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# taz.de -- Doku über Pianistennachwuchs: Imagepolitur für die Klassik
> Im Dokumentarfilm „Jung + Piano“ begleitet Oliver Gieth die Teilnehmer am
> „Tonali“-Wettbewerb für Klavier-Nachwuchs – koproduziert von den
> Ausrichtern.
Bild: Wo angestrengtes Üben war, soll strahlendes Siegerlächeln werden: Elisa…
HAMBURG taz | Die Hamburger Elbphilharmonie gilt den einen als
Paradebeispiel für Misswirtschaft und verschwendete Steuergelder. Aber das
im Bau befindliche Konzerthaus lässt sich auch als Symbol für Modernität
und Aufbruch sehen. So präsentiert sie Regisseur Oliver Gieth in den ersten
Einstellungen seiner Dokumentation: als Gipfel einer Hamburger Skyline. Wie
ehrfürchtig nähert sich die Kamera in einer langen Fahrt dem Gebäude, ehe
sich dann der Filmtitel „Jung + Piano“ computeranimiert auf ihrer Fassade
ausrollt.
Drinnen werden dann Fotoaufnahmen gefilmt: ein Model ruht, eine Violine in
der Hand, in einer Hängematte in einem noch im Bau befindlichen Innenraum.
Was einmal das Plakat für den Musikerwettbewerb „Tonali“ 2014 werden soll,
wirkt, als wartete das Dornröschen der klassischen Musik darauf, an diesem
Ort wach geküsst zu werden.
## Zukunftssicherung für die Klassik
Und so ganz anders ist der Anspruch der Initiatoren des Projekts, Boris
Matchin und Amadeus Templeton, nicht. Beide sind Cellisten in Hamburg und
suchten mit „Tonali“ ein ganzheitliches Konzept zu entwickeln, um ein
junges Publikum an die klassische Musik heranzuführen. Den ganzheitlichen
Anspruch des Projekts untermauert, dass beide auch als Koproduzenten dieses
Dokumentarfilms firmieren; nach „Grand Prix der Geiger“ (2010/11) und „Ci…
Cello“ (2013) bereits die dritte Dokumentation über einen der jährlichen
Tonali-Wettbewerbe.
Entsprechend viel Zeit wird darauf verwendet, den Daseinsgrund dieser
Initiative zu erklären. Der Kulturwissenschaftler Martin Tröndle spricht
vom Phänomen „Silbersee“, als den klassische Musiker von der Bühne aus ihr
Publikum sehen – und der Film liefert die passenden Bilder von ergrauten
Bildungsbürgern in der Hamburger Laeiszhalle. Tröndle stellt ein
„Überaltern des Konzertlebens“ fest und sieht – in einer etwas
befremdlichen Formulierung – das „biologische Ableben“ heutiger
Konzertbesucher als eine Bedrohung der klassischen Musikkultur.
Es ist also durchaus auch gesunder Egoismus professioneller klassischer
Musiker, aus dem heraus Matchin und Templeton gegen den Lauf der Dinge
anzusteuern versuchen. Dabei ist ihnen durchaus bewusst, dass es gerade
nicht zu wenig Nachwuchsmusizierende gibt, sondern zu wenig junges
Publikum. Da macht ein Wettbewerb für junge Musiktalente die Situation
eigentlich noch schlimmer, indem er langfristig für mehr arbeitslose oder
schlecht bezahlte Musiker sorgt.
Indes ist bei Tonali die Vermittlung der Musik mindestens so wichtig wie
der Wettbewerb selbst. Im Film ist zu sehen, wie Wettbewerbsteilnehmer in
Hamburger Schulen spielen. Dort schreiben sie dann Autogramme für die neuen
jungen Fans, die sich um ihre Tische drängen. Um Alternativen zum
konventionellen Konzert zu eröffnen, gehen sie auch in ein Krankenhaus und
spielen für die Patienten. Auf Workshops lernen sie, professionelle Ansagen
zu machen und müssen dabei zum Teil mehr Lampenfieber überwinden als bei
ihren eigentlichen Auftritten.
## Keine stolzen Eltern im Bild
Die Teilnehmer des Wettbewerbs waren zwischen 16 und 21 Jahre alt und es
fällt auf, dass sie – anders als bei ähnlichen Dokumentationen üblich –
hier nicht persönlich vorgestellt werden: Es gibt keine Interviewszenen, in
denen sie erklären, wie sie zur klassischen Musik gekommen sind; keine
„Homestorys“ mit stolzen Eltern und auch erstaunlich wenige Aufnahmen, in
denen die Gruppendynamik dargestellt werden soll. Einige sprechen öfter in
die Kamera, andere wiederum scheinen an der Mitwirkung an Gieths Film nicht
interessiert zu sein und bleiben so wortlos und aus ungünstigen
Perspektiven aufgenommen im Hintergrund. Aber es wird schnell deutlich:
Hier steht das Projekt im Mittelpunkt, nicht die Gruppe der daran
Teilnehmenden.
Seltsam beiläufig wird aber auch die Musik behandelt: Natürlich gibt es
längere Passagen, in denen die Pianisten spielen, aber es wird nicht etwa
angegeben, was und von wem. Ja, die Filmemacher haben offenkundig keine
Ohren für die Musik, und so ist auch der Schnitt alles andere als
musikalisch. Regisseur Oliver Gieth hat bisher einen Dokumentarfilm („Gib
mich die Kirsche! Die 1. deutsche Fußballrolle“, 2006) und einen Videoclip
über Fußball gedreht und unter anderem eine Doku über die Künstlerin
Rebecca Horn geschnitten. Es gibt also viele Filmemacher in Deutschland,
die einen besseren Musikfilm gemacht hätten, aber auch hier sollten
offensichtlich andere Wege ausprobiert werden.
## Der Blick des Außenseiters
Gieth ging mit dem neugierigen Blick eines Außenseiters an das Thema, und
vielleicht soll das einem jungen Publikum gemäß sein, das von noch einem
routiniert gemachten Film eher gelangweilt oder gar abgeschreckt würde. Und
tatsächlich gelingen schöne Einstellungen, etwa jene, in der die
Wettbewerbsteilnehmer beim Abschlusskonzert einer Konkurrentin im Publikum
sitzen und allesamt mitspielen, mit den Fingern auf den Knien.
Der letzte Akt folgt dann der Dramaturgie eines Sportfilms: enttäuschte
Gesichter nach der Vorauswahl, einen fatalen Hänger beim Abschlusskonzert
mit der Bremer Kammerphilharmonie – und eine strahlende Gewinnerin:
Elisabeth Brauß, Jahrgang 1995, aus Hannover. Ob sie die Beste im
Wettbewerb war, ist nach diesem Film indes unmöglich zu beurteilen.
##
## „Jung & Piano“ läuft vom 6.–9. sowie am 15. und 16. März im Kino im
Künstlerhaus, Hannover, im April im Bremer City 46, im Mai im Nordlicht,
St. Peter-Ording. Die DVD ist bei erhältlich
5 Mar 2015
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Wettbewerb
Dokumentarfilm
Arte
U-Bahn
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