# taz.de -- Fatale Folgen der Pflegebürokratie: Prinz ist im Heim | |
> Operation, Dialyse, Schwerbehinderung: Wolf Prinz braucht Hilfe, keine | |
> stationäre Pflege. Dennoch ist er im Heim – gegen seinen Willen. | |
Bild: Wohnung geräumt, schwer krank, keine Angehörigen: Wolf Prinz vor dem T�… | |
TÜBINGEN taz | Wolf Prinz' Habe passt jetzt in eine Reisetasche. Eine | |
Sporthose, weit genug, dass sie nicht auf das Stoma, seinen künstlichen | |
Harnausgang drückt, T-Shirts, Wechselwäsche. Das „Schwarzbuch Kapitalismus�… | |
des verstorbenen marxistischen Philosophen Robert Kurz, Seife, Zahnbürste. | |
Und sein Laptop, hart erspart bei 105,57 Euro Bargeld pro Monat vom | |
Sozialamt, aber der Computer ist unverzichtbar, er ist sein Kampfwerkzeug. | |
Um rauszukommen, fort von hier. Um dieses Missverständnis baldmöglichst zu | |
beenden, das ihm alles geraubt hat, seine Wohnung, seinen Besitz – und | |
beinahe auch seine Freiheit. | |
„Kaffee?“, fragt Wolf Prinz. Es ist Nachmittag in dem Pflegezentrum in | |
Tübingen, in dem er jetzt lebt, aus der Küche hat er Donauwellen in sein | |
Zimmer geholt. Das immerhin hat er durchgesetzt, dass er nicht im | |
Speisesaal sitzen muss mit den anderen, die tatsächlich hierher gehören. | |
Anders als er. Er ist ein kleiner, beinahe dürrer Mann, der | |
Treckingsandalen trägt. „Inkontinent bin ich auch, dreimal die Woche muss | |
ich zur Dialyse“, er kichert. „Ich bin also ein echter Freak“. Einer, der | |
weiß, dass er Hilfe braucht. Und der Abhängigkeit fürchtet, der | |
misstrauisch, unbequem und frech auftritt – und aneckt bei Behörden und | |
deren Verständnis von Fürsorge. | |
Sein Zimmer, Buchenschrank, höhenverstellbares Bett, Tisch und Stühle, | |
nichts davon gehört ihm, aber zumindest hat er ein Dach über dem Kopf. | |
Seine Wohnung gibt es seit mehr als einem Jahr nicht mehr. Zwangsgeräumt | |
wurde sie, von seinem damaligen Vermieter. Weil Behörden, Ämter und | |
Sozialdienste versagten und lieber ihren eigenen Interessen folgten: ihn zu | |
einem rechtlosen Sozialfall zu machen, bis ans Lebensende ins Heim | |
gesperrt. Sagt Wolf Prinz. Weil der Herr Prinz stur war und jegliche Hilfe | |
verweigert hat, die zur Rettung seiner vier Wände nötig gewesen wäre. Sagen | |
Behörden, Ämter und Sozialdienste. Tatsache ist: Wolf Prinz lebt seit mehr | |
als einem Jahr in Pflegeheimen – „gegen meinen Willen“. | |
Wolf Prinz, geboren 1952, Drucker, arbeitslos seit mehr als einem | |
Jahrzehnt, Hartz IV, letzte Wohnung in Bodolz am Bodensee, die Miete zahlte | |
das Jobcenter Lindau. Verwandte, Freunde, Vertraute: nicht existent. Wolf | |
Prinz sagt: „Die autoritäre Familie ist der Ursprung des Faschismus‘.“ Er | |
hat mit allen gebrochen, die einstehen für einen, wenn nichts mehr geht. | |
Für Menschen wie Wolf Prinz hat der Sozialstaat besondere Schutzpflichten. | |
Eine ist im Sozialgesetzbuch verankert, sie heißt: ambulante Pflege hat | |
Vorrang vor stationärer Pflege. | |
## Der Arzt schickt ihn in die Psychiatrie | |
Warum ist Prinz im Heim? Im Sommer 2013 wird er krank. Die Schmerzen im | |
Bauch rauben ihm den Atem, er kann kaum laufen. Ein Tumor zwischen Blase | |
und Darm diagnostizieren Ärzte in Lindau am Bodensee, die Nieren sind | |
geschädigt. Mitte Juli empfehlen sie ihn an die Spezialisten der | |
Universitätsklinik Tübingen. Operation, Arbeitsunfähigkeit, | |
Schwerbehinderung 100 Prozent, Dialyse. Mitte August die nächste Operation, | |
der Oberarzt, so erinnert es Wolf Prinz, fragt, ob er um sich wisse. | |
Selbstmord wäre eine Alternative, antwortet er – seine Art von Humor. Für | |
den Arzt Grund genug, ihn in die Psychiatrie einzuweisen. Ende August, | |
