| # taz.de -- Migration und Integration: Was tun mit den Flüchtlingen? | |
| > Der Dokumentarfilm „Willkommen auf Deutsch“ zeigt, wie in der | |
| > norddeutschen Provinz mit Asylbewerbern umgegangen wird. | |
| Bild: Vor dem psychischen Zusammenbruch: Larisa mit ihrer Mutter und ihren fün… | |
| BREMEN taz | Manchmal kommt ein Film zur richtigen Zeit. Der Dokumentarfilm | |
| „Willkommen auf Deutsch“ hat heute seinen Kinostart. Er wirkt wie ein | |
| Kommentar zu dem Rücktritt des ehrenamtlichen Bürgermeisters von Tröglitz | |
| in Sachsen-Anhalt. Dieser sah sich durch Rechtsextreme bedroht, weil es | |
| Pläne des Landkreises gibt, in seinem Ort Asylbewerber unterzubringen. | |
| Wie sieht der alltäglich Umgang mit Asylbewerbern in der deutschen Provinz | |
| aus? Eine Antwort darauf liefert diese Dokumentation. Fast ein Jahr lang | |
| begleiteten Carsten Rau und Hauke Wendler mit ihrer Kamera Flüchtlinge, | |
| Bürger, die sich gegen die Ansiedlung von Flüchtlingen in ihrem Ort wehren, | |
| und Bedienstete einer Landkreisverwaltung. | |
| Dafür gingen sie in die wohlgeordnete norddeutsche Provinz. Südlich von | |
| Hamburg leben im Landkreis Harburg 240.000 Einwohner. Dort gibt es keine | |
| Zuspitzung wie in Tröglitz, also keinen rechtsradikalen Mob und keinen | |
| belagerten Staatsdiener, und deshalb ist hier ein genauer Blick möglich und | |
| nötig. | |
| Die erste Überraschung ist, dass man Anwohner, die sich dagegen wehren, | |
| dass Flüchtlinge in ihrem Ort untergebracht werden, durchaus verstehen | |
| kann. Das Dorf Appel hat ganze 415 Einwohner und dort soll ein ehemaliges | |
| Altersheim so umgebaut werden, dass 53 alleinstehende Flüchtlinge darin | |
| wohnen können. Dadurch würde sich das Dorfleben grundsätzlich ändern und | |
| wenn einer der Begründer einer Bürgerinitiative gegen diesen Umbau sagt, er | |
| fühle sich „von den Politikern und der Verwaltung in Stich gelassen“, kann | |
| man dies gut nachvollziehen. | |
| Bei Bürgerversammlungen fallen dann aber auch bedenkliche Bemerkungen. Es | |
| wird davon gesprochen, dass die Töchter sich nicht mehr trauen würden, | |
| alleine auf die Straße zu gehen. Man würde sich „einfach unwohl fühlen“, | |
| und wenn dann der Leiter des Fachbereichs Soziales Reiner Kaminski aus | |
| Harburg anreist, um seine Pläne zu verteidigen, wird er bei der | |
| Bürgerversammlung beschimpft. | |
| Die Filmemacher beginnen diese Sequenz mit der Nahaufnahme eines gefüllten | |
| Bierglases, denn die Versammlung findet in der Kneipe „Deutsches Haus“ | |
| statt, wo eine Stammtischatmosphäre herrscht. Aber die Filmemacher | |
| versuchen, beiden Seiten gerecht zu werden. | |
| