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# taz.de -- Luftverpestung in Stuttgart: Ein schmutziger Kampf
> In Stuttgart ist die Luft so stark mit Feinstaub belastet wie nirgends
> sonst in Deutschland – trotz geltender Grenzwerte.
Bild: Die umweltfreundlichere Fortbewegung.
STUTTGART taz | Manfred Niess steigt der Dreck am schlimmsten in die Nase,
wenn er vom Skifahren in Südtirol zurückkommt und am Neckartor aus dem Bus
aussteigt. „In dem Moment denke ich: Da kann man nicht leben.“ Nirgendwo in
Deutschland wird eine so hohe Feinstaubbelastung gemessen wie in Stuttgart
am Neckartor. Niess wohnt nur ein paar hundert Meter entfernt und kämpft
seit Jahren darum, dass die Stadt etwas Wirksames unternimmt – gegen die
Luftverschmutzung und für die Gesundheit der Einwohner. „Das ist ein
Vergiften auf Raten“, sagt er.
Unterstützung kommt aus Brüssel: Im November hat die EU-Kommission die
zweite und letzte Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen
Deutschland eingeleitet, weil in Stuttgart und Leipzig die Grenzwerte für
Feinstaub überschritten wurden. 35 Überschreitungstage sind erlaubt, in
Stuttgart waren es vergangenes Jahr 64. Dass die Stadt in einem Kessel
liegt, lässt die Kommission nicht als Entschuldigung gelten. Die
Bundesregierung hat im Januar Vorschläge nach Brüssel geschickt, wie die
Luft in Stuttgart sauberer werden soll. Die Kommission prüft nun, ob sie
Deutschland vor dem EuGH verklagt. Das wäre der Höhepunkt eines jahrelangen
schmutzigen Kampfes.
Am Neckartor führt eine sechsspurige Bundesstraße Richtung Nordosten aus
dem Zentrum. An der Straße steht die Messstation, die so oft wie keine
andere in Deutschland Überschreitungen der Feinstaubgrenzwerte meldet.
Feinstaub wird etwa bei Verbrennungsvorgängen von Automotoren und Holzöfen
ausgestoßen. Die Mini-Partikel begünstigen laut der
Weltgesundheitsorganisation WHO Atemwegserkrankungen und Lungenkrebs. Das
Umweltbundesamt schätzt, dass es in Deutschland pro Jahr 46.000 vorzeitige
Todesfälle gibt, die durch Feinstaub verursacht werden. Die
EU-Feinstaub-Grenzwerte müssen seit 2005 eingehalten werden.
In Stuttgart ist man weit davon entfernt. Die EU-Kommission fordert in
ihrem Mahnbrief, „rasch und wirksam“ gegenzusteuern. Die Stadt Stuttgart
schlägt zusammen mit dem Landesverkehrsministerium unter anderem vor, Tempo
40 auf weiteren Steigungsstrecken vorzuschreiben, die Anschaffung von
Elektrotaxis zu fördern oder Autofahrer per Warnsystem auf
Grenzwertüberschreitungen aufmerksam zu machen und sie zum Umstieg auf Bus
und Bahn anzuregen. Wenn nach drei Jahren guten Zuredens bei den
Stuttgartern keine Verhaltensänderung registriert wird, soll Zwang
angewendet werden. Bis spätestens 2021 will man die Grenzwerte einhalten.
## Bundesumweltministerium hält sich bedeckt
Der zuständige Minister Winfried Hermann und OB Fritz Kuhn (beide Grüne)
seien bis dahin längst im Ruhestand, kritisiert Niess. Christoph Link vom
ökologischen Verkehrsclub VCD sagt: „Wir sind enttäuscht, dass uns ein
grüner OB und ein grüner Verkehrsminister auf 2021 vertrösten.“ Welche
Maßnahmen tatsächlich nach Brüssel gemeldet wurden, hält das
Bundesumweltministerium mit Verweis auf ein laufendes Verfahren geheim.
Die Bürgerinitiative wünscht sich eine Verordnung: An Tagen, an denen eine
Überschreitung droht, wird die Innenstadt für den Autoverkehr gesperrt. Sie
fordert, dass ein Teil der Straßen umgewidmet wird für Busse, Fußgänger und
Fahrradfahrer. Niess hat das Gefühl, dass die Autolobby in Stuttgart so
stark ist, dass die Politik Fahrverbote für nicht durchsetzbar hält. Die
Zunahme an Kraftfahrzeugen werde immer noch als Folge einer guten
Wirtschaftslage gewertet.
Niess fährt Fahrrad. Er steigt mit leuchtend gelber Bauarbeiterjacke und
Skihelm auf sein Rad. Gegen die Unfallgefahr kann er sich mit seiner Montur
schützen. Gegen Feinstaub nicht.
16 Feb 2015
## AUTOREN
Lena Müssigmann
## TAGS
Verkehr
Stuttgart
Luftverschmutzung
Feinstaub
Stuttgart
Europa
NOx
China
Feinstaub
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