# taz.de -- Protokoll einer Flucht aus Syrien: Odyssee in ein neues Leben | |
> Vier Syrer flüchten aus ihrer Heimat nach Deutschland, denn der | |
> „Islamische Staat“ bedroht ihr Leben. Per Handy dokumentieren sie ihren | |
> Weg. | |
Bild: Auf dem Weg von Griechenland nach Makedonien | |
Im Oktober brechen der Syrer Hayyan al-Yousouf und drei seiner Freunde aus | |
ihrer syrischen Heimatstadt Deir al-Sur nach Dortmund auf. 41 Tage lang | |
sind sie unterwegs, werden zusammengeschlagen, vorübergehend inhaftiert. | |
Doch sie lassen sich nicht entmutigen. | |
Station 1: Hayyan al-Yousouf schreibt gerade seine Promotion in | |
Agrarwissenschaften, als 2011 die Aufstände in Syrien und in seiner | |
Heimatstadt Deir al-Sur beginnen. Von Anfang an kämpft er gegen das | |
Assad-Regime – ohne Waffen. Er organisiert humanitäre Hilfe, leitet ein | |
Medienzentrum und dokumentiert als Fotograf den Alltag einer umkämpften, | |
von allen Ressourcen abgeschnittenen Stadt. Im Oktober muss er vor den | |
Milizen des „Islamischen Staats“ fliehen, zusammen mit drei Freunden. Die | |
Flucht dokumentieren die vier mit al-Yousoufs Handykamera. Die erste | |
Station in der Türkei ist Istanbul. | |
Station 2: Von Istanbul geht es weiter nach Bodrum im Südwesten der Türkei. | |
Mithilfe eines Schleppers laufen die Männer dann durch die Berge – wohin, | |
wird ihnen nicht gesagt. An der Mittelmeerküste angekommen, setzen sie per | |
Schlauchboot über; zwei Stunden später erreichen sie die griechische | |
Hafenstadt Mytilini auf der Insel Lesbos. Al-Yousouf bestimmt die Route, | |
denn er besitzt ein Handy mit GPS. Weitere Absprachen: Immer zu viert | |
bleiben – nur dann können sie den Preis für eine Etappe per Pkw bezahlen. | |
Hat einer die Chance, in einem anderen Schlepperauto einen Platz zu | |
ergattern, macht er das. Wird einer geschnappt, gehen die anderen weiter. | |
Station 3: Von der Insel geht es per Bus weiter nach Thessaloniki. Die | |
Männer wollen möglichst schnell die Grenze nach Mazedonien überqueren. Die | |
letzten 30 Kilometer laufen sie zur Orientierung entlang der Bahngleise. | |
Die vier haben kaum Geld, deshalb bewältigen sie den Großteil ihrer Flucht | |
nach Deutschland zu Fuß. | |
Station 4: Rast in den Wäldern von Mazedonien. Bis auf ihre Schlafsäcke | |
haben die vier Syrer so gut wie kein Gepäck dabei. Es ist kalt und nass, | |
sie ernähren sich von Sandwiches und Wasser. Der Versuch, über Albanien | |
nach Serbien zu kommen, scheitert. Sie werden von Polizisten geschnappt, | |
zusammengeschlagen und als arabische Terroristen beschimpft. Unter | |
Bewachung müssen sie zurück nach Mazedonien laufen. | |
Station 5: Zurück in Mazedonien, die Stimmung ist schlecht. Die Männer | |
entschließen sich, es über Serbien weiterzuprobieren, das auf der anderen | |
Seite des Bachs liegt. Die serbische Polizei ist berüchtigt für ihre | |
Gewalttätigkeit. Die Chancen, es hier zu schaffen, sind äußerst gering. | |
Doch es klappt. Unbehelligt können sie weiter in Richtung Ungarn wandern. | |
Den Weg finden sie weiter ohne Schlepper, nur per GPS: Ohne das Handy, sagt | |
al-Yousouf später, wäre die Flucht nie erfolgreich gewesen. | |
Station 6: Hinter der ungarischen Grenze werden sie wieder geschnappt und | |
geschlagen, al-Yousouf erinnert sich an den Sand in seinem Mund. Er liegt | |
lange gefesselt auf dem Boden. Für einige Tage kommen sie in ein | |
abgeriegeltes Lager. Es gibt kaum etwas zu essen. Nachdem sie überraschend | |
freigelassen werden, nehmen sie in Budapest Quartier im Sexy Tractor – | |
einem unter Flüchtlingen bekannten Hostel. Die Nacht im Vierbettzimmer | |
kostet 15 Euro pro Person. Es spricht sich herum, wo sich Kontakte machen | |
lassen. Al-Yousouf organisiert ein Schleppertaxi, ein Kroate fährt sie nach | |
München. 41 Tage hat ihre Flucht gedauert, pro Person knapp 3.000 Euro | |
gekostet. Sie sind in Deutschland. | |
Station 7: Per Reisebus geht es weiter nach Dortmund. Dort melden sie sich | |
bei der Polizei und stellen einen Asylantrag. Die Erleichterung ist | |
überwältigend. Einige Wochen wohnen sie in der Erstaufnahmestelle in | |
Dortmund und sammeln erste Eindrücke von Deutschland. | |
Inzwischen wohnt al-Yousouf in einem abgelegenen Heim in Schleswig-Holstein | |
und wartet darauf, dass sein Asylantrag bearbeitet wird. Weil er das | |
Nichtstun nicht aushält, will er mit Hilfe von Freunden im Januar einen | |
Deutschkurs an der Volkshochschule finanzieren. Hauptsache, der Neuanfang | |
kann endlich beginnen. PROTOKOLL: INES KAPPERT | |
23 Dec 2014 | |
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