| # taz.de -- Großeltern-Demo gegen das Jugendamt: Die Sorge ums Kind | |
| > Aufgrund abenteuerlicher Verdächtigungen und mit unkonkreter Begründung | |
| > verhindert das Jugendamt den Kontakt zwischen Vater und Sohn. | |
| Bild: Demonstrieren am Amt für Soziale Dienste: Die Orlowskis und Unterstütze… | |
| BREMEN taz | Irgendetwas ist hier gründlich schief gelaufen und völlig | |
| entgleist. Und das hat die Großeltern, also Rüdiger und Sabine Orlowski, | |
| beide pensioniert, beide Lehrer mit „zusammen 60 Jahren im Schuldienst“, | |
| wie er sagt, getrieben, aufzubrechen aus dem gemütlichen Einfamilienhaus in | |
| Cuxhaven, und sich am Montagnachmittag an die zugige und verdieselte Ecke | |
| zu stellen, Rembertiring, vor’s Amt für Soziale Dienste. | |
| Das ist ihre erste Demo, ihre allererste. Sein Sohn, betont Rüdiger | |
| Orlowski, ist nicht dabei, damit dem daraus nicht am Ende der | |
| Sachbearbeiter einen Strick dreht. | |
| Eine ganze Reihe NachbarInnen sind mit angereist. Ein Hund springt durch | |
| die Handvoll Menschen, die Schilder hochhalten: „Wo ist Christian?“, steht | |
| drauf und „In Bremen kein Vater-Recht?“. Auf manchen ist einfach nur das | |
| Foto von einem Säugling, schwarzer Balken über den Augen: Das ist der Enkel | |
| der Orlowskis, vergangenen Juni in Bremen geboren, den das Amt in eine | |
| Pflegefamilie gesteckt hat. Ihnen und ihrem Sohn weggenommen, sagen die | |
| Großeltern. | |
| Und weiß auf rot erhebt das große Transparent direkt neben dem Amtseingang | |
| den Vorwurf „Kinderklau Jugendamt und Familiengericht Bremen“, steht da, | |
| weiße Schrift auf rotem Grund. Sie protestieren, weil das Baby in eine | |
| Pflegefamilie gegeben worden ist – ohne konkreten Grund. | |
| „Es gibt hier keinen Kinderklau“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der | |
| Sozialsenatorin, „natürlich nicht.“ Er beteuert, dass „die MitarbeiterIn… | |
| des Jugendamts nur das Kindeswohl im Auge“ hätten. Und – das ist so ein | |
| Problem bei solchen Fällen – über Einzelheiten könne und dürfe er sich | |
| natürlich nicht äußern. | |
| Eine neutrale Instanz, die den verfahrenen Konflikt entschärfen, vermitteln | |
| könnte? – „Das macht doch das Gericht“, sagt Schneider. Da müsse man do… | |
| nicht demonstrieren. „Wenn man aber partout nicht kooperieren will, dann | |
| wird manches schwerer.“ | |
| Seit August hat das Kind den Vater nicht gesehen, geschweige denn die | |
| Großeltern. „Unsere Familie ist voller Emotionen!“, schreit Orlowski in das | |
| Megaphon. Was das Amt von ihm, seiner Frau und seinem Sohn verlangt, | |
| nämlich, dass sie sich familienpsychologisch begutachten lassen, ob sie | |
| denn erziehungsfähig wären, das sei schon ein starkes Stück. | |
| Und das Misstrauen ist nachvollziehbar: Das Gutachten wird bei einem Kind, | |
| das mit drei Monaten aus der Familie genommen worden ist, keine intensive | |
| Bindung feststellen können. Und mit der Jugendamt-Hermeneutik haben die | |
| Orlowskis auch Erfahrungen gesammelt. Schon die Mutter hatte das Sorgerecht | |
| nicht zurück bekommen, weil sie „durch die moralisierende und | |
| diskreditierende Massivität“ der Orlowskis ohnehin daran gehindert würde, | |
| es adäquat auszuüben. | |
| Der Fall hat viele Einzelheiten. Aber im Grunde ist er so kompliziert | |
| nicht: Der Sohn der Orlowskis ist der leibliche Vater von Christian, nur | |
| war die Mutter bei der Geburt noch anderweitig verheiratet. Sie ist | |
| mittlerweile geschieden, aber auch nicht mehr mit dem Kindsvater zusammen. | |
| Sie hatte die Schwangerschaft psychisch schlecht verkraftet. Die Geburt war | |
| schwer. Und dann kam’s halt nicht nur zu den paar Heultagen, sondern zu | |
| ’ner therapiebedürftigen postpartalen Erkrankung. Also kommt das Kind | |
| zunächst im Einvernehmen zu den Großeltern. | |
| Dann gibt’s Stimmungsumschwünge, die Mutter verliert das Sorgerecht, erst | |
| vorläufig, dann dauerhaft, den ganzen Sommer über mahlen die Mühlen, und am | |
| Ende – holt sich das Jugendamt das Kind. | |
| Und gibt's nicht wieder her. Verweigert Orlowski Junior den Zugang, obwohl | |
| doch seit der Scheidung der biologische Vater auch rechtlich anerkannt sein | |
| müsste, und „ohnehin“, sagt Thomas Saschenbrecker, „wäre das die reinste | |
| Förmelei: Auch der leibliche Vater hat schließlich ein Recht auf Umgang mit | |
| seinem Kind.“ | |
| Saschenbrecker ist Anwalt, ein ausgewiesener Sorgerechtsexperte, und er | |
| vertritt den Sohn der Orlowskis. „Das ist ein besonders skandalöser Fall“, | |
| findet er, „weil hier das Jugendamt und das Familiengericht dem Vater | |
| einfach hartnäckig den Kontakt zu seinem Kind verweigern.“ | |
| Genau genommen würde ihm ein Umgang gestattet, aber nur unter fremder | |
| Aufsicht und eine Stunde pro Woche, geteilt mit der Mutter. Darauf kann er | |
| sich nicht einlassen: Die Auflagen werden unter dem Vorwand gemacht, er | |
| hätte geplant, das Kind zu entführen, und mit ihm zu fliehen, und sie | |
| akzeptieren hieße, den Vorwurf einräumen. Dabei ist der absurd. Der junge | |
| Mann hat einen guten Job in Bremen, hat hier auch studiert, ist verankert, | |
| „es ist die reine Verleumdung“, sagt Sabine Orlowski, und sie hat Tränen in | |
| den Augen. | |
| Strafanzeige haben sie deshalb erstattet. „Klar“, sagt Rüdiger Orlowski, | |
| „jeder denkt, wenn das Jugendamt eingreift, dann muss da auch was gewesen | |
| sein“, er schüttelt den Kopf. „Hätte ich genauso gesagt. Vor neun Monaten | |
| hätte ich das noch genauso gesagt.“ | |
| 23 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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