# taz.de -- Die Kulturhauptstadt im fernen Osten: Zurück ins heimische Kosice | |
> Zusammen mit Marseille ist Kosice europäische Kulturhauptstadt 2013. In | |
> der Altstadt ist noch immer das Flair der ehemaligen K-u.-k-Monarchie zu | |
> spüren. | |
Bild: In der alten Synagoge von Kosice präsentiert Viktor Sefcik seine Kunstwe… | |
Die Tschechoslowakische Sozialistische Republik liegt im alten jüdischen | |
Viertel gleich neben der „stinkenden Katze“ schräg gegenüber der Synagoge. | |
In dem jüdischen Gotteshaus stellt Viktor Sefcik seine Werke aus. Sefcik | |
hat in New York gelebt, in Italien und an ein paar anderen Orten, aber | |
schließlich ist er doch zurückgekommen ins heimische Kosice. „Die | |
Hauptstraße“ habe er am meisten vermisst, sagt er leise nach einigem | |
Überlegen. | |
Der 50-Jährige mit dem grau gewordenen Bart und der Halbglatze schlägt sich | |
als freier Maler durchs Leben – bescheiden zwar, aber er findet doch immer | |
wieder Käufer für seine leuchtend bunten Bilder. | |
Sefciks rebellische Zeit lag vor der „Wende“ 1989. Damals protestierte er | |
gegen die realsozialistische Diktatur, die das Land nach dem „Prager | |
Frühling“ fest im Griff hatte. Mit einigen alten Künstlerfreunden hat er | |
den Verein C + S Art gegründet. Ihr Ziel: Kunst, Kultur und die | |
Wiedervereinigung mit Tschechien. Früher, sagt Sefcik, sei es für die Kunst | |
besser gewesen. | |
Bis 1918 war das damals habsburgische Kaschau eine reiche Bürger- und | |
Handelsstadt am Nordrand des großen ungarischen Königreichs. Nach dem | |
Ersten Weltkrieg verteilten dann die Siegermächte den größten Teil Ungarns | |
an die neuen Nachbarländer. Transsylvanien wurde rumänisch, weite Teile des | |
Südens fielen an Jugoslawien, und der Norden mit seinem Zentrum Kosice | |
gehörte von nun an zur Tschechoslowakei. | |
Lange hat es gedauert, bis die österreichisch-ungarische Bürgerstadt dort | |
heimisch wurde. Noch heute ist Ungarisch neben Slowakisch Alltagssprache in | |
Kosice. | |
In seinen Romanen wie den „Bekenntnissen eines Bürgers“ beschreibt der 1900 | |
im damaligen Kaschau geborene Schriftsteller Sándor Márai, wie die gut | |
situierten Familien der Stadt Slowaken nur als Bauern oder Dienstboten | |
erlebten. In den besseren Kreisen sprach man Deutsch oder Ungarisch, | |
orientierte sich nach Budapest und Wien. | |
Zu spüren ist das Flair der untergegangenen K-u.-k-Monarchie entlang der | |
Hauptstraße mit ihrem großen, reich verzierten Opernhaus, der östlichsten | |
katholischen Kathedrale Europas, dem klassizistischen Bischofssitz, einigen | |
Jugendstilbauten und den alten Kaffeehäusern. Über die gut einen Kilometer | |
lange Hauptstraße Hlavna Ulica zogen einst Pferde die städtische | |
Straßenbahn. | |
## Ein Ring aus Plattenbauten | |
Der real existierende Sozialismus hat um die komplett erhaltene Kosicer | |
Altstadt einen dicken Ring aus Plattenbauten gelegt. Die Prager Planer | |
verordneten der Stadt im fernen Osten - nahe der Grenze zum großen Bruder | |
Sowjetunion - ein gigantisches Stahlwerk. | |
Kosice musste möglichst schnell Wohnraum für die Arbeiter und ihre Familien | |
schaffen. So entstanden in wenigen Jahren Plattenbauten für 50.000 | |
Menschen. Inzwischen gelten die renovierten Betonkästen als beliebte | |
Wohnquartiere. | |
Einzig das Viertel Luník IX verrottet zunehmend. Einst siedelten Stadt und | |
Zentralregierung hier Roma, Polizisten und Mitarbeiter der Staatssicherheit | |
