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# taz.de -- Kulturhauptstadt 2015: Permanente Metamorphose
> Das wallonische Städtchen Mons heißt Europa willkommen. Zwischen Kultur
> und Technologie sucht die Stadt den Weg aus der Strukturkrise.
Bild: So elegisch ist Mons auch: historische Arbeiterhäuser beim ehemaligen Ko…
MONS taz | Mons bohrt. Mons hämmert. Mons schleift und flext. Mons wächst
über sich hinaus, und jeder, der es will, kann das hören und sehen in
diesen Tagen. Allenthalben wird restauriert und umgebaut in dem
wallonischen Städtchen mit seinen 90.000 Einwohnern, das näher an der
französischen Grenze gelegen ist als an Brüssel. Ihm steht nicht weniger
als das größte Ereignis seiner Geschichte bevor: Gemeinsam mit dem
tschechischen Pilsen wird Mons in diesem Jahr europäische Kulturhauptstadt.
Am 24. Januar ist Eröffnung.
Ein ungewohnter Hauch internationaler Allüre weht in diesem regnerischen
Winter zwischen den Baustellen hindurch. Ankündigungen, die Duftmarken
setzen, Positionslichter im unablässigen Wettbewerb der Städte: 300
Veranstaltungen sollen stattfinden, fünf Museen eröffnen und zwei neue
Konzerthallen.
Zugleich spürt man ganz selbstverständlich Regionalkolorit, die Handschrift
der bodenständigen, vom Niedergang der Kohlenminen gebeutelten Region, über
deren Realität sich Mons auch dann nicht erheben will, wenn das Städtchen
Europa den roten Teppich ausrollt.
In dieser Schnittmenge befindet sich auch einer der Programmhöhepunkte:
Gleich zu Beginn der Feierlichkeiten öffnet eine besondere Van-Gogh-
Ausstellung, die unter dem Titel „Geburt eines Künstlers“ Bezug nimmt auf
dessen Zeit als Prediger im nahen Kohlerevier. Weil ihm auch diese
Tätigkeit nicht die richtige schien, beschloss Van Gogh hier, sich fortan
der Malerei zu widmen. Heuer gibt es nun nicht nur Werke aus seiner
Frühphase zu sehen, man kann auch auf seinen Spuren durch die Borinage
wandeln, seine Wohnhäuser besuchen, die Kirche, in der er dem industriellen
Proletariat predigte, den Bahnhof, an dem er 1879 ankam.
## Microsoft und Google sind auch schon da
Mons 2015, das ist nicht zuletzt eine Abgrenzung zu dem, was Intendant Yves
Vaisseur den „Container“ nennt: „Ein paar meist der gleichen großen Name…
die früher von einer europäischen Kulturhauptstadt zur nächsten reisten.“
Mons eigene Note dagegen sind Verbindungen. Die Brücke am Bahnhof zum
Beispiel: Noch ist sie im Bau, aber bald schon soll sie das alte Städtchen,
das nicht unmalerisch auf gepflasterten Gassen den Hügel hochwächst in
Richtung des Belfrieds, der zum Weltkulturerbe gehört, dem neuen Mons
näherbringen, das in den letzten Jahren entstand: der Technocité, den
Start-ups, dem Microsoft-Innovationsinstitut, dem Google-Datenzentrum.
1.000 Arbeitsplätze für die von der Strukturkrise schwer getroffene Region
sind hier entstanden. Da ist es kein Wunder, dass der Untertitel des
Jubeljahres lautet: „Wenn Technologie Kultur trifft“. Auch das offizielle
Programm lässt daran keinen Zweifel: „Der Titel Kulturhauptstadt Europas
steht in Zusammenhang mit einer breit gefächerten Strategie der
Umstrukturierung für Mons“, heißt es dort. Aushängeschild dieses Prozesses
ist Star-Architekt Daniel Libeskind: Dessen brandneues Convention Centre
hat einmal mehr der geometrischen Flamboyanz ein Denkmal gesetzt, und zwar
mitten in die Bauwüste des neuen Bahnhofs, für den wiederum Santiago
Calatrava verantwortlich zeichnet.
Zweifellos sind solche Kaliber ein willkommener Akzelerator, wenn Mons,
einst Avantgarde der europäischen Industrialisierung, in eine neue Blüte
durchstarten will. Gleichzeitig bemüht man sich um engen Kontakt mit den
Bewohnern. So geht zum Beispiel eine Dalí-Ausstellung im Sommer auf eine
lokale Initiative zurück. Und rund um das Organisationszentrum mitten in
der Stadt spricht man mit Stolz davon, dass 80 Prozent aller
Veranstaltungen kostenlos sind. Ein Tribut an eine gezeichnete Stadt, die
zwar zwei Universitäten hat, deren Absolventen sie aber kaum zu halten
vermag, und die vor Jahren Arbeitslosenquoten von 20 Prozent kannte.
## Noch viele Baugeräusche zu hören
Was nicht heißt, dass alle Einwohner dem Ereignis freudigst entgegensehen.
Natürlich gibt es Menschen in Mons, die für das 70-Millionen-Euro-Budget
andere Verwendungszwecke wüssten, die sich fragen, wozu ihre Stadt ein
Kongresszentrum braucht und Zweifel daran haben, dass das Stück vom
Business-Tourismus-Kuchen, das sich Mons künftig genehmigen will,
irgendeinen Trickle-Down-Effekt haben wird. Natacha Vandenberghe dagegen,
Direktorin des brandneuen Tourismuszentrums, ist überzeugt, dass die Stadt
auch langfristig profitieren wird von den zwei Millionen Besuchern, die sie
in diesem Jahr erwartet.
Die ersten Besucher, so viel ist deutlich, werden neben festlichen Klängen
auch noch Baugeräusche zu hören bekommen. Mons 2015 macht sich zurecht und
hat dabei keine Scheu, sich seinen Gästen mitten im Wachstum zu zeigen.
Neben dem roten Teppich gehören Maler und Bauarbeiter selbstverständlich zu
dieser Kulturhauptstadt. Intendant Yves Vasseur sieht das so: „Wir haben
nie gesagt, dass der Bahnhof jetzt schon fertig ist. Aber alles, was im
Januar eröffnen soll, ist fertig. Die Metamorphose bleibt das ganze Jahr
über im Gang.“
23 Jan 2015
## AUTOREN
Tobias Müller
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Europa
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spüren.
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