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# taz.de -- Nach den Gezi-Protesten in der Türkei: Schüler im Unterricht verh…
> Ein Schüler wird festgenommen, weil er Erdogan korrupt genannt haben
> soll. Bei den früheren Gezi-Aktivisten bricht neuer Ärger aus.
Bild: Mehmet Emin Altunzes bei einer Kundgebung (Archivbild).
ISTANBUL taz | Die Proteste gegen die repressive Politik des türkischen
Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan werden wieder lauter. Nach einer
Phase der Resignation hat jetzt eine Verhaftung an Heiligabend neue Wut
ausgelöst. Wegen angeblicher Beleidigung des Staatspräsidenten wurde in der
Zentralanatolischen Stadt Konya der 16jährige Schüler Mehmet Emin Altunzes
von der Schulbank weg festgenommen. Mehrere Polizeibeamte drangen in das
Klassenzimmer ein und nahmen den Jugendlichen vor den Augen seiner
Mitschüler fest.
Sein angebliches Vergehen: er habe Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei
einer Kundgebung als korrupt bezeichnet. Mehmet Altunzes hatte sich bei
einer Veranstaltung per Megafon zu Wort gemeldet, bei der an die
Korruptionsvorwürfe gegen Erdogan und etliche Freunde des damaligen
Ministerpräsidenten, die am 17. Dezember 2013 publik geworden waren,
erinnert wurde.
Wegen dieser Korruptionsermittlungen sind mittlerweile tausende Polizisten
und Staatsanwälte versetzt oder gefeuert worden, etliche Journalisten
wurden festgenommen, doch erst die Verhaftung des Jugendlichen Mehmet Emin
Altunzes hat jetzt einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Nahezu sämtliche
Zeitungen brachten den Fall auf die Titelseite, mehr als 100 Anwälte aus
der ganzen Türkei boten der Familie des Jungen ihre Hilfe an. Freitagmittag
wurde er zwar aus der Polizeihaft entlassen, doch die Staatsanwaltschaft
hält an einem Verfahren fest, an dessen Ende Mehmet Altunzes vier Jahre
Haft drohen.
Trotzdem sind die Propagandisten der Regierung erstmals seit langem wieder
auf dem Rückzug. „Ja, die Art und Weise der Festnahme in der Schule war
überzogen“, räumte gestern der Ankara Bürochef der regierungsnahen Zeitung
Star, Mustafa Kartoglu, in einem Fernsehinterview ein, „das hätte auch der
Präsident sicher nicht gewollt“.
## Der Präsident als Ausrede
Ebenfalls wütende Proteste gab es gestern in Kayseri, wo eigentlich das
Urteil gegen vier Polizisten und vier weitere Zivilisten verkündet werden
sollte, denen der Mord an dem Gezi-Demonstranten Ali Ismael Korkmaz
vorgeworfen wird. Doch hunderte Freunde von Korkmaz, die sich von Istanbul,
Ankara und anderen Städten auf den Weg nach Kayseri gemacht hatten, waren
vergebens gekommen. Weil der Hauptangeklagte Polizist Mevlüt Saldogan sich
krank gemeldet hatte, wurde die Urteilsverkündung auf den 12. Januar
verschoben.
In dem Prozess geht es um einen der schlimmsten Übergriffe gegen einen
Gezi-Demonstranten überhaupt. Am 2. Juni 2013 war Ismael Korkmaz in
Eskisehir, wo er die Universität besuchte, im Anschluss an eine
Demonstration von vier Zivilpolizisten und einem aufgeputschten Mob von
Ladenbesitzern so schwer zusammengeschlagen worden, dass er nach drei
Wochen im Koma an einer Gehirnblutung starb.
Um Solidaritätsbekundungen für die Angehörigen von Korkmaz vor Gericht zu
erschweren, war der Prozess in das weit entfernte Kayseri verlegt worden,
eine Hochburg der AKP. Anreisende Demonstranten wurden schikaniert und von
der Polizei festgehalten, ließen sich aber trotzdem nicht davon abhalten,
den Prozess massenhaft zu besuchen.
Acht Schläger, konnten auf Bildern identifizert werden, aber nur noch für
einen, den Polizisten Mevlüt Saldogan, fordert die Staatsanwaltschaft eine
lebenslängliche Freiheitsstrafe. Die anderen sollen lediglich für
Körperverletzung belangt oder freigesprochen werden.
Korkmaz' Eltern befürchten, dass alle Angeklagten entweder freigesprochen
werden oder mit leichten Haftstrafen davonkommen. Der Hauptangeklagte
Mevlüt Saldogan hatte sich damit verteidigt, dass er schließlich nur den
von Ministerpräsident Erdogan beschworenen Putschversuch der
Gezidemonstranten abgewehrt habe.
## 17-Jähriger von Polizei gefährlich verletzt
Mit welchen Maßstäben die türkische Justiz mittlerweile gegenüber
Regierungsgegnern misst, zeigt ein Urteil gegen einen weiteren
Gezi-Demonstrante, dass gestern gefällt wurde. Dem 17 jährigen Mustafa Ali
Tonbul war im Gezi-Park im Juni 2013 bei einem Polizeiangriff aus nächster
Nähe eine Tränengaspatrone ins Gesicht geschossen worden. Er wurde
lebensgefährlich verletzt, musste mehrmals am Kopf operiert werden und lag
wochenlang im Koma. Bis heute leidet er unter Sprachstörungen und
Epilepsieanfällen.
Doch während für den Tränengasangriff auf ihn niemand zur Rechenschaft
gezogen wurde, muss er selbst nun für 3 Monate und 10 Tage ins Gefängnis.
Sein Vergehen: Er gehörte zu einer Gruppe junger Leute, die in der
Ägäismetropole Izmir zur Unterstützung der Gezi-Bewegung auf einem
öffentlichen Platz ohne Erlaubnis ein paar Zelte aufgebaut und einen
Infostand eingerichtet hatten.
Doch trotz aller Repression bringt Erdogan die Opposition nicht zum
Schweigen. Er werde sich weiter widersetzen, sagte Mustafa Ali Tonbul nach
dem Prozess. „Sie versuchen uns mit solchen Urteilen einzuschüchtern, aber
ich habe keine Angst vor ihnen“.
26 Dec 2014
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
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