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# taz.de -- Versuchte Vergewaltigung in London: „Unsere Körper sind unschuld…
> Mit einem Offenen Brief rüttelt eine Londoner Studentin die britische
> Öffentlichkeit auf. Sie thematisiert darin einen Überfall mit
> Vergewaltigungsversuch.
Bild: Diese Selbstverständlichkeit muss offensichtlich immer wieder neu ausges…
LONDON taz | Nein, Vergewaltigungsopfer sind nicht selbst schuld. Diese
Selbstverständlichkeit muss offensichtlich immer wieder neu ausgesprochen
werden. In Großbritannien hat jetzt eine 20-jährige Studentin, die in
London Opfer eines brutalen Überfalls wurde, durch einen aufsehenerregenden
„Offenen Brief“ (Dokumentation siehe unten) an ihren Angreifer eine Welle
von Solidarität losgetreten.
Ione Wells, eine Londonerin, die am Keble College der Universität Oxford
Anglistik studiert, wurde während der Osterferien in der Nacht zum 11.
April auf dem Nachhauseweg vom U-Bahnhof Chalk Farm im Stadtteil Camden
überfallen und misshandelt, mit dem Ziel, sie zu vergewaltigen. Sie war
schon fast zuhause angekommen.
Als Nachbarn und Angehörige, darunter ihre Mutter, auf den Lärm auf der
Straße aufmerksam wurden und ihr zur Hilfe eilten, rannte der Täter weg,
wurde aber wenig später gefasst.
Die Identität des Beschuldigten ist geschützt – Ione Wells hat ihr Recht
auf Anonymität aufgegeben, um ihn öffentlich anzuprangern. Ihr Offener
Brief, den zuerst vergangene Woche die [1][Oxford-Studentenzeitung Cherwell
abdruckte] und der diese Woche durch die überregionalen Medien geht,
beschreibt in allen Einzelheiten, wie er mit ihr umgegangen ist. Der Brief
sagt weiter: „Du hast in jener Nacht nicht nur mich angegriffen.“
## „Wir werden uns nicht unsicher fühlen“
Alle Menschen um sie herum, die sie kennen, seien ebenfalls direkt
betroffen. Aber: Das werde die Menschen ebensowenig in die Knie zwingen wie
die Terroranschläge vom 7. Juli 2005, die in London 56 Menschen getötet
hatten.
„Wir werden uns nicht unsicher fühlen, wenn wir in der Dunkelheit nach
Hause laufen... Wir werden uns nicht dem Gedanken beugen, dass wir uns
dadurch in Gefahr begeben. Wir werden zusammenstehen... Diesen Kampf wirst
du nicht gewinnen.“
Seit Veröffentlichung des Briefes haben Freundinnen von Ione Wells [2][eine
Webseite gegründet], auf der weitere Opfer sexueller Gewalt ihre
Geschichten teilen können. Sie selbst startete die [3][hashtag-Kampagne
#notguilty („Unschuldig“) auf Twitter]: „Unsere Straßen sind unschuldig.
Unsere Körper sind unschuldig. Was heißt Unschuldig für dich?“
## „Es ist für andere Opfer“
Im BBC-Rundfunk sagte Wells, die schon einmal für Menschenrechtsgruppen in
Südafrika – dem Land mit der höchsten Vergewaltigungsrate der Welt –
gearbeitet hat, am Donnerstag: „Ich bin sehr froh, dass aus etwas, was mir
unglaublich wehgetan hat, etwas werden konnte, worüber ich sehr sehr
positiv denke. Ich hatte gehofft, dass dieser Brief nicht nur für mich ist.
Er ist für andere Opfer und ihr Umfeld, damit sie wissen, dass jemand für
sie einsteht.“
Der 17jährige mutmaßliche Täter kommt am 6. Mai vor Gericht. Nach amtlichen
Statistiken gibt es in England und Wales – Schottland und Nordirland werden
separat erfasst – mehr Sexualverbrechen als je zuvor.
Im Jahreszeitraum bis Juni 2014 wurden demnach 22.116 Vergewaltigungen
erfasst, 24 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, während die Kriminalität
insgesamt um 16 Prozent zurück ging, so der jährliche amtliche „Crime
Survey“.
Die Zahl gemeldeter Vergewaltigungen mit vorgehaltener Stichwaffe,
sogenannte „knife-point rapes“, stieg um 48 Prozent auf 294.
