# taz.de -- Kinder als Hoffnungsträger: Nur hier, um erinnert zu werden? | |
> Sind Kinder Kerkerkugeln an den Beinen der Eltern? Lohnen sie den | |
> Aufwand? Kinder sind vor allem eines: Wesen, die die lange Reise des | |
> Lebens noch vor sich haben. | |
Bild: Flutende Hormone belohnen uns mit glühendem Glück. | |
Neulich mal wieder im Kino gewesen. Seit ich Vater bin, seit sechs Jahren, | |
war ich nicht mehr im Kino. Filme langweilen mich eigentlich. Diesmal aber | |
drängte die Frau, daheim hütete unsere syrische Babysitterin die Kinder. | |
Also Kino. Der Film hieß „Interstellar“ und häufte gefühlte drei Stunden | |
lang Unsinn auf Unsinn. | |
Ein alleinerziehender Vater steigt in eine Rakete, fällt in ein schwarzes | |
Loch und rettet die Menschheit. Gähn. Auf einmal jedoch sagte der | |
Hauptdarsteller einen elektrisierenden, weil illusionslosen Satz: „Now | |
we’re just here to be memories for our kids“. | |
Sind wir Eltern nur noch hier, um Erinnerungen für unsere Kinder zu sein? | |
In dieser Zeitung gab es mal einen Kolumnisten, der über seine Kinder | |
schrieb. Nette Schmunzelstücke waren das, die wir kinderlosen Redakteure, | |
als klebe angetrockneter Babybrei zwischen den Zeilen, nur mit spitzen | |
Fingern redigierten. Eine Kollegin, früh Mutter geworden, konnte unsere | |
Abscheu nicht teilen. Sie sagte: „Zwischen Leuten mit Kindern und Leuten | |
ohne Kinder verläuft eine Grenze. Sie kann nicht überschritten werden.“ | |
Außer eben, man überschreitet sie. Dann kann man nicht mehr zurück. | |
Wer keine Kinder hat und sich auch keine wünscht, dem erscheint allein der | |
Gedanke an eigenen Nachwuchs völlig zurecht als lähmende Kerkerkugel. Wer | |
dagegen die Grenze einmal überschreitet, der blickt völlig zu recht auf | |
sein kinderloses Leben zurück wie auf einen rauschhaften, tendenziell | |
sinnlosen Tanz im Kreis. | |
## Unser Dasein bleibt bis zuletzt Projekt | |
Fortpflanzung und das freiwillige Einlassen auf eine dauerhafte | |
Fürsorgebeziehung sind der Tribut, den unsere Gattung von uns fordert. | |
Indem wir ihn entrichten, willigen wir in das Programm aller höheren | |
Säugetiere ein – und flutende Hormone belohnen uns mit glühendem Glück. | |
Unser Dasein bleibt bis zuletzt Projekt, also Wille und Vorstellung, auch | |
wenn es seinen biologischen Sinn bereits erfüllt hat. Diese Tatsache | |
allerdings ist für den Einzelnen ein Abgrund, in den jeder Blick sich | |
verbietet. Neugeborene wissen das noch nicht, ihr Brüllen ist | |
existenzielles Entsetzen. Wir aber schauen angestrengt in die | |
entgegengesetzte Richtung. Erwehren uns weiter unverdrossen der | |
Arschlöcher, schreiben Bestseller, reiten Steckenpferdchen, machen | |
Geschäfte und kassieren Boni, gehen Joggen und zum Arzt, damit er die | |
Muttermale untersucht, buchen Reisen, unterstützen die jeweils „gute | |
Sache“, gewöhnen uns das Rauchen ab und horten edle Weine, lernen kochen | |
und lassen uns die Sache mit dem Bausparvertrag erklären. Was kostet ein | |
Wohnmobil? Was ein Platz im Heim? | |
So schrumpft mit jeder Entscheidung die Fülle der Möglichkeiten. Führt uns | |
diese Hoffnung am Ende an der Nase herum? | |
Aber da kommt uns auch schon mit flatternden Talaren die Kirche entgegen! | |
Sie hat nur auf uns gewartet. Jetzt baut sie sich vor uns auf, riecht nach | |
Weihrauch und deutet auf die berühmte Stelle im Paulusbrief: „Nun aber | |
bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte | |
unter ihnen.“ | |
## Das Christentum kreist um ein Kind | |
Nicht zufällig kreist das komplette Christentum in seinem Kern um ein Kind, | |
an das wir glauben, das wir lieben und auf das wir hoffen sollen. Das | |
Angebot ist dubios. Es besteht, bei Licht betrachtet, in einem Aufschub, | |
bei dem wir nicht den Verstand verlieren. Gerade so, wie wir unseren | |
Kindern den Rucksack umschnallen, gefüllt mit der erdrückenden Hypothek | |
unserer Hoffnungen, und es auf jene aussichtslose Reise schicken, die wir | |
schon hinter uns haben, besser: auf der wir uns lange schon befinden. | |
Aussichtslos, weil Pandora schon ihre Büchse geöffnet, Unheil und Krankheit | |
und Tod in die Welt entlassen hat. Als auch die Hoffnung entwich, wurde | |
alles noch schlimmer: „Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so | |
sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern | |
fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen | |
die Hoffnung: Sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual | |
der Menschen verlängert.“ | |
Der das schrieb, ein zerquälter Mensch, umarmte am Ende weinend Pferde. | |
„Ich lebe, ich weiß nicht, wie lang. Ich sterbe, ich weiß nicht, wann. Ich | |
fahre, ich weiß nicht, wohin. Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.“ Ein | |
fröhlicher Mensch, der dies schrieb, er wurde später auf der Straße von | |
einem herabstürzenden Ast erschlagen. Hoffnung aber ist immer noch da. Ein | |
lästiger Imperativ, wie die Karotte vor der Nase des Esels. Ein | |
unsichtbarer élan vital, der manchmal in beiläufigen Redewendungen wie | |
„Muss ja!“ oder „Wird schon!“ kenntlich wird. | |
In letzter Linie hoffen wir nichts anderes als das Kind, das in tiefster | |
Nacht aus seinen illuminierten Albträumen hochfährt in die abgründige | |
Dunkelheit des Zimmers. Wir hoffen auf eine weiche, weiße Lüge und darauf, | |
dass sie eines Tages wahr werden könnte. Wir hoffen, dass plötzlich das | |
Licht angeht und jemand flüstert: „Alles, alles, alles wird gut.“ | |
Jemand, der es wert ist, dass wir uns an ihn erinnern. | |
24 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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Kapitalismus | |
Schwerpunkt Syrien | |
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