| # taz.de -- Kriegsdrama bei Oscar-Verleihung 2015: Freund oder Feind | |
| > „American Sniper“ ist sechsmal für die Trophäe nominiert. Die Debatte | |
| > über den Film zeigt den US-amerikanischen Grabenkampf zwischen links und | |
| > rechts. | |
| Bild: Bradley Cooper als Scharfschütze Chris Kyle im Film „American Sniper�… | |
| Schafe, Wölfe und Schäferhunde. Das ist die Typologie der Menschheit von | |
| Chris Kyle. Der Mann hat als Scharfschütze der US-Armee während des | |
| Irakkrieges mindestens 160 Menschen getötet und gilt daher als | |
| treffsicherster Elitesoldat des Landes. Sein Weltbild ist von dieser | |
| simplen Unterteilung geprägt. | |
| Die Schafe sind die Naiven unter uns, die nicht an das Böse glauben. Sie | |
| werden von den Wölfen gerissen, den bösen Menschen, die die guten Menschen | |
| ausnutzen und töten wollen. Deshalb gibt es die Schäferhunde, die sich den | |
| Wölfen entgegenstellen, um die Schafe zu beschützen. Schäferhunde | |
| verschließen die Augen nicht vor dem Bösen und bewahren das Gute in der | |
| Welt. | |
| Es ist dieses einfache Schwarz-Weiß-Bild, das ein Vater im Film „American | |
| Sniper“ seinem Sohn Chris vermittelt. Dieser wird schließlich Schäferhund | |
| mit Präzisionsgewehr und zu einer Legende in der US-Armee. Clint Eastwood | |
| hat die Geschichte des Lebens von Chris Kyle verfilmt, am Sonntag könnte | |
| das Kriegsdrama sechs Oscars gewinnen, darunter für den besten Film und | |
| Bradley Cooper als bester Hauptdarsteller. | |
| Der Film mit Produktionskosten von nur 60 Millionen Dollar hat drei Wochen | |
| nach seinem Start in den USA mehr als 249 Millionen Dollar eingespielt, es | |
| ist der erfolgreichste Kriegsfilm aller Zeiten. Und er hat in den USA eine | |
| kontroverse und hitzige Debatte ausgelöst wie kein Film in den vergangenen | |
| Jahren zuvor. | |
| Es ist das Porträt eines Mannes, der aus einem konservativen texanischen | |
| Elternhaus zum Soldaten wird, um sein Land zu beschützen und als | |
| Elitesoldat bei insgesamt vier Einsätzen im Irakkrieg mit kalter Präzision | |
| seinen Job erledigt. Kyle wurde in den USA zum Mythos, nicht nur aufgrund | |
| seiner Vermarktung als Kriegsheld, sondern auch, weil Kyle, der | |
| Unantastbare, zurück in der Heimat am 2. Februar 2013 erschossen wurde. Von | |
| einem Kriegsveteranen mit posttraumatischer Belastungsstörung. | |
| Kyle, der selbst unter psychischen Störungen gelitten haben soll, hatte | |
| sich nach seiner Rückkehr aus dem Irak um viele Veteranen gekümmert. Auch | |
| Eddie Ray Routhwar war darunter, den der Held aus Texas mit auf einen | |
| Schießstand nahm, um dort Waffen auszuprobieren. Danach war Chris Kyle tot. | |
| Routh wird seit dieser Woche der Prozess gemacht, seine Anwälte sagen, er | |
| sei nicht schuldfähig. Im Film werden die Umstände von Kyles Tod nicht | |
| thematisiert, der liebevolle Vater und Ehemann, der sich von seiner Familie | |
| verabschiedet, ist die letzte Einstellung. Ein Mann, der sein Kriegstrauma | |
| und die Krisen mit der Familie überwunden hat und einer guten Zukunft | |
| entgegenblickt. | |
| ## Kompromisse werden verweigert | |
| All das klingt und guckt sich wie das typische patriotische Hollywoodkino | |
| mit der zusätzlichen Dramatik, dass die Geschichte von Kyle authentisch | |
| ist. Warum also spaltet der Eastwood-Film die amerikanische Gesellschaft | |
| derart? | |