## DOKUMENTATION
##
Ich kann dich in diesem Brief nicht anreden, weil ich deinen Namen nicht
kenne. Ich weiß nur, dass du soeben des schweren sexuellen Angriffs und des
fortdauernden gewaltsamen Überfalls angeklagt worden bist. Und ich habe
eine Frage.
Als die Videokamera dich erfasste, während du mich von der U-Bahn durch
meine Gegend verfolgt hast; als du wartetest, bis ich in meiner Straße
angekommen war, um dich mir zu nähern; als du deine Hand um mein Gesicht
legtest, bis ich nicht mehr atmen konnte; als du mich auf meine Knie
zwangst, bis mein Gesicht blutete; als ich mit deiner Hand rang, gerade so
viel, dass ich schreien konnte.
Als du mich an den Haaren zogst und als du meinen Kopf auf den Bürgersteig
schlugst und mir sagtest, ich solle aufhören zu schreien; als meine
Nachbarin aus dem Fenster sah und dich anbrüllte und du ihr ins Gesicht
sahst und mich weiter mit Füßen in Rücken und Hals tratest. Als mein BH
zerriss durch die Kraft, mit der du meine Brust packtest; als du nicht ein
einziges Mal meine Sachen nahmst, weil du meinen Körper wolltest; als du
meinen Körper nicht bekamst, weil alle meine Nachbarn und meine Familie
herauskamen und du ihnen ins Angesicht sahst.
Als die Videokamera dich erfasste, während du wegranntest und dann 20
Minuten später eine andere Frau vom selben U-Bahnhof verfolgtest, bis du
auf Verdacht festgenommen wurdest. Als ich bis fünf Uhr morgens in der
Polizeiwache saß, während du vier Stockwerke tiefer in Gewahrsam warst; als
ich meine Kleidung und Fotos der Wunden auf meinem nackten Körper an
forensische Ermittler übergeben musste – dachtest du da jemals an die
Menschen in deinem Leben?
Ich weiß nicht, wer die Menschen in deinem Leben sind. Ich weiß nichts über
dich. Aber ich weiß dies: Du hast in jener Nacht nicht nur mich
angegriffen. Ich bin eine Tochter. Ich bin ein Freund. Ich bin eine
Freundin. Ich bin eine Schülerin. Ich bin eine Cousine. Ich bin eine
Nichte. Ich bin eine Nachbarin. Ich bin die Angestellte, die im Café unter
der Eisenbahn Kaffee servierte.
All diese Leute, die in diesen Beziehungen zu mir stehen, sind meine
Gemeinschaft, und du hast jeden einzelnen von ihnen überfallen. Du hast die
Wahrheit verletzt, für die ich immer eintreten werden und für die all diese
Leute stehen: Es gibt unendlich mehr gute Menschen als böse auf der Welt.
Dieser Brief ist eigentlich überhaupt nicht für dich, sondern für alle
Opfer versuchten oder vollzogenen schweren sexuellen Überfalls und für
jedes Mitglied ihrer Gemeinschaften. Ich bin sicher, dass du dich an die
Bomben von 7/7 erinnerst. Ich bin auch sicher, dass du dich erinneren
wirst, wie die Terroristen nicht siegten, weil ganz London am nächsten Tag
wieder in die U-Bahn stieg. Du hast deinen Angriff durchgeführt, aber ich
steige wieder in meine U-Bahn.
Meine Gemeinschaft wird sich nicht unsicher fühlen, wenn wir in der
Dunkelheit nach Hause laufen. Wir werden den letzten Zug nach Hause nehmen,
und wir werden allein unsere Straßen hochlaufen, weil wir uns nicht dem
Gedanken beugen werden, dass wir uns dadurch in Gefahr begeben. Wir werden
weiterhin zusammenkommen, wie eine Armee, wenn ein Mitglied unserer
Gemeinschaft bedroht ist.
Diesen Kampf wirst du nicht gewinnen.
(...)
Das vollständige Original: [4][www.notguiltycampaign.co.uk]
30 Apr 2015
## LINKS
[1] http://www.cherwell.org/lifestyle/features/2015/04/24/not-guilty-a-letter-t…
[2] http://www.notguiltycampaign.co.uk
[3] http://twitter.com/hashtag/notguilty
[4] http://www.notguiltycampaign.co.uk
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
London
Vergewaltigung
Frauen
Sexualstrafrecht
Sexualisierte Gewalt
Vergewaltigung
Oxford
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