# taz.de -- Die Wahrheit: Grünkohl im Milchshake | |
> Neues aus Neuseeland: Da ist der urdeutsche Grünkohl nach Jahren fast | |
> vergessen, und dann kehrt er auf der anderen Seite der Erde zurück. | |
Bild: Das Weib schweige in der Union: Der Wahlkreis Schleswig-Dithmarschen blei… | |
Vor der Auswanderung, als wir noch norddeutsche Winter erleben durften, | |
ging es um diese Zeit immer zum Bosseln mit Freunden in Schleswig-Holstein. | |
Anschließend gab’s Grünkohl-Essen mit Pinkel im Dorfgasthaus. Das war das | |
einzige Mal im Jahr, dass ich diese Delikatesse genießen durfte. Selber | |
kocht man so etwas schon aus olfaktorischen Gründen besser nicht. | |
Jahrelang lebte ich als Immigrantin glücklich ohne Grünkohl und hatte tief | |
am Rand der Südsee längst vergessen, was mir an urdeutscher Hausmannskost | |
fehlte, als sie mich in fremder Gestalt in der neuen Heimat einholte: | |
„Kale“ heißt das angeblich neue Wunderzeugs und ist der Schrecken von | |
Kindern und Karnivoren. Zu Recht. | |
Die Freundin, die sich erst vegetarisch, dann zuckerfrei, dann glutenfrei | |
und jetzt nur noch roh ernährt, fing damit an. Allein, wie sie „kale“ | |
ausspricht– zärtlich, ehrfürchtig und mit diesem Insiderwissen, das man nur | |
erlangt, wenn man an alles einen Löffel Kokosöl gibt. Denn „kale“ ist in | |
meinen Breitengraden das superste alle Superfoods. Kein Salat geht mehr | |
ohne. Da, wo ich ursprünglich herkomme, ist es schnöde Beilage, nur durch | |
ordentliche Speckzugabe nach stundenlangem Weichkochen halbwegs erträglich, | |
und auch dann nur mit drei Schnäpsen. Aber unter den bewussten Essern, | |
nicht nur denen der Südhalbkugel, ist es eine heilige Zauberzutat, die es | |
unter allen Umständen in jede Speise schaffen sollte. Und zwar roh. | |
Ich besuchte einen Ökomarkt in Byron Bay – dem größten Ballungsraum für | |
Späthippies, Esoteriker und Veganer weltweit. Ich schwöre: kein Stand ohne | |
„kale“, selbst beim Biokaffee. Ein Farmer bot sieben verschiedene Sorten | |
an. In der aktuellen Ausgabe der neuseeländischen Zeitschrift Cuisine waren | |
ganze zwei Seiten der Frage „What to do with kale“ gewidmet. Eigentlich | |
ging es nur darum, das Grünkohlige am Grünkohl zu zerstören. Zum Beispiel | |
mit Salz und Zitronensaft einreiben, um die ledrige Konsistenz verdaulicher | |
zu machen. Und im Ofen lassen sich „Kale Chips“ backen. Gekocht begräbt man | |
das sperrige Grünzeug am besten unter Butter, Sahne und Parmesan, um es der | |
ahnungslosen Familie als „Spinat“ unterzujubeln. | |
Bedenklich wird es bei den Smoothies. Nicht nur Kiwi-Kinder verstanden | |
darunter bisher einen Milchshake: ordentlich Eis, Milch, Banane, Beeren und | |
ein Strohhalm. Grün wurde der Trank höchstens durch einen Schuss | |
künstliches Limetten-Aroma. Doch die Kale-Obsession hat solch kulinarische | |
Traditionen völlig pervertiert. Ein „green smoothie“ bedeutet heute: | |
Avocado, Algenpulver, Weizengras und Grünkohl – mit Sojamilch gemixt. | |
Erzähl das mal einer gestandenen Köchin aus Dithmarschen. | |
Bevor ich vom Karottenkuchen auf Grünkohl in der nächsten Torte umsteige – | |
Rezepte für „kale cake“ gibt es zuhauf –, lasse ich lieber Lynda Topp | |
sprechen. Die 56-jährige neuseeländische Komödiantin vom Lande wurde | |
neulich im Radiointerview gefragt, was für sie ehrliche Kost sei. Klare | |
Antwort: „Steak, Eier, Fritten – und nichts von dem grünen Scheiß.“ | |
29 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Anke Richter | |
## TAGS | |
Neuseeland | |
CDU Schleswig-Holstein | |
Tourismus | |
Neuseeland | |
Korrespondenten | |
Essen | |
Autofahrer | |
Neuseeland | |
Neuseeland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gelebte Demokratie: Im Wohnzimmer der CDU | |
Der Wahlkreis Dithmarschen-Schleswig ist eine Hochburg der | |
Christdemokraten. Die haben den Kampf ums Direktmandat mit harten Bandagen | |
geführt | |
Die Wahrheit: Freiheitskampf der Freiheitscamper | |
Neues aus Neuseeland: Es gibt eine frische Plage, die „freedeom camper“, | |
durch die Geheimtipps des Tourismus zu Massenanlaufstellen werden. | |
Die Wahrheit: Die masturbierende Nonne | |
Neues aus Neuseeland: Kunst ist ein komplexes Thema in Aotearoa. Für manche | |
zu komplex. Vor allem wenn es um Kritik am eigenen Land geht. | |
Die Wahrheit: Katastrophensex im Büro | |
Neues aus Neuseeland: Drei bedeutende Nachrichten gab es in den letzten | |
Jahren, die in die weite Welt gingen. Zwei davon habe ich verpasst. | |
Kulinarische Kreation in Großbritannien: Nudelsuppe in Ostereierform | |
Schoko-Ostereier gibt es in Großbritannien jetzt in den Sorten „Nudelsuppe“ | |
oder „Marmite“. Das soll tatsächlich den Verkauf steigern. | |
Die Wahrheit: Ebola auf Rädern | |
Neues aus Neuseeland: Ausländische Autofahrer sind wie Killerviren. Glaubt | |
man der öffentlichen Hysterie, sind Touris am Steuer die größte Gefahr. | |
Die Wahrheit: Elfmeter mit Elfen | |
Neues aus Neuseeland: Der sehr persönliche Rückblick aus Aotearoa bringt | |
allerlei Höhe- und Tiefpunkte des Jahres rund um die ominöse Zahl elf. | |
Die Wahrheit: Endlich ausgehobbit | |
Neues aus Neuseeland: Die letzte filmische Tolkien-Schlacht hat begonnen – | |
Aotearoa ist erlöst vom LOTR-Hype. |