Gesundheitszustand erbärmlich. Im Grunde ist er für eine Reha viel zu | |
schwach. Die AOK Baden-Württemberg lehnt eine Reha ab. Doch im Krankenhaus | |
ist auch kein Platz mehr für ihn. Prinz erkennt: Allein kommt er nicht | |
klar. | |
Das Entlassungsmanagement, so teilt es die Uniklinik später der taz mit, | |
erachtet nun „eine Versorgung in einer stationären Pflegeeinrichtung als | |
notwendig“. | |
Wolf Prinz sagt: „Ich bin immer davon ausgegangen, dass das Heim nur | |
vorübergehend ist.“ Und in diesem Glauben hätten ihn alle gelassen. Sobald | |
es ihm etwas besser geht, möchte er wieder in einer Wohnung leben. Nur an | |
den Bodensee will Prinz nicht zurück, die Stufen dort schrecken ihn. Und | |
vielleicht, so denkt er sich, ist es nicht verkehrt, in der Nähe seiner | |
Ärzte zu bleiben. Er beschließt, nach Tübingen umzuziehen. Er weiht die | |
Uniklinik ein. Gegenüber der taz bestätigt diese: „In einem Gespräch am | |
03.09.2013 sagte Herr Prinz dem Mitarbeiter des Entlassungsmanagements, | |
dass er seine alte Wohnung am Bodensee auflösen müsse und dabei Hilfe | |
benötige.“ | |
Doch zu dieser Hilfe kommt es nicht. Es kommt anders. | |
## Im DRK-Seniorenzentrum | |
Die Entlassungsmanager sind überzeugt: Prinz kann seine Angelegenheiten | |
nicht selbst regeln, er braucht einen gesetzlichen Betreuer. Nicht nur für | |
die Wohnung, sondern auch für Fragen seiner Finanzen, seiner Kontakte zu | |
Behörden und Ärzten. Dieser Sicht schließt sich das DRK-Seniorenzentrum | |
Haus am Schönrain in Neckartenzlingen an, das erste Heim, in das Prinz am | |
4. September 2013 zieht. | |
Wolf Prinz sagt: „Die wollten mich unter Kontrolle kriegen, entmündigen und | |
lebenslänglich abkassieren.“ Sein Körper mag krank sein, sein Verstand ist | |
klar: Sobald ein Betreuer eingesetzt ist, bestimmt dieser, wo Prinz lebt. | |
Aus Sicht vieler Heime sind Fälle wie Wolf Prinz interessant. Es gibt keine | |
Verwandten, die die Qualität der Pflege überwachen. Aber es gibt Geld: das | |
Sozialamt überweist pünktlich. | |
Prinz schickt alle potentiellen Betreuer zum Teufel. | |
Die Uniklinik und das Pflegeheim beschließen nun, selbst beim zuständigen | |
Gericht eine Betreuung „anzuregen“. Dem Landratsamt Esslingen als | |
Sozialbehörde teilt das Heim später zur Begründung mit, Prinz befinde sich | |
im Krankenhaus in Göppingen und sei „nicht ansprechbar“. Das Amt überprü… | |
das nicht und erfährt so nicht, dass Prinz nie in Göppingen war, und auch | |
nicht, dass er „immer bei vollem Bewusstsein war“ – so wird es später | |
Ingrid Ureutz bezeugen, Angehörige seines Zimmernachbarn im Heim. | |
## Das „Erfordernis einer Betreuung“ | |
Gegenüber dem Gericht bejaht das Landratsamt das „Erfordernis einer | |
Betreuung“ – ausschließlich zu Prinz‘ Wohl, beteuern die Institutionen | |
heute: „Es handelt sich bei der Beantragung eines gesetzlichen Betreuers um | |
keinen Eingriff in die Selbstbestimmung, sondern soll diese unterstützen“, | |
schreibt die DRK-Heimleiterin der taz. „Außerdem gab es weder Verwandte | |
noch Freunde, die in dieser Angelegenheit Herrn Prinz hätten unterstützen | |
können“, recherchiert das Landratsamt. „Alle Schritte wurden im | |
Einvernehmen mit und in Kenntnis von Herrn Prinz unternommen“, versichert | |
die Uniklinik Tübingen. | |
Ingrid Ureutz, die Angehörige seines Zimmernachbarn, sagt: „Die wollten den | |
Herrn Prinz mundtot machen und haben ihn behandelt wie den letzten Dreck“. | |
Zum Vermieter in Bodolz nimmt keiner Kontakt auf, nicht das | |
Entlassungsmanagement der Klinik, nicht das Landratsamt, nicht das | |
Seniorenzentrum. Genau das, sagen sie heute, wäre Sache des Betreuers | |
