| # taz.de -- Die Wahrheit: Elfmeter mit Elfen | |
| > Neues aus Neuseeland: Der sehr persönliche Rückblick aus Aotearoa bringt | |
| > allerlei Höhe- und Tiefpunkte des Jahres rund um die ominöse Zahl elf. | |
| Mein Alter zeigt sich an bedeutungsvollen Daten, die sich häufen. Da wären: | |
| Der 50. Geburtstag, seit Monaten ungefeiert, also tun wir weiter so, als | |
| habe er nie stattgefunden; im weiteren Hochzeiten und Beerdigungen; | |
| Abi-Treffen und Kinder, die plötzlich Teenager werden, und Teenager, die | |
| den Führerschein machen. | |
| Letzteres ist eine Warnung für alle, die das lockere Leben in Aotearoa | |
| leichtfertig verklären. Denn mit gerade mal sechzehn und etwas Taschengeld | |
| bekommt man hier bereits den Lappen und wird ohne eine einzige Fahrstunde | |
| auf den Verkehr losgelassen – vorausgesetzt, ein Elternteil sitzt ein | |
| halbes Jahr lang brav auf dem Beifahrersitz. Fahr’n, fahr’n, fahr’n auf d… | |
| Autobahn, wenn’s denn wenigsten eine wäre und nicht Stop-and-go zwischen | |
| Christchurchs Baustellen und Schlaglöchern. Große Freiheit. | |
| Alterstechnisch am erschreckendsten ist jedoch die Tatsache, dass bereits | |
| elf Jahre rum sind, seit ich Bundesrepublikflucht beging und die Ostsee für | |
| die Südsee verließ. Ja, ich weiß, das hätte ich vielleicht schon letztes | |
| Jahr bemerken sollen, als es zehn Jahre waren. So was Rundes feiert man | |
| eigentlich mit einer Motto-Party „Kiwi/Kraut“. Doch bitte zügeln Sie Ihre | |
| Fantasie – da hat es kostümtechnisch schon Entgleisungen gegeben. Aber wer | |
| dreimal den Hochzeitstag vergaß und nicht mal ihren Fünfzigsten … siehe | |
| oben. Zum Glück weiß ich wenigstens, dass mein Sohn am Steuer wirklich | |
| siebzehn ist und nicht nur so tut. | |
| Elf Jahre Auswanderung also. Sehr mythisch, diese Zahl: elf Freunde, Haydns | |
| Elfte, Porsche 911, Elfen und Hobbits. Im Alten Testament steht die Elf für | |
| Unvollständigkeit, in der Traumdeutung für den Ausweg aus einer schweren | |
| Situation. Chaos und Neubeginn also. Passt alles. | |
| Elf Jahre, die mir die schönsten und auch schwersten Zeiten bescherten, und | |
| ich rede hier nicht mal von den Erdbeben. Oder von Kim Dotcom. Ich erstelle | |
| gerade eine persönliche Liste der Höhe- und Tiefpunkte. Bilanz ziehen ist | |
| ein Jahresendzeitphänomen sowie eine Alterserscheinung. | |
| Ganz oben auf der Hitliste steht momentan der Mann, der meinem | |
| halbwüchsigen Sohn ein Motorrad verkaufte – ja, nach dem Führerscheinerwerb | |
| geht es auf der Schreckensskala noch tiefer. Die Abwicklung geschah auf | |
| TradeMe, der Kiwi-Version von Ebay, aber zog sich mühsamer hin als üblich. | |
| Das Geld war überwiesen, aber der Mann meldete sich nicht. Dann meldete er | |
| sich endlich, aber hielt den Übergabetermin nicht ein. Dann schaffte er es | |
| zur geplanten Anlieferung, aber mit vier Stunden Verspätung. In dem | |
| Zeitraum entfuhren den Eltern mit Migrationshintergrund typisch deutsche | |
| Sätze wie „typisch Kiwi“, „total unzuverlässig“, „hoffentlich geht … | |
| alles korrekt zu“. | |
| Und dann kam der Biker endlich. In schwerer Lederkluft und mit einem Karton | |
| unter dem Arm. In dem waren zwölf Gläser Marmelade, zur Versüßung des Deals | |
| und als Entschuldigung für die Warterei. Zwölf Gläser? Natürlich, denn | |
| jetzt beginnt das zwölfte Jahr. Kein Zufall. Egal, wie bullig er aussah – | |
| ich weiß, er war ein verkleideter Elf. | |
| 30 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Anke Richter | |
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