# taz.de -- Sinologe über chinesische Taiwan-Politik: „Taiwan ist ein politi… | |
> China gibt keine Ruhe, wenn es um die territoriale Integrität des kleinen | |
> Nachbarn geht. Hans-Peter Hoffmann über den Status Quo des Landes, | |
> Proteste und die USA. | |
Bild: Demonstration für die Unabhängigkeit Taiwans von China, Februar 2015 in… | |
taz: Herr Hoffmann, in Hongkong flammten unter dem Stichwort „Occupy | |
Central“ im letzten Jahr immer wieder Proteste auf. Hongkonger Studenten | |
demonstrierten gegen Pekings Eingriffe in das Wahlrecht und für freie | |
Wahlen. Wie wird in Taiwan auf die Proteste auf dem Festland reagiert? | |
Hans Peter Hoffmann: Die politisch bewusste Jugend in Taiwan weiß die | |
Freiheit und die Freiheiten, die die Demokratie gebracht hat, sehr zu | |
schätzen. Sie hat genau beobachtet, was in Hongkong los war. Denn wie China | |
nun in Hongkong mit den Studenten umgeht, zeigt auch, wie man unter | |
Umständen mit taiwanesischen Studenten umgehen würde, sollte es einmal zu | |
dem allseits gefürchteten Zugriff aus Peking kommen. | |
Hongkong war lange Zeit eine britische Kolonie und wurde 1997 an China | |
zurückgegeben. Im Gegensatz zu Hongkong ist Taiwan aber ein eigenständiger | |
Staat. Trotzdem möchte Peking auch das kleine Taiwan gerne in die | |
Volksrepublik eingliedern? | |
Mit dem Wort „eingliedern“ wäre ich vorsichtig. Die Rückgabe Hongkongs war | |
ja schließlich kein martialischer Akt, sondern die vertragsgemäße Rückgabe | |
einer Kolonie durch eine Kolonialmacht. Hongkong hat bis heute eine | |
Sonderstellung innerhalb der Volksrepublik. Es ist eine | |
Sonderverwaltungszone, und man vereinbarte 1997 für eine Übergangszeit von | |
50 Jahren, nach der Philosophie „Ein Land, zwei Systeme“ zu leben. Das | |
selbstständige Taiwan hingegen hatte 1992 mit China eine andere, typisch | |
chinesische Sprachregelung für das gemeinsame Verhältnis gefunden, nämlich | |
„Ein Land, zwei Interpretationen“. | |
Das heißt: Beide Seiten stimmten darin überein, dass es nur ein China gibt, | |
aber es bestand Uneinigkeit darüber, wer es vertritt. Das ist also ein nur | |
scheinbarer Konsens, dessen Sollbruchstellen immer sichtbarer werden. Im | |
November sprach deshalb die die Tageszeitung Taipei Times karikierend von | |
„Ein Konsens, zwei Interpretationen“. | |
Die Kuomintang regierte Taiwan bis 1987 unter Kriegsrecht. Im Jahr 2000 kam | |
mit Chen Shui-bian dann erstmalig ein Präsident der Demokratischen | |
Fortschrittspartei (DPP) an die Macht, womit eine intensive | |
„Taiwanisierung“ einherging. Das heißt: Taiwanesen empfanden sich nicht | |
mehr als Chinesen, sondern genuin als Taiwanesen. Dass die Volksrepublik | |
nicht mehr im mentalen Fokus stand, war bahnbrechend. Mit Ma Ying-jeou ist | |
seit 2008 allerdings wieder ein KMT-Präsident am Ruder, der die Nähe zu | |
China sucht. Wie steht es aktuell um ihn und die KMT? | |
Ma Ying-jeou versprach 2008 einen gemäßigteren China-Kurs als unter seinem | |
Vorgänger Chen Shui-bian. Deshalb wurde er gewählt. Mittlerweile aber | |
erscheint vielen, vor allem den jüngeren Leuten, Mas Kurs zu | |
chinafreundlich. Und auch die wirtschaftlichen Erfolge sind ausgeblieben, | |
die für Taiwan wichtig sind und die man von Ma erwartet hatte. Entsprechend | |
wurde die KMT bei den Kommunalwahlen Ende November empfindlich abgestraft. | |
Wobei diesmal auch der rigide Umgang mit den taiwanischen | |
Studentenprotesten im Frühjahr eine Rolle gespielt haben mag. | |
Nicht nur in Hongkong, sondern auch in Taipeh haben 2014 die Studenten | |
massenhaft protestiert. Im März besetzten sie sogar für gut drei Wochen das | |
Parlament. Die sogenannte Sonnenblumen-Bewegung protestierte gegen das | |
„Rahmenabkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit“ (ECFA). Was ist das | |
Problem bei diesem Abkommen? | |
Das Abkommen ermöglicht den Austausch von Dienstleistern und | |
Dienstleistungen zwischen der großen Volksrepublik und dem kleinen Taiwan. | |
Deshalb befürchten die Taiwanesen, dass ihr Land von Chinesen überschwemmt | |
wird, die ihre Dienstleistungen zu Dumpingpreisen anbieten. Außerdem weiß | |
man, dass die Volksrepublik taiwanesische Medien kauft oder zu kaufen | |