| Die Diskussion über den Streifen läuft entlang der Grenze, die Amerikas | |
| Linke von der Rechten trennt, und die mit einer Ausschließlichkeit | |
| verteidigt wird, die keine Kompromisse zulässt. Präsident Barack Obama war | |
| 2008 mit dem hehren Anspruch angetreten, sein Land zu vereinen und die | |
| Gräben zwischen Konservativen und Liberalen zu schließen. Die Realität fast | |
| zwei Jahre vor dem Ende der zweiten Amtszeit ist ernüchternd. | |
| Die Gesellschaft ist in zentralen Fragen gespalten wie nie zuvor. Religion, | |
| Einwanderung, Gleichberechtigung, der Einfluss des Staates auf den | |
| Einzelnen, erbittert wird gestritten und – ganz wie im Krieg – | |
| kategorisiert: mit uns oder gegen uns. „American Sniper“ betrifft eine der | |
| emotionalsten ideologischen Streitfragen im Land: den Krieg gegen den | |
| Terror und die Macht der Waffen. | |
| ## Ein Held ohne Fehler | |
| Die amerikanische Linke echauffiert sich über die simple Sicht auf den | |
| Krieg, das unreflektierte Heldenepos eines konservativen Regisseurs, der | |
| den Einsatz im Irak glorifiziert und aus Chris Kyle einen Held ohne Fehler | |
| macht. | |
| Der liberale Filmemacher Michael Moore [1][twittert] nach dem Start, | |
| Scharfschützen seien keine Helden. Auf der Webseite Salon heißt es, der | |
| Film zeige [2][„den Wahn und die aggressive Gewalt“, die die Politik der | |
| Republikaner steuern würde.] Der liberale Moderator Bill Maher sagt, im | |
| Film gehe es um einen „psychopathischen Patrioten“, das linke Magazin | |
| Jacobin schreibt, [3][„kein Iraker, der in ’American Sniper‘ getötet wir… | |
| wird als unschuldig dargestellt“], und das linke Onlinemagazin Slate macht | |
| sich die Mühe, dem Film einem [4][Faktencheck zu unterziehen]. | |
| Kein einfaches Unterfangen, da er auf der Autobiografie von Kyle basiert. | |
| Ein Bestseller, doch ist das Buch in seiner Bewertung und Auswahl von | |
| Ereignissen nicht nah an irgendeiner Lebens- oder Kriegsrealität, sondern | |
| stellt dar, was Kyle verkaufen wollte. Darauf setzt Eastwood eine weitere | |
| Fiktion. | |
| ## Ein Junge mit einer Granate | |
| Eine Schlüsselszene im Film: Ein Junge im Fadenkreuz, er läuft auf einen | |
| amerikanischen Konvoi zu, Scharfschütze Kyle sieht ihn durch sein Periskop. | |
| Der Junge hält eine Granate, nur Kyle sieht es, er schießt. Der Junge | |
| stirbt, die Mutter rennt zu ihm und greift nach der Granate. Auch sie wird | |
| von Kyle erschossen. | |
| Seine ersten Tötungen als Sniper. Kyle nimmt die Glückwünsche seines | |
| Kameraden nicht entgegen, hält einen Moment inne. Die Realität jedoch war | |
| eine andere. Den Jungen gab es nie, Kyle tötete nur die Frau – das einzige | |
| Opfer, das angeblich kein männlicher Kämpfer war, wie er in seinem Buch | |
| schreibt. Zweifel hatte Kyle dabei nicht. „Es war meine Pflicht zu schießen | |
| und ich bereue es nicht.“ Seine Tat habe Soldaten gerettet und diese seien | |
| mehr Wert als die verkommene Seele der Frau. | |
| Im Film wird dieses stereotype Bild konsequent umgesetzt. Es gibt keine | |
| guten Iraker, über Gründe für den Einmarsch, Massenvernichtungswaffen, die | |
| Folgen für die Region, die Folter von Abu Ghraib – darüber wird | |
| geschwiegen. Dennoch sehen einige im Film auch einen Antikriegsfilm, weil | |
| er zeige, was der Einsatz mit den Menschen mache, natürlich strikt aus | |
| amerikanischer Perspektive erzählt. | |
| ## Die Sinnlosigkeit des Krieges | |