gewesen. Aber Herr Prinz habe sich nicht helfen lassen wollen. | |
Was Prinz damals nicht weiß: Beim Sozialamt Neckartenzlingen hat die | |
Uniklinik bereits am 4. September 2013 „Hilfen zur Pflege“ beantragt für | |
Prinz, der „zur dauerhaften Unterbringung in die stationäre | |
Pflegeeinrichtung ,Haus am Schönrain‘ verlegt wurde“. Dauerhaft? Von diesem | |
Brief, sagt Prinz, habe er erst viel später erfahren. | |
## Ärzte drohen mit Behandlungsabbruch | |
## | |
Und auch das Schreiben vom 10. September 2013, in dem die AOK | |
Baden-Württemberg dem Pflegeheim mitteilt, dass Prinz nun Leistungen der | |
Pflegestufe 1 erhalte, welche aber die Kosten für den Heimplatz nicht | |
deckten, sei ihm nicht unmittelbar zur Kenntnis gegeben worden. Das Heim | |
bestreitet dies. | |
Die Folgen: Weil die Behörden offenbar auch untereinander nicht | |
kommunizieren, bleiben Informationen auf der Strecke. Zeitweilig ist Wolf | |
Prinz nicht mehr krankenversichert. Ärzte drohen mit Behandlungsabbruch, in | |
Apotheken muss er um Medikamente kämpfen. Der Antrag auf Sozialhilfe, zu | |
stellen bei der Behörde des letzten Wohnorts, geht beim Bezirk Schwaben | |
erst am 16. Dezember 2013 ein. Mit Bescheid vom 24. Januar 2014 | |
verpflichtet sich der Bezirk zwar, rückwirkend die Kosten zu übernehmen, | |
die die Pflegeversicherung nicht abdeckt, sowie einen monatlichen Barbetrag | |
von 105,57 Euro. | |
Zu diesem Zeitpunkt aber hat das Jobcenter Lindau – seit Prinz | |
pflegebedürftig ist, ist es für Leistungen nicht mehr zuständig – die | |
Mietüberweisung eingestellt. Anträge, die nötig wären, damit das Sozialamt | |
für die Miete einspränge, liegen nicht vor. | |
## Die Wohnung wird geräumt | |
Der Vermieter lässt die Wohnung Ende 2013 räumen. „Was sollte ich machen, | |
es kam kein Geld mehr, es stank, ich konnte den Herrn Prinz nicht | |
erreichen“, sagt er zur taz. Möbel, Platten, Computer, Zeugnisse – er habe | |
alles auf den Dachboden verfrachtet, versichert der Vermieter. Doch als | |
sich Prinz im Dezember 2013 zusammen mit Ingrid Ureutz nach Bodolz | |
aufmacht, sind die meisten Dinge verschwunden. „Man fällt kulturell aus | |
seiner Vergangenheit raus“, sagt Wolf Prinz. Er bleibt im Heim. Für eine | |
neue Wohnung fehlen ihm Möbel wie Kaution. | |
Heim und Landratsamt erklären: Helfen können sie nur, wenn ein Betreuer | |
eingesetzt wird. | |
Im November 2013 bescheinigt ein nervenärztlicher Gutachter in der | |
„Betreuungssache Wolfgang Prinz“: „Der Betroffene ist in allen konkreten | |
Aufgabenkreisen in der Lage, seinen freien Willen zu bestimmen.“ Im Januar | |
2014 urteilt das Betreuungsgericht in Neckartailfingen: „Die Anordnung der | |
Betreuung für Herrn Prinz war abzulehnen.“ | |
Prinz bleibt im Heim. | |
## Eine Bekannte kämpft sich durch die Papiere | |
## | |
„Es ist kein Einverständnis von uns notwendig, wenn sich jemand | |
entschließt, aus unserer Einrichtung auszuziehen“, schreibt die Leiterin | |
des DRK-Pflegeheims der taz. „Wenn er dies nicht alleine organisieren kann, | |
muss er für eine Unterstützung sorgen.“ | |
Es ist Ingrid Ureutz, die, bevollmächtigt von Prinz, den Job macht, für den | |
Heim, Klinik und Amt einen Betreuer zu benötigen glauben: Sie organisiert | |
Prinz‘ Umzug in ein anderes Pflegeheim in Tübingen. Sie kämpft sich mit ihm | |
durch die Papiere, damit das Sozialamt Prinz‘ Antrag auf betreutes Wohnen | |
im September 2014 schließlich bewilligt: eine „maximale Kaltmiete von mtl. | |
505,00 Euro“ werde übernommen. | |
Die meisten Wohnungen in Tübingen liegen oberhalb dieser Grenze. Prinz ist | |
weiter im Heim. | |
29 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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