| # taz.de -- Briefe von Hunter S. Thompson: Wut war sein Antrieb | |
| > Inbegriff der Coolness und unkorrumpierbar im Schreiben: Zum 10. Todestag | |
| > von Hunter S. Thompson erscheinen seine Briefe erstmals auf Deutsch. | |
| Bild: Szene aus: „Gonzo: The Life & Work of Dr. Hunter S. Thompson“. | |
| Hunter S. Thompson konnte fluchen wie kein Zweiter. Wenn Redakteure, | |
| Verleger und Kollegen ein Kuvert mit dem Absender Thompson erreichte, so | |
| dürfte dies bei den Adressaten nicht immer für Begeisterung gesorgt haben. | |
| Denn die einleitenden Worte konnten schon mal lauten: „Du mieser | |
| verräterischer Schwanzlutscher, wo bleibt mein Belegexemplar […]?“ Meist | |
| folgte danach eine kleine Schimpfkanonade, die jedoch auch den | |
| eigenwilligen Humor widerspiegelte, den diese Schreibergeneration pflegte. | |
| Tom Wolfe schrieb er mit folgenden Worten an: „Lieber Tom […] Du Abschaum | |
| von einem verfluchten Bastard“. Thompson, der eine große Vertreter des | |
| sogenannten New Journalism, überschüttete Wolfe, den anderen großen | |
| Vertreter, mit Drohungen: „Ich werde Dir deinen gottverdammten | |
| Oberschenkelknochen zertrümmern, wenn Du es wagst, noch ein Mal meinen | |
| Namen in Zusammenhang mit diesem grauenvollen Etikett New Journalism zu | |
| erwähnen, mit dem Du hausieren gehst.“ | |
| Mit dem Label des „Gonzo“, das Boston-Globe-Redakteur und Autor Bill | |
| Cardoso für Thompsons Schreibe kreierte, konnte sich dieser schon eher | |
| anfreunden. | |
| Der stets mit Sonnenbrille, bunten Hemden oder Jackett und wahlweise mit | |
| Kippe oder Knarre posierende Thompson, Inbegriff der Coolness, gilt als | |
| Begründer dieser Art des Schreibens, die meist subjektiv, drogeninduziert, | |
| assoziativ und impulsiv zugleich war. Mit seiner „Hell’s Angels“-Reportage | |
| wurde Thompson berühmt, sein Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“, ein | |
| Drogentrip in Worten, gilt – wie auch dessen Verfilmung – als epochal. „T… | |
| Rum Diary“, hierzulande erst 2004 erschienen, ist sein vielleicht | |
| mitreißendster Roman über sein journalistisches Wirken in Puerto Rico. | |
| ## Durchschläge auf Karbonpapier | |
| Vor genau zehn Jahren erschoss sich Thompson in Woody Creek (Colorado) im | |
| Alter von 67 Jahren. Erstmals erscheinen nun seine Briefe auf Deutsch. | |
| „Hunter S. Thompson – die Odyssee eines Outlaw-Journalisten. Gonzo-Briefe | |
| 1958–1976“ trifft eine Auswahl aus etwa 20.000 Briefen. Sie entstammen den | |
| ersten beiden Bänden einer Trilogie, die in den USA als „The Fear and | |
| Loathing Letters“ firmieren. Thompson machte von seinen Briefen stets | |
| Durchschläge auf Karbonpapier. | |
| Zeile für Zeile verwünscht Thompson in diesen Pamphleten oft mit tollen | |
| Polemiken die Welt, das Universum, die Menschheit. Es ist mehr als ein | |
| billiger Reflex, wenn einem als Leser die Schmähungen und die Beleidigungen | |
| so zentral erscheinen. Denn über das Fluchen kann man sich einer Figur wie | |
| Thompson tatsächlich nähern. Zum einen war es Teil eines Spiels, | |
| vergleichbar mit dem Dissen in der HipHop-Szene heute. Zum anderen aber war | |
| natürlich auch Wut sein Antrieb. | |
| Wüste Rundumschläge in der Politik, auch im Literaturbetrieb, im | |
| Verlagswesen, in der Journaille, waren seiner Form der Kritik. So sind es | |
| vielleicht insbesondere die spaßguerillaartigen Aktionen, die nach der | |
| Lektüre hängen bleiben – etwa, wenn Thompson angetrunken an den | |
| US-Präsidenten Lyndon Johnson (1963 bis 1969 Präsident) schreibt und sich | |
| um einen Gouverneursposten in Amerikanisch-Samoa bewirbt. Begründung: er | |
| verfüge über eine „allgemein menschenfreundliche Einstellung“ und entwick… | |
| gerade das „Bedürfnis nach einer geordneten Existenz im Pazifikraum“. | |
| Wieder nüchtern, zieht er seine Bewerbung allerdings zurück - er kommt zu | |
| der Auffassung, „dass ich ihrer Administration unter keinen Umständen guten | |
| Gewissens dienen kann (...). Ich beziehe mich insbesondere auf Ihre | |
| hysterisch anmutende Vietnampolitik (...)“ Gegen Ende des Briefes schreibt | |
| er Johnson: „Es ist Ihr Krieg, und Sie sind es, der ohne mich damit | |
| zurechtkommen muss.“ | |
| ## Verkörperung des Unkorrumpierbaren | |
| In einer anderen Aktion kandidiert Thompson für den Sheriffsposten in | |
| Aspen, wo er in einem Farmgebäude lebte. Mit der „Freak Power-Plattform“, | |
| wie er sie nennt, verspricht er im Wahlkampf, Drogen zu legalisieren und | |
| die Autos – zugunsten von Fahrrädern – von den Straßen Colorados zu | |
| verbannen. Thompson unterliegt. | |
| Neben den Briefen finden sich auch noch andere zentrale Texte in dem | |
| 600-Seiten-Schinken. Zuvorderst der Artikel über die Riots während des | |
| Democratic National Convention in Chicago 1968 („… bis zum nächsten Morgen | |
| könnten wir alle tot sein, oder zumindest Krüppel …“); daneben seine | |
| Abrechnung mit dem konservativen, protofaschistischen, patriarchal | |
| geprägten Teil der US-amerikanischen Gesellschaft, die für Rassenhass und | |
| Unterdrückung der Natives steht. All das projiziert Thompson in die Figur | |
| des John Wayne: „Der ultimative Ausdruck für alles, was mit dem | |
| amerikanischen Traum falsch gelaufen ist.“ | |
| Sicher, auch Thompson hatte seine Lebenslügen, aber als Journalist | |
| verkörpert er etwas Unkorrumpierbares. Als Autor hat er Techniken wie die | |
| des Stream of Consciousness, vielleicht auch der Écriture automatique in | |
| den Journalismus importiert – ein nicht zu unterschätzendes Verdienst, das | |
| heute noch – etwa in erfolgreichen Publikationen wie dem Vice Magazine – | |
| nachwirkt. Herausgeber Douglas Brinkley schreibt: „In Thompsons Sphäre des | |
| Misstrauens sind Agenten Diebe, Lektoren Schweinehunde und Politiker | |
| Scharlatane.“ Dieses Misstrauen ist nicht zu verwechseln mit der Missgunst | |
| des Kleinbürgers und einem Hass auf „die da oben“. Es ist die Wut eines | |
| politischen Individuums, die hier zum Ausdruck kommt. | |
| 20 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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