an. Inzwischen wohnen in den verfallenden Betonklötzen fast nur noch Roma. | |
## Arm ud ausgegrenzt | |
„Die Stadt hat sich 20 Jahre lang um nichts gekümmert“, kritisiert Blanka | |
Berkyova, eine der wenigen Roma, die sich aus dem Teufelskreis von Armut, | |
Ausgrenzung und fehlender Bildung befreit hat. Für die Kulturhauptstadt | |
leitet die 37-jährige Landschaftsarchitektin das Projekt „SPOTs“ für | |
Bürgerbeteiligung und Stadtteilentwicklung. | |
In den Umbau von sechs alten Heizkraftwerken zu Stadtteilzentren haben | |
Stadt und EU mehr als eine halbe Million Euro investiert. | |
Nachbarn kommen zu Sportturnieren, Kuchenbackwettbewerben, Theater- und | |
Malworkshops. Lokale Künstler bemalen gemeinsam mit Anwohnern graue | |
Fassaden und bestücken Kunstausstellungen in den Stadtteilzentren mit ihren | |
Werken. Anfangs hatten Berkyova und ihre Mitstreiter alle Mühe, die | |
Anwohner für die Stadtteilkultur zu gewinnen. Doch inzwischen sind die | |
Veranstaltungen gut besucht. | |
Die Europäische Kulturhauptstadt will mit Projekten wie SPOTs in Kosice | |
auch wirtschaftlich neue Perspektiven schaffen. Junge, kreative Unternehmen | |
sollen die alten Industriearbeitsplätze ersetzen. Aus einer ehemaligen | |
Kaserne entsteht ein Kulturpark, aus dem verfallenden Hallenbad eine | |
Kunsthalle. | |
## Das Ruhrgebiet als Vorbild | |
Bürgermeister Richard Rasi nennt in einem Interview das Ruhrgebiet als | |
Vorbild: „Wir wollen eine Umgebung schaffen, die die Zusammenarbeit junger, | |
kreativer Köpfe fördert.“ Bisher ziehen die meisten Absolventen der drei | |
Universitäten weg. Sie hoffen in der Hauptstadt Bratislava, in Wien oder | |
noch weiter im Westen auf besser bezahlte Jobs. | |
Heute seien die Zeiten „schlecht für die Kunst“, klagt Maler Viktor Sefcik. | |
Melancholisch dreinblickend nippt er an seinem Kaffee. Viele Künstler und | |
andere Kreative sitzen gern im „Smelly Cat“, der „stinkenden Katze“ unt… | |
Schwarzweißfotos aus New York und Paris auf alten Sofas und Ohrensesseln. | |
Die jüdische Gemeinde hat seinem Verein C + S Art ihre alte Synagoge für | |
Ausstellungen überlassen. Freitagabend und Samstag bleibt die Ausstellung | |
geschlossen. Zumindest manchmal schafft es der Rabbiner, der extra aus | |
Budapest angereist kommt, die für einen Gottesdienst nötigen zehn jüdischen | |
Männer aufzutreiben. | |
## Ehemals ein jüdisches Zentrum | |
Bis 1944 war Kosice ein Zentrum jüdischen Lebens in der Region. Von den | |
rund 12.000 Kaschauer Juden, die die Nazis mit ungarischer und slowakischer | |
Hilfe in die Konzentrationslager deportiert und ermordet haben, kamen nach | |
1945 gerade einmal 200 zurück. Heute zählt die Gemeinde nur noch ein paar | |
Dutzend Mitglieder. | |
Die Stadt, sagt Sefcik, interessiere sich kaum für die Synagoge und für den | |
Künstlerverein. Aus dem Etat der Kulturhauptstadt bekomme er zumindest für | |
sechs Ausstellungen jeweils 1.000 Euro - wenig im Vergleich zu den 60.000, | |
die die staatliche Galerie jedes Jahr erhalte. | |
Für 2013 bekommen Künstler aus verschiedenen Ländern Gastateliers in der zu | |
Kulturräumen umgebauten ehemaligen Tabakfabrik. Das Geld, verspricht | |
Kosices stellvertretende Bürgermeisterin Renata Lenártvá, „wird auf jeden | |
Fall wieder hereinkommen.“ 2010 zählte die Stadt 260.000 Übernachtungen. | |
Dieses Jahr sollen mindestens ein Viertel dazukommen. | |
23 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Robert B. Fishman | |
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