, bietet sich
demnächst: Weihnachtsbäume. Etwa 20 Millionen werden Ende des Jahres auf
den Straßen liegen. Gibt es eine einzige Begründung dafür, dass deren
Entsorgung Gemeinschaftsaufgabe ist? Und wie sähe die Sache aus, wenn jeder
Christbaum im ausrangierten Zustand noch fünf Euro Pfand wert wäre, sofern
man ihn zurückbrächte? Es könnte alles so schön sein.
13 Dec 2014
## AUTOREN
Waltraud Schwab
## TAGS
Crowdfunding
Dosenpfand
Dosenpfand
Getränke
Schwerpunkt Armut
Crowdfunding
Crowdfunding
Grundeinkommen
Mülltrennung
Crowdfunding
Plastikmüll
## ARTIKEL ZUM THEMA
20 Jahre Einwegpfand: Von Menschen und Dosen
Das Pfand auf der Getränkedose führt zu weniger Vermüllung und bringt
manchen ein zusätzliches Einkommen. Wie steht es um die Umweltbilanz?
Konzern ändert Verpackungskonzept: Coca-Cola setzt auf Einweg
Der Brausehersteller schafft die umweltfreundlichen PET-Mehrwegflaschen
weitgehend ab. Das könnte Folgen für die gesamte Branche haben.
Hamburgs Airport zeigt an: Strafen für Pfandsammler
Wer Bahnhöfe und Flughäfen nach Flaschen durchstöbert, wird bestraft.
Hamburgs Airport erstattete im Vorjahr 97 Anzeigen.
Modelle für Crowdfunding: Verschenken, vermehren, verleihen
Der Kapitalerwerb durch den Schwarm ist die Grundidee des Crowdfunding.
Über Modelle, Plattformen, Vorteile und Risiken.
Crowdfunding für Fotojournalismus: Vom Libanon in die Uckermark
Für ihren Fotojournalismus hat die Online-Plattform Emerģe Preise bekommen.
Nun sucht sie Unterstützer für ein Printmagazin.
Grundeinkommen mit dem Glücksrad: Los in die Freiheit
Michael Bohmeyer hat Geld gesammelt, um mehreren Menschen ein Jahr lang ein
Grundeinkommen zu zahlen. Nun entscheidet sich, wer das Geld kriegt.
Kolumne Wir retten die Welt: Der Segen der Mülltrennung
Als Streitthema taugt das Thema Recycling nicht mehr. Doch manchmal kann es
ganz hilfreich sein, wenn etwas in der falschen Tonne landet.
Crowdfunding am Limit: Das Internet liebt Kartoffelsalat
Tausende Dollar für einen Kartoffelsalat? Kein Problem – Crowdfunding macht
es möglich, und zeigt allen Kickstarter-Profis, wo die Mayonnaise liegt.
Plastikabfälle im Meer: Ein Skateboard aus Müll
Die Ozeane dienen als Müllhalde für alte Fischernetze. Ein
Start-up-Unternehmen in Chile will das ändern – und hat eine rollende
Verwendung gefunden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.