versucht, was die Taiwanesen sehr beunruhigt. Die Angst vor dem Verlust der | |
Unabhängigkeit hat in den letzten zwei Jahren zu entsprechend vielen | |
Demonstrationen geführt. Ich persönlich finde das übrigens immer noch sehr | |
erstaunlich. | |
Wieso erstaunlich? | |
Ich kam 1979 zum ersten Mal nach Taiwan. Damals stand das Land noch unter | |
Kriegsrecht, und an Demonstrationen war nicht einmal zu denken. Da ich erst | |
2009, also dreißig Jahre später, beruflich wieder nach Taiwan zog, sehe ich | |
das Land immer noch ein wenig vor dem Hintergrund von 1979, und dieser | |
Kontrast ist mehr als erstaunlich: Taiwan hat seither wirklich eine enorme | |
politische Entwicklung durchgemacht. | |
Trotzdem lebt Taiwan bereits seit Jahrzehnten in einem Status quo. Das | |
heißt: Die rund 400 km lange und 150 km breite Insel ist ein eigenständiger | |
Staat, wird aber auf Druck der Volksrepublik von den meisten Ländern auf | |
der Welt nicht als solcher anerkannt. Auch nicht von Deutschland. Deshalb | |
ist Taiwan in vielen internationalen Organisationen nicht vertreten. Wie | |
haben Sie diesen Status quo in den Jahren erlebt, in denen Sie in Taiwan | |
gewohnt haben? | |
Im Alltag denken die Taiwanesen natürlich nicht dauernd darüber nach, aber | |
der Status quo ist bedrückend und mehr oder weniger ständig präsent. Eine | |
Hinwendung zu offensiver Eigenständigkeit würde, so die einhellige Ansicht, | |
von Peking niemals toleriert werden. Meine Studenten haben deshalb immer | |
wieder diskutiert, was zu tun wäre, würde die Volksrepublik eines Tages in | |
Taiwan einmarschieren. Ich weiß noch, dass ein junger Mann, der frisch aus | |
dem Militärdienst entlassen worden war, es indiskutabel fand, sich nicht zu | |
Wehr zu setzen. Andere aber meinten, Taiwan sei zu klein und militärischer | |
Widerstand ohnehin zwecklos. | |
Andere Szenarien spielten in diesen Diskussionen übrigens keine Rolle. Etwa | |
eine doch zumindest denkbare Demokratisierung Chinas, von der man zum | |
Beispiel in den Aufsätzen des inhaftierten Friedensnobelpreisträgers Liu | |
Xiaobo liest, oder einfach eine wirklich langfristige und stabile | |
Fortführung des Status quo. Die eingestandene und uneingestandene Angst in | |
Taiwan ist groß. Und allgegenwärtig. Darüber hinaus ist es vor allem für | |
junge Taiwanesen und Taiwanesinnen ausgesprochen frustrierend und ein | |
großes berufliches Hindernis, dass ihr Land als solches offiziell nicht | |
existiert. Ein taiwanesischer Freund, der versuchte, im Ausland zu | |
arbeiten, fasste es einmal in dem Satz zusammen: „A Taiwanese passport is | |
nothing but a piece of shit!“ | |
Hat ein eigenständiges Taiwan eigentlich keine Vorteile für die | |
Volksrepublik? | |
Doch, natürlich. Taiwan ist ja auch ein politisches Labor, ein | |
Experimentierfeld, ein Spiegel für China und eine Reibungsfläche. Denn in | |
Taiwan werden Dinge ausprobiert, die in der Volksrepublik nicht oder kaum | |
zugelassen werden. Also: Demokratie und Zivilgesellschaft. Peking sagt | |
offiziell zwar immer, die Demokratie sei ein Produkt der westlichen Kultur | |
und widerspreche der chinesischen Tradition, aber genau das wird ja in | |
Taiwan widerlegt. Dort lebt ein chinesisches Land die Demokratie. Und diese | |
Erfahrungen könnten durchaus auch für das große China einmal nützlich | |
werden. | |
Würden die USA Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs zur Seite | |
stehen, wie es der US-„Taiwan Relations Act“ vorsieht? | |
Schwer zu sagen. US-Präsident Obama betont stets den Führungsanspruch der | |
USA im pazifischen Raum. Er hat in den letzten Jahren auch intensiv und | |
erfolgreich um asiatische Verbündete geworben, um einen geografischen | |
Schutzwall vor China aufzuziehen. Ein Konflikt mit China scheint mir | |
vorprogrammiert. Und hier hat und hätte die Insellage natürlich eine enorme | |
strategische Bedeutung. Andersherum stellt sich aber auch die Frage: Wäre | |
China bereit, für Taiwan einen Krieg mit den USA in Kauf zu nehmen? | |
Vielleicht ist es ja gerade diese prekäre Lage, die den Status quo in | |
Taiwan zur langfristigen Lösung macht. | |
26 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Katharina Borchardt | |
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