# taz.de -- Diskussion in Berlin zu Pariser Anschlägen: Distanzeritis vom Dsch… | |
> Blasphemische Karikaturen? Ganz normale Muslime? Interessante Thesen gab | |
> es bei einem Panel um die Pariser Anschläge, nur keinen Schlagabtausch. | |
Bild: Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, hier bei einem Treffen der Gemeinde … | |
Es waren zwar durchweg streitbare Geister, die da am Montagabend in den | |
Podiumssesseln der Heinrich-Böll-Stiftung hockten. Einen Monat nach den | |
islamistischen Terroranschlägen auf Charlie Hebdo und die Juden von Paris | |
lud die Stiftung zusammen mit der Feuilletonplattform Perlentaucher zu | |
einer Diskussionsrunde, bei der es um nicht weniger als die Zukunft der | |
offenen Gesellschaft gehen sollte, um die Bedrohung der Meinungs- und | |
Pressefreiheit durch religiösen Fundamentalismus und das Wertefundament des | |
Liberalismus in Europa. Vielleicht aber waren die Fragen zu groß, um in | |
anderthalb Stunden zu einem fetzigen Schlagabtausch zwischen den | |
Diskutanten zu führen. | |
Aus Paris war der Philosoph und Essayist Pascal Bruckner geladen. Bruckner, | |
ein leidenschaftlicher Verteidiger des laizistischen Modells Frankreichs, | |
hat sich in den letzten Jahren immer wieder durch dezidiert islamkritische | |
Positionen hervorgetan, die beim Perlentaucher nachgelesen werden können. | |
Hier in Berlin oblag es ihm vor allem, ein Stimmungsbild über die Debatte | |
in Frankreich nach den Anschlägen zu liefern. Als vorläufig positiv hob er | |
hervor, dass in seinem Heimatland nun endlich auch die liberalen Stimmen | |
unter den Muslimen sich zu Wort meldeten und umgekehrt in der | |
Öffentlichkeit damit auch Gehör fänden. | |
Als religionskritischer Bruder im Geiste war auf dem Podium auch der | |
Kulturjournalist und Gründer des Perlentaucher, Thierry Chervel, vertreten. | |
Ihm lag stark daran, nicht wieder die Islamdebatten der letzten Jahre | |
aufzukochen. | |
Dazu sei an Argumenten alles ausgetauscht und auch die Pariser Anschläge | |
könnten dem nichts Neues mehr hinzufügen. Wir müssten uns jetzt vielmehr | |
die Frage stellen, wie es in Zeiten anschwellender religiöser | |
Überempfindlichkeit um liberale Werte wie Presse- und Meinungsfreiheit | |
eigentlich bestellt ist. In den Medien sei längst eine Tendenz zur | |
Selbstzensur zu beobachten, wie zuletzt in der New York Times, die die | |
Abbildung der Charlie Hebdo-Karikaturen ablehnte, weil sie ihrer Zeitung | |
nicht „würdig“ seien. | |
## Muss es überhaupt Mohammed-Karikaturen geben? | |
Mit diesem sich selbst restringierenden code of conduct hatte wiederum der | |
Erziehungswissenschaftler und taz-Kolumnist Micha Brumlik weniger Probleme. | |
Über ihn konnte die Zuhörerin an diesem Abend verblüfft lernen, dass er im | |
Grunde gar keine Karikaturen mag, seien sie doch in ihrem Kern | |
menschenfeindlich. Warum muss es überhaupt Mohammed-Karikaturen geben, | |
fragte er wiederholt in die Runde. | |
Und wollte damit auf die Frage nach der Grenze des blasphemisch Erlaubten | |
hinaus. Wenn wir den Islam im Namen der Meinungsfreiheit karikieren, müssen | |
wir dann nicht auch antisemitische Angriffe und Holocaust-Karikaturen | |
zulassen, wie sie beispielsweise im Iran längst kursieren? Das stieß mit | |
Ausnahme der vierten Diskutantin auf einhellige Ablehnung auf dem Podium. | |
Es könne nicht sein, so Chervel, dass man kritische Auseinandersetzungen | |
über Glaubenssysteme um des lieben Religionsfriedens willen auf diese Art | |
abzuwürgen versuche. | |
Als einzige Frau in der Runde war die Islamwissenschaftlerin, | |
Religionslehrerin und Autorin Lamya Kaddor geladen. Als Vertreterin eines | |
liberalen deutschen Islam ist sie in den letzten Monaten wohl in kaum einer | |
Talkrunde der Republik abwesend gewesen, die über den deutschen | |
Dschihadismus zu sinnieren versuchte. | |
Sie beklagte unter anderem die regelrechte „Distanzeritis“, zu der sich die | |
ganz normalen Muslime derzeitig gezwungen sähen, und wollte damit vor | |
zunehmender Islamophobie in Europa warnen. Nur weil ein Knabe, der sich in | |
Pakistan in die Luft sprengt, zufällig die gleiche Religion habe wie sie, | |
könne es nicht sein, dass Millionen friedliebende Muslime damit in einen | |
Topf geschmissen würden. | |
Hier hätte tatsächlich eine Diskussion beginnen können, denn die Frage, wie | |
zufällig es ist, dass der zur Debatte stehende Terror im Namen des Islam | |
und nicht einer anderen Ideologie verübt wird, lässt sich sicher nicht so | |
lapidar beiseitefegen, wie Kaddor das hier tat. Aber da war die Zeit leider | |
schon rum. | |
10 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Eva Berger | |
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