# taz.de -- Kommentar Blizzard-Aufregung USA: Die UNO hat zu | |
> Wenn der Schnee kommt in den USA, läuft der Live-Ticker. In den Bergen | |
> des Libanon liegen Babys erfroren am Boden. Ohne Live-Bilder. | |
Bild: Schnee in New York. Schlimm. | |
Und wieder schlägt die Natur mit alttestamentarischer Grausamkeit zu. Ein | |
Blizzard bedroht die amerikanische Ostküste. Die Basketball-Partie zwischen | |
den Brooklyn Nets und den Portland Trail Blazers wurde abgesagt. Andrew | |
Cuomo, der sich als Gouverneur mit dem Wagemut eines Scholl-Latour gepaart | |
mit dem Kameradengeist eines Luis Trenker wild entschlossen den Flocken am | |
Times Square entgegenstellt, verkündet: „Es könnte eine Frage von Leben und | |
Tod sein.“ | |
Die USA haben den Kommunismus besiegt, Saddam Hussein verjagt, Osama bin | |
Laden gekillt, aber wenn der Schnee kommt, kann der Navy Seal nur hilfslos | |
zuschauen. Die schlimmsten Ahnungen des Nostradamus werden wahr: „Wenn der | |
Schnee kommt, schneit es.“ Oder so ähnlich. | |
Zwei Babys, denen die Eiseskälte die Haut zerfetzt hat, liegen tot am | |
Boden. Die Leiche einer Zehnjährigen kann nur mit Mühe geborgen werden, | |
weil sie am Boden festgefroren ist. Im Zelt. Diese Schreckensbilder stammen | |
aber nicht von der amerikanischen Ostküse, sondern aus den Bergen des | |
Libanon. Live-Bilder sehen wir davon nicht. Denn es sind nur Flüchtlinge | |
aus Syrien. Hilfslos im Kampf gegen einen echten harten Winter mit | |
meterhohem Schnee. | |
Hilfsgüter kommen nicht an. Denn Hilfsgüter waren auch gar nicht | |
vorgesehen. Die Welt hat sie vergessen. Zwei Millionen Menschen im Libanon. | |
Und weitere 8 Millionen, die verstreut sind als Binnenflüchtlinge innerhalb | |
Syriens und in den Anrainerstaaten, schlimmstenfalls auf einem führerlosen | |
Schlauchboot zwischen Beirut und Lampedusa. Denn die UNO hat zu. | |
## Windstärke 7. Abartig | |
Als am Montag am obersten Fenster im UN-Wolkenkratzer in New York eine | |
Schneeflocke angeklatscht ist, wurde schnellstens das Gebäude geschlossen. | |
Seitdem läuft der LIVE-Ticker. Sekündlich die Schneehöhe an der Ostküste, | |
als rote Eilmeldung über den Flachbildschirm rasend. Blizzard, das heißt: | |
Sichtweite unter 400 Meter. Hui! Dauer drei Stunden. Irr! Windstärke 7. | |
Abartig. Und Flüge fallen aus, was sich auf die Börsenkurse auswirkt. Wenn | |
noch Hagel kommt, ist die Welt sicher vernichtet. Ja, in den USA könnte man | |
sich schützen mit Soft Shell Jackets und Flexitex mit Innenfütterung. Dazu | |
Mütze, Schal und Winterstiefel. Und wenn es ganz arg stürmt und pfeift, | |
geht man eben heim. | |
Syrische Flüchtlinge können das nicht. Seit 2011 herrscht Elend in | |
unvorstellbarem Ausmaß. Helfer vor Ort sind verzweifelt: eine humanitäre | |
Katastrophe hätten sie vor zwei Jahren gehabt. Für den jetzigen Zustand | |
gäbe es in der menschlichen Sprache keine Ausdrücke mehr. Es ist aber auch | |
zuviel verlangt, bei Aleppo an Schneesturm zu denken. Die zerbombte | |
Wirtschaftsmetropole Syriens hat gefälligst, wenn überhaupt, unter | |
Sandsturm zu leiden. Hitzschlag, nicht der Schneetod, steht für das | |
Syrien-Klischee. | |
Ein junger Mann fragt: „Hey, wollt Ihr Stalingrad drehen? Das ist in Aleppo | |
perfekt.“ Die Menschen hausen in Kellern, es hat unter Null Grad, und der | |
Hunger ist quälend. Draußen schlagen Granaten ein, Faßbomben und | |
Mittelstreckenraketen. Die Kinder erschrecken schon lange nicht mehr. | |
Achja, Fleecejacken und Fellstiefel sind gerade nicht verfügbar. | |
## Nicht mal ein humanitärer Trampfelpfad | |
Auf jeder deutschen Autobahn mahnt man zur „Rettungsgasse", für die | |
Menschen in Syrien gibt es nicht einmal einen humanitären Trampelpfad. Ein | |
belagertes Stadtviertel in Homs wird seit acht Monaten von jeglicher Hilfe | |
abgeschnitten. Betroffen sind alleine dort über 200.000 Menschen. Keine | |
Islamisten, Mörder, kriminelle Kaukasier. Syrische Normalos. | |
Eine Frau schaut im Libanon auf ihr Flüchtlingszelt, das unter der | |
Schneelast gerade zusammen gebrochen war. Einen Nachbarn hat der Balken in | |
seinem Zelt erschlagen. Sie sagt, früher hat sie in Syrien auch oft Schnee | |
geschaufelt. Vor der Anwaltskanzlei ihres Mannes. Wenn sie aus der Uni kam, | |
wo sie unterrichtet hatte. Jetzt hat sie nichts mehr. Keinen Mann, keine | |
Arbeit, keine Heimat. | |
Ein Kind hat sie noch. Das hält ängstlich ihre Hand umklammert. Sie stehen | |
im tiefen Schnee, das Kind ist barfuß. Syrische Flüchtlinge sagen: „Wir | |
beten jeden Tag zu Gott, dass er uns ein Erdbeben schickt. Dann hätten wir | |
morgen Hilfe. Aber wir haben nur einen Krieg.“ | |
Das Handy vibriert. Eilmeldung aus New York: 40 Zentimeter Schnee. Schlimm. | |
Die UNO bleibt zu. | |
27 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Springer | |
## TAGS | |
Flüchtlinge | |
Syrien | |
USA | |
Schneesturm | |
Flüchtlinge | |
Kobani | |
Flüchtlinge | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Schneesturm in den USA: Nichts geht mehr | |
Bis nach Florida bringt ein „Monstersturm“ Schnee und Orkanwinde. Am | |
schlimmsten aber trifft es Washington und die Millionenstadt New York. | |
Syrische Flüchtlinge in der Türkei: Warten auf das Geisterschiff | |
Für 150.000 syrische Flüchtlinge ist die türkische Stadt Mersin das Tor | |
nach Europa. Für andere ist ihr Schicksal ein Millionengeschäft. | |
Bürgerkrieg in Syrien: Kurden vertreiben IS aus Kobani | |
Die IS-Miliz ist nach Angaben der kurdischen Truppen fast vollständig aus | |
Kobani abgezogen. In Moskau treffen sich derweil Vertreter der Opposition | |
zu Beratungen. | |
Asylsuchende in Baden-Württemberg: „In Belgrad ist es wärmer“ | |
Einen Winterabschiebestopp gibt es in Baden-Württemberg nicht. Rot-Grün | |
schickt Flüchtlinge auch im Januar in ihre Herkunftsländer zurück. |