| # taz.de -- Integrationsdebatte und Pegida: Kein Ort zum Verlieben | |
| > Unser Autor ist entgegen seinen Vorsätzen nun doch nach Dresden gefahren, | |
| > um mit Pegida zu diskutieren. Es hat nicht funktioniert. | |
| Bild: Es sind Bilder wie dieses, in denen unser Autor „sein Deutschland“ ni… | |
| An der Laterne in Dresden steht ein älterer Mann, alleine. „Können Sie mir | |
| sagen, warum Sie hier sind – und warum Sie bei Pegida mitmachen?“, frage | |
| ich ihn. Um die siebzig dürfte er sein – graue Uschanka, schwarzer Schal, | |
| schwarze Jacke, schwarze Schuhe, graue Stoffhose. In der Hand hält er eine | |
| Deutschland-Flagge, in der anderen einen Regenschirm. Hinter seiner Brille | |
| presst der kalte Wind zwei Tränen aus seinen hellgrünen Augen. | |
| In denselben Augen sehe ich Freude und einen Hauch von Stolz, als der | |
| Pegida-Hauptorganisator Lutz Bachmann auf der Bühne weit vor uns in das | |
| Mikrofon schreit: „Wir sind heute 40.000!“ Eine Zahl, der die „Lügenpres… | |
| am nächsten Morgen widerspricht: „Nur“ 25.000 Demonstranten sollen an | |
| diesem letzten Montag bei der Pegida-Kundgebung mitmarschiert sein. Mich, | |
| meine beiden Berliner Journalisten-Freunde und den Uschanka-Mann | |
| eingeschlossen. | |
| Vor zwei Wochen [1][hatte ich an dieser Stelle geschrieben], dass ich | |
| eigentlich nicht über Pegida diskutieren möchte – weil dies eine | |
| Angelegenheit derjenigen ist, von denen niemand behauptet, dass sie | |
| Ausländer seien. Das Pegida-Problem sollen eigentlich die lösen, die über | |
| Jahre Angst vor den Fremden, vor dem Islam, vor ausländischen | |
| „Sozialschmarotzern“ geschürt haben. | |
| Und auch die, die ein „buntes Deutschland“ fordern, sich für die | |
| Verteidigung von Ausländern, Menschen mit Migrationshintergrund zuständig | |
| fühlen, und dabei immer wieder – bewusst oder unbewusst – den Hintergrund | |
| von Bürgern „mit Migrationshintergrund“ in den Vordergrund rücken. | |
| ## Es gibt nur ein Deutschland | |
| Die „Integrationsdebatte“ habe ich immer als diffus empfunden. Wo, wie und | |
| wer sich integrieren muss, habe ich nie richtig verstanden. Ebenso wenig, | |
| was eine „Multikultigesellschaft“ sein soll. Sind wir drei, die an diesem | |
| Montag nach Dresden gefahren sind, „Multikulti“? Ein Schwuler aus | |
| Berlin-Neukölln. Einer mit „jugoslawischen Wurzeln“ aus Prenzlauer Berg und | |
| ich aus Berlin-Mitte mit marokkanischen „Wurzeln“. Wurzeln – sind wir drei | |
| Bäume auf Tournee? | |
| Auf jeden Fall sind wir nun hier. Und meine Freunde sagen, dass Pegida | |
| schon ziemlich eindeutig einen ostdeutschen Drall hat. Aber auch dieser | |
| Aspekt hat mich bislang weniger interessiert, Ost/West. Für mich gibt es | |
| immer nur ein Deutschland. Die „kulturellen“ Unterschiede beschränken sich | |
| für mich darin, dass ich, je nachdem, wo ich mich gerade befinde, | |
| Waschtasche statt Kulturbeutel, Kaufhalle statt Supermarkt oder Quark- | |
| statt Käsekuchen sagen muss. | |
| Doch nie hatte ich ein Integrationsproblem dabei. Nur das mit dem | |
| Käsekuchen hat mich massiv verärgert, als ich letztens feststellen musste, | |
| dass der Käsekuchen, den ich in Bonn kennen und lieben gelernt habe, in | |
| Halle Quarkkuchen heißt und eigentlich aus Quark gemacht wird – eine | |
| Speise, die ich überhaupt nicht mag. Aber hey, Quarkkuchen zu essen, ohne | |
| zu wissen, dass der aus Quark besteht, hat mir eben die Augen geöffnet – | |
| meine Vorurteile gegenüber dem Quark abgebaut. | |
| Und wie ist es nun um Pegida bestellt? Eine Leserbriefschreiberin hatte mir | |
| mitgeteilt, dass es sehr wohl meine Angelegenheit sei, mich darum zu | |
| kümmern. Als deutscher Staatsbürger. Nun bin ich hier. Ich wollte mir das | |
| aus der Nähe anschauen, mit den Menschen reden, die zur „Mitte der | |
| Gesellschaft“ gehören, so wie der Mann mit der Uschanka. Obwohl wir doch | |
| aus der „Lügenpresse“ längst wussten, wie es hier ist in Dresden, an einem | |
| Montagabend. | |
| ## Ein Gefühl der Ablehnung | |
| Anfangs war es noch ganz lustig. Als wir das Auto weit weg von der | |
| Kundgebung parken mussten und die Polizisten fragen, wo denn bitte Pegida | |