| Kyle schafft die Wechsel zwischen Front und Heimat nicht ohne Weiteres, die | |
| Ehe ist belastet, am Ende seines vierten Einsatzes ruft er seine Frau | |
| inmitten eines Gefechts an und sagt: „Ich bin bereit, nach Hause zu | |
| kommen.“ Zeigt sich hier die Zerrissenheit eines Mannes, der seine Pflicht | |
| erfüllt, aber am Ende zermürbt wird von den vielen Toten und der | |
| Sinnlosigkeit des Krieges? | |
| Der Film ist spannend und elegant inszeniert, es ist gutes Kino, aber er | |
| geht dieser Frage nicht konsequent nach. Kyle wird geprägt durch den Krieg | |
| – in einer Einstellung sieht man ihn zu Hause in einem Sessel vor dem | |
| Fernseher sitzen, Schüsse und Explosionen sind zu hören, doch der | |
| Bildschirm ist schwarz. Seine Pflichterfüllung aber und den Glauben an die | |
| Sache zweifelt er nicht an. Chris Kyle, der Schäferhund. | |
| Hätte sich der Film der Problematik des Krieges über die detaillierte | |
| Studie eines einzelnen berühmten Soldaten genähert, hätte der Umstand | |
| seines Todes Teil dieser Geschichte sein müssen. Denn sie erzählt viel über | |
| den Krieg und die offensichtliche Unfähigkeit der USA, die Traumata, die | |
| die Irak- und Afghanistaneinsätze bei einer Generation von jungen Männern | |
| hinterlassen hat, zu bewältigen. Hier hätte eine Debatte einsetzen können, | |
| die wirklich etwas hätte verändern können. Hätte… | |
| ## Für jeden etwas | |
| So aber instrumentalisiert jede Seite den Film für ihre Zwecke. Die Kritik | |
| der Linken pariert die Rechte routiniert. Sänger Kid Rock wünscht Kritikern | |
| wie Moore, sie mögen sich eine Faust im Gesicht einfangen, und Sarah Palin | |
| – die Kyle kannte – erinnert das „linke Hollywood“ [5][auf Facebook] da… | |
| „dass der Rest von Amerika weiß, dass ihr nicht mal gut genug seid, um | |
| Chris Kyles Kampfstiefel zu putzen“. | |
| John McCain findet, der Film zeige die wenigen Mutigen, die dem Land in | |
| Uniform dienten, und die Opfer, die Familien dafür bringen würden. Kyle sei | |
| ein [6][„nobler amerikanischer Krieger“]. | |
| Der Washington Post sagte Dan Fellman vom Verleih Warner Bros, [7][der Film | |
| sei von konservativen Kleinstädten bis zu linken urbanen Zentren gut | |
| angekommen]. Das überrascht nicht. Denn jeder kann in diesem Film und in | |
| der Debatte über ihn das Feindbild gegenüber den politisch und | |
| gesellschaftlich Andersdenkenden bestätigt sehen. | |
| Die einen nehmen die Heldengeschichten als einfache Antwort auf ungelöste | |
| Konflikte an, die anderen wagen den Perspektivwechsel im eigenen Land. Ein | |
| Kulturkrieg, den Amerika noch lange, nachdem „American Sniper“ am Sonntag | |
| wohlmöglich mit Oscars geadelt wird, kämpfen wird. | |
| 20 Feb 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://twitter.com/mmflint | |
| [2] http://www.salon.com/2015/01/26/american_snipers_biggest_lie_clint_eastwood… | |
| [3] http://www.jacobinmag.com/2015/01/american-sniper-review/ | |
| [4] http://www.slate.com/blogs/browbeat/2015/01/23/american_sniper_fact_vs_fict… | |
| [5] http://www.facebook.com/sarahpalin | |
| [6] http://variety.com/2015/biz/news/john-mccain-endorses-american-sniper-12014… | |
| [7] http://www.washingtonpost.com/business/economy/american-sniper-decried-as-p… | |
| ## AUTOREN | |
| Rieke Havertz | |
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| jeder halbwegs regelmäßige Kinogänger zusammenstellen können. |