# taz.de -- Vergewaltigung in der Nachkriegszeit: Nicht bloß Veronika | |
> Kaugummi und Jazztanz mit US-Soldaten prägen das Bild von der | |
> Besatzungszeit. Ganz so harmlos waren sie aber nicht, zeigt ein neues | |
> Buch. | |
Bild: Eine Frau läuft durch das zerstörte Dresden. | |
Dank Nina Hoss tauchte vor wenigen Jahren das Thema der | |
Massenvergewaltigungen durch Besatzungsarmeen wieder in der deutschen | |
Öffentlichkeit auf. 2008 wanderte sie in Max Färberböcks Film als „Eine | |
Frau in Berlin“ durch Weltkriegsruinen. Allerdings wurde diese Zeit | |
aseptisch mit einer unverwundbar scheinenden Nina Hoss im Stil eines | |
kitschigen Romans verpackt. | |
Die Realität der grausamen Vergewaltigungen – und zwar nicht nur durch | |
Soldaten der Roten Armee –, die nicht selten tödlich endeten, konnte damit | |
nicht beleuchtet werden. Und schon war das Thema wieder verschwunden. | |
Dieses kurze Auf- und Wiederabtauchen gilt als typisch für nachhaltig | |
tabuisierte Erinnerungen. | |
Die Historikerin Miriam Gebhardt will das nun ändern. „Als die Soldaten | |
kamen“ heißt ihr Buch, für das sie neue Quellen auswertete und das | |
historische Bild von Vergewaltigungen in einigen Zügen neu konturiert. Ihre | |
Analyse ist selbstbewusst und ihr Ziel hochgesteckt: „Wissenschaft und | |
Gesellschaft haben bei der Aufarbeitung des Themas versagt“, erklärt sie. | |
Die Opfer „sollen rehabilitiert werden“, die Empathiefähigkeit der | |
deutschen Öffentlichkeit gestärkt werden. | |
Vom Befreier vergewaltigte Frauen waren ein heikles Thema, sie waren in | |
Gebhardts Worten die „falschen Opfer“, schließlich gehörten sie zum | |
„Tätervolk“. Die Militärgerichtsbarkeit nahm sie nicht ernst, die deutsche | |
Polizei war machtlos. Und dies, das ist die erste Frage, die Gebhardt | |
umfassender beantworten will, eben nicht nur im russisch besetzten Teil | |
Deutschlands. | |
## Aberkennung des Leidens | |
Gebhardt ist bei ihren Schätzungen konservativ: Auf 860.000 Opfer kommt sie | |
in einer Hochrechnung mit vielen Unbekannten. Auf 2 Millionen hatte in den | |
Neunzigern Helke Sander die Opfer geschätzt, die mit dem Buch-Film-Projekt | |
„BeFreier und Befreite“ die bisher gründlichste Recherche zu dieser Zeit | |
lieferte. Anders als Sander hat Gebhardt auch Quellen aus den Westzonen des | |
besetzten Deutschland ausgewertet. Dazu zählen vor allem Berichte von | |
bayrischen Pfarrern, die von ihrem Bistum aufgefordert worden waren, den | |
Einmarsch der Alliierten zu beschreiben. | |
Und – im Widerspruch zum verbreiteten Bild von dem Ami-Liebchen, das für | |
Zigaretten, Essen und Schokolade mit den US-Soldaten freiwillig Sex hatte – | |
stößt sie in den Berichten auf zahlreiche Vergewaltigungen durch Angehörige | |
der US-Armee: Etwa 190.000 Vergewaltigungen rechnet sie den US-Truppen zu. | |
Auch wenn diese Zahl zunächst hoch scheint – es handelt sich, wie gesagt, | |
um Schätzungen –, wichtig ist, dass diese Opfer hinter dem Klischee der | |
„Veronika Dankeschöns“, die sich den Amerikanern an den Hals warfen, völl… | |
unbeachtet blieben. | |
Ebenso stellt sie die von Erich Kuby in den 50ern nachhaltig in die Welt | |
gesetzte Einschätzung infrage, dass die Frauen die Vergewaltigungen | |
„erstaunlich schnell wegsteckten“. Dieser Aberkennung des Leidens setzt sie | |
die Erkenntnisse der Traumaforschung entgegen, die eher von einer | |
Kumulierung als von einer gegenseitigen Verdrängung der Traumata ausgeht. | |
## Gebot Verdrängung | |
Gebhardt beschäftigt sich auch mit den materiellen Nachwirkungen dieser | |
Massengewalt. So ließen die Besatzungsmächte Anträge auf | |
Unterhaltszahlungen für Besatzungskinder regelmäßig im Nirgendwo versanden | |
– und auch die Anerkennung als Kriegsopfer ließ lange auf sich warten. Die | |
Kriterien für eine Anerkennung waren, gelinde gesagt, merkwürdig. Eine | |
Frau, die nicht ihren tadellosen Lebenswandel samt ordentlich geführtem | |
Haushalt belegen konnte, galt als unglaubwürdig. | |
Etwa die Hälfte der von der Uni Greifswald befragten Vergewaltigungsopfer | |
leidet unter posttraumatischen Belastungsstörungen. Kein Wunder: Verdrängen | |
war das Gebot der Stunde. „Die Gesellschaft erwartete, dass die Frauen die | |
Zähne zusammenbissen, und die Frauen erwarteten das wohl auch von sich | |
selbst“, beschreibt Gebhardt die Situation. Da war es natürlich ein | |
Leichtes, die Vergewaltigungen zu bagatellisieren, wie es Erich Kuby im | |
Spiegel tat. | |
Die Zeit scheint reif zu sein für diese Untersuchung. Hatte sich Helke | |
Sander in den Neunzigern noch mit Revisionismusvorwürfen auseinandersetzen | |
müssen, so ist es heute möglich, mit der Gleichzeitigkeit von Täter- und | |
Opferschaft umzugehen. Die feministische Geschichtsschreibung weiß längst | |
von der möglichen Täter- und Mittäterschaft von Frauen; heute kommt niemand | |
mehr mit einer reinen Opfererzählung durch. Ambivalenzen aushalten, das ist | |
es, wozu auch Gebhardt anregt. | |
8 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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