| sei. In dem Moment kam mir die Frage vor, als würden wir nach einer lokalen | |
| Prominenten fragen, die „Pegida“ heißt. Aber das war es denn auch schon mit | |
| der Belustigung. Stattdessen waren wir mit einem Flaggenmeer konfrontiert – | |
| nur von eingeborenen Deutschen getragen. | |
| Ein Bild, das für mich als Bürger, dessen „Wurzeln“ geografisch woanders | |
| liegen, befremdlich war, beängstigend. Ich fühlte mich vom ersten | |
| Augenblick an abgelehnt, ausgeschlossen. Ich habe zu keinem Zeitpunkt einen | |
| lächelnden Blick in meine Richtung gesehen, der mich zu einem Smalltalk | |
| eingeladen hätte. Das bin ich in meinem Deutschland nicht gewohnt. Über | |
| eine Stunde sind wir mitmarschiert und trotzdem habe ich es nicht | |
| geschafft, jemanden anzusprechen. | |
| Ernste Gesichter, in sich geschlossene Gruppen, überwiegend männliche | |
| Teilnehmer – viele von ihnen mit einer Körperhaltung, die | |
| Gewaltbereitschaft vermuten lässt und mir Angst einjagte. Bei Pegida bin | |
| ich der Angstbürger. Dabei wollte ich die Teilnehmer nur nach ihren | |
| Beweggründen fragen – warum gehen sie an einem kalten Montag auf die | |
| Straße? Was wissen sie über den Islam? Weshalb fühlen sie sich von der | |
| Politik vernachlässigt? Was bedeutet das Transparent, „Lügenpresse, Ihr | |
| seid nicht Charlie“? Warum fühlen sich viele der Teilnehmer verbunden mit | |
| den Anschlägen von Paris? | |
| Stattdessen musste ich immer wieder bösen Blicke ausweichen. Freundlich war | |
| nur eine Werbetafel auf der Strecke. „Alle 11 Minuten verliebt sich ein | |
| Single“ stand dort zu lesen. „Bestimmt nicht hier. Bestimmt nicht jetzt“, | |
| dachte ich mir. Ab und zu standen andere Gruppen am Rande des Marsches und | |
| haben die Pegida-Leute beschimpft, ausgepfiffen und den Stinkefinger | |
| gezeigt. Dresdner wie sie. „Wie gespalten muss die Stadt sein“, stellt | |
| einer meiner Begleiter fest. | |
| ## Begegnung in Jerusalem | |
| „Ich rede nicht mit Ihnen“, antwortete der Mann mit der Uschanka auf meine | |
| Frage. Ich hatte mich als Journalist vorgestellt. Ob es daran gelegen hat | |
| oder an meinem „südländisch“ anmutenden Aussehen, werde ich nie erfahren. | |
| Der Mann hat mich auf jeden Fall an eine Begegnung erinnert. Es war vor | |
| ungefähr vier Jahren in Jerusalem. Dort hatte ich einen Berliner getroffen, | |
| der Mitte der dreißiger Jahre mit Mitte zwanzig und allein Deutschland | |
| verlassen musste. Dass er als Jude damals überhaupt noch einen Pass | |
| bekommen konnte, hatte er einem Polizisten zu verdanken. Und so hat er | |
| überlebt, während seiner ganzen Familie in Dachau das Leben geraubt wurde. | |
| Dieser Mann hat mich in unserer dreistündigen Unterhaltung kein einziges | |
| Mal gefragt, woher ich „ursprünglich“ komme. Für ihn war der Hinweis | |
| vollkommen ausreichend, dass ich aus Berlin komme, um mir von seiner alten | |
| Heimat zu erzählen. Er gab alte Berliner Witze zum Besten und fragte mich | |
| nach Gebäuden, die nicht mehr stehen. Er sang die „Internationale“. Damals | |
| verriet er mir, dass es ihm leidtue, dass eine Mauer ihn von seinen | |
| arabischen Nachbarn, mit denen er früher zusammen Fußball gespielt hatte, | |
| trennt. | |
| Und heute, an diesem dunklen Montagabend in Dresden, kann ich mir nun | |
| vorstellen, wie es damals angefangen haben muss. Mit geschürten Ängsten und | |
| Märschen gegen den unbekannte Fremden. Den Mann mit der Uschanka hätte ich | |
| gerne gefragt, ob er das nicht auch so empfindet. Stattdessen fordert er | |
| mich auf, „wegzugehen“. Auf eine unhöfliche Art, wie ich sie noch nie in | |
| Deutschland erfahren habe. | |
| Aber wo soll ich hingehen, wollte ich den Mann fragen. Doch bevor ich | |
| diesen Satz aussprechen konnte, war er schon gegangen. Er hatte mich | |
| stehenlassen im kalten Wind an der Laterne. Doch ich lasse mich nicht | |
| unterkriegen. Zumindest diesen Kampf – um die Laterne –, den habe ich | |
| gewonnen. Und das in Dresden. | |
| 19 Jan 2015 | |
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| ## AUTOREN | |
| Khalid El Kaoutit | |
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