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# taz.de -- Film-Doku über Museen: Viel Gerede um wenig Kunst
> Frederick Wiseman konzentriert sich in „The National Gallery“ auf das
> Museum als Betrieb. Die Sammlung gerät dabei aus dem Blick.
Bild: Bei wichtigen Anlässen, etwa großen Ausstellungseröffnungen, ist die N…
Vor zwei Jahren verbrachte Frederick Wiseman, einer der ganz wesentlichen
Protagonisten des US-amerikanischen Direct Cinema, zwölf Wochen in einer
der berühmtesten Kunstsammlungen der Welt, der National Gallery in London.
Im Fokus seiner Dokumentation stand das Museum als Betrieb.
Penibel richtete Wiseman also Kamera und Ton auf die allseits zu
beobachtende Geschäftigkeit: auf die Führungen, Vorträge, Konzerte, die
Kinder- und Seniorengruppen vor den Kunstwerken oder auf die Blinden im
Seminarraum, denen die Kuratorin mithilfe eines geprägten Kartons die
Dreieckskonstruktion von Camille Pissarros „Boulevard Montmarte bei Nacht“
(1897) erklärt.
Er hört und sieht zu, wenn klassische Balletttänzer Tizian vorführen, also
vor Tizian ein Pas de deux aufführen. Und er beobachtet, wie sich die
Museumsleitung mit der Marketingabteilung trifft. Sechs Millionen Menschen
jährlich besuchen das Haus am Trafalgar Square. Und es könnten ja noch viel
mehr sein, wenn das Museum doch nur seine Besucher und deren Wünsche
genauer kennen würde, wie die Marketingexpertin den Direktor auf ein
kleines Big-Data-Projekt einzuschwören versucht.
Ausgerechnet in einem der weltweit bedeutsamsten Museen setzt die
politische Ökonomie des Marketings unbeirrt auf ihre große
Erfolgsstrategie: die Neuerfindung der Welt als Echoraum.
## Das volle Haus, das permanente Gewese und die andauernde Unruhe
Hat die National Gallery darüber hinaus noch einen Anspruch? Jenseits des
Ehrgeizes, als ein in jeder Hinsicht wohl organisierter Betrieb zu
funktionieren? Man erfährt es nicht in Frederick Wisemans Film. Denn genau
diese wohl organisierte Institution, das ständig volle Haus, das permanente
Gewese und die andauernde Unruhe, die vielen Stimmen, die vortragen,
anleiten, diskutieren, wollte er zeigen.
Sein Film ist knapp drei Stunden lang, aber spätestens nach zwei Stunden
ist man satt und möchte kein weiteres Mal zu irgendeinem Gemälde oder
irgendeiner Skulptur belehrt werden, zumal man die Kunst nie wirklich zu
Gesicht bekommt.
Liegt es an den Bildrechten, dass die Kamera so schnell über all die
wunderbaren Tizians, Rembrandts, Rubens’ oder Turners hinwegschwenkt? Dass
sie mal dieses Detail zeigt und mal jenes, aber sich kaum einmal die Muße
nimmt, ein Bild zu studieren? Der Film mit seinem Fokus auf das Museum als
Geschäft legt die Vermutung, es dürften die Bilder nur so und so lang
unbezahlt gezeigt werden, irgendwie nahe.
Nur die Pferde des großartigen britischen Tiermalers George Stubbs, sie
können wir uns genau anschauen, wobei wir durch den Museumsführer erfahren,
wie der Künstler ihre Kadaver in sein Atelier hängte, um die Anatomie so
genau wie möglich zu erfassen.
## Die Kunst spricht vom Geld
Es scheint auch nicht wirklich nötig, die Kunstwerke genauer zu studieren.
Denn vor allem sprechen sie, das wird in Frederick Wisemans
ideologiekritischer Dramaturgie überdeutlich, erst einmal nur vom Geld.
Nicht nur, dass sie unschätzbare Werte repräsentieren, darüber hinaus
wurden sie mit dem Blut afrikanischer Sklaven gekauft. Denn wie ein anderer
Führer erklärt, verdankt sich die Gründung der National Gallery dem durch
Sklavenhandel reich gewordenen russischen Bankier John Julius Angerstein.
Als 1824 bekannt wurde, dass seine Kunstsammlung mit holländischen,
flämischen und italienischen Werken, darunter Sebastiano del Piombos
„Erweckung des Lazarus“ (1517–19), verkauft werden sollte, griff die
britische Regierung zu und legte damit den Grundstein des Nationalmuseums.
So wenig dagegen einzuwenden ist, dass die Geschäfte der Kunst und die
Geschäfte mit der Kunst und um die Kunst zum Thema werden, so sehr steht
Frederick Wiseman damit im Einklang mit dem herrschenden Diskurs. Der
Verdacht gegen die Kunst (als Raubkunst oder Fälschung, als Ergebnis von
Ausbeutung oder Betrug) ist das große Motiv, das ein Interesse an ihr
derzeit überhaupt legitimiert.
Bilder frei von moralischen Fragen und Urteilen überhaupt einmal betrachten
zu wollen, überführt einen des unverantwortlichen Eskapismus und Dandyismus
und ist eine verwegene Angelegenheit. Denn wozu soll es gut sein, einfach
Bilder anzuschauen? Wozu aber ist nur der Betrieb der National Gallery gut?
2 Jan 2015
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Frederick Wiseman
Öffentlich-Rechtliche
Dokumentarfilm
Kunstfälscher
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