# taz.de -- Samstagsfilm in der ARD: Die Friedensbertha und das Dynamit | |
> „Eine Liebe für den Frieden“ erzählt von der Brieffreundschaft des | |
> Nobelpreis-Stifters Alfred Nobel mit der Friedensaktivistin Bertha von | |
> Suttner. | |
Bild: Die zwei Hauptdarsteller des Biopic: Birgit Minichmayr als die Schriftste… | |
Die Öffentlich-Rechtlichen haben in den vergangenen Jahren ein ganz | |
spezielles Biopic-Filmgenre entwickelt: historische Frauenfiguren der Belle | |
Époque, die dieser ihrer allerdings sehr fotogenen Zeit voraus sind, die | |
ihren Weg gehen, obwohl das damals noch nicht vorgesehen war. Heike | |
Makatsch als Teddybärpionierin „Margarete Steiff“ und als „Dr. Hope – … | |
Frau gibt nicht auf“, Münchens erste Medizinerin. Felicitas Woll als der | |
Welt erste Autofahrerin Bertha Benz („Carl & Bertha“). Zuletzt Katharina | |
Schüttler als „Clara Immerwahr“, Frauenrechtlerin und Deutschlands erste | |
Chemiedoktorin. | |
Und jetzt also: Birgit Minichmayr als Bertha von Suttner – österreichische | |
Pazifistin und erste Friedensnobelpreisträgerin. Das zugrunde liegende | |
Theaterstück von Esther Vilar heißt „Mr. & Mrs. Nobel“; der Film (von | |
Regisseur Urs Egger und Autor Rainer Berg) heißt, für die Pathetiker unter | |
den Zuschauern: „Eine Liebe für den Frieden – Bertha von Suttner und Alfred | |
Nobel“. Es geht aber doch eher um Bertha als um Alfred. Sebastian Koch fügt | |
sich mit von Szene zu Szene grauer werdendem Vollbart – steht ihm wirklich | |
gut – in die Rolle des Sidekicks. | |
Von ihrer ersten Begegnung an – Alfred steigt aus einem Sarg, mit dem er | |
seinen Wintergarten möbliert hat – sind die beiden voneinander | |
elektrisiert. Seelenverwandte, Lebensmenschen, die sich gefunden haben. | |
Zwei radikale Nonkonformisten, die einander bei objektiver Betrachtung | |
spinnefeind sein müssten. Die Friedensaktivistin und der Erfinder des | |
Dynamits. Aus diesem (Schein-)Konflikt soll Spannung entstehen. | |
## Friedensbertha gewinnt Diskurshoheit | |
Der Kriegsgewinnler Alfred Nobel wird aber nicht etwa als Falke gezeichnet, | |
sondern als schöngeistiger Philanthrop und verkappter Pazifist mit einer | |
großen Lebenslüge: „Dynamit ist ja keine Waffe. Dynamit ist ein Stoff. | |
Seine Bestimmung ist völlig offen. […] Der Krieg wird doch nicht aufhören, | |
nur weil ich aufhöre zu forschen. […] Worum es mir letztendlich geht: Wir | |
brauchen eine Waffe, die Kriege unmöglich macht. Eine Waffe, die so | |
zerstörerisch ist, dass niemand sie einsetzen kann, ohne alles zu | |
zerstören.“ | |
Solchen Schmonzes hat man jüngst auch von den lebensfremden | |
Wissenschaftlern in der amerikanischen Fernsehserie „Manhattan“, über die | |
Entwicklung der ersten Atombombe 1943 in der Wüste von New Mexico, gehört: | |
„Die Bombe, die den Krieg beenden wird. Alle Kriege. Für immer.“ Es | |
versteht sich, dass die Friedens-Bertha die Diskurshoheit mühelos für sich | |
gewinnt. Dafür genügt ihr und den Filmemachern eine Szene in einem Lazarett | |
auf dem Feld des Russisch-Osmanischen Krieges (1877/1878). Es werden die | |
Auswirkungen des Dynamits auf den menschlichen Organismus bebildert – die | |
Holzkisten mit der gut lesbaren Aufschrift „Dynamite Alfred Nobel“ werden | |
gleich neben den Versehrten abgeladen. Kapiert?! | |
## Hübsch aber farblos | |
Das Dynamit ändert aber nichts an Berthas vorbehaltlosen Gefühlen für | |
Alfred, die gleichwohl platonisch bleiben (müssen) und in einer | |
lebenslangen Brieffreundschaft ausgelebt werden (müssen). Für den Zuschauer | |
bedeutet das, dass er Bertha und Alfred in zahllosen Szenen beim | |
Briefeschreiben über die Schulter guckt, die Birgit Minichmayr und | |
Sebastian Koch währenddessen aus dem Off verlesen. Das tut Koch auch, wenn | |
Alfred Nobel schließlich per Testament seinen Preis stiftet. Dann sitzt er | |
tot im Sessel und dann bekommt Bertha den Preis verliehen und dann ist der | |
Film auch schon aus. | |
Es ist wirklich erstaunlich, dass ein Film mit so ausgezeichneten | |
Schauspielern und so hübschem Set-Design (Szenenbild: Florian Reichmann) so | |
farblos und behäbig geraten kann. Es ist auch erstaunlich, aber es kann gar | |
nicht anders sein, anders wären ihre Filme nicht zu erklären, dass keiner | |
der Autoren und Regisseure der neuen Belle-Époque-Frauenpowerfilme sich | |
jemals Rainer Werner Fassbinders „Fontane Effie Briest“ angeguckt hat. Sie | |
scheinen nichts zu wollen, am wenigsten zu unterhalten. | |
Gäbe es den Begriff der „gepflegten Langeweile“ nicht schon, genau jetzt | |
wäre man darauf gekommen. | |
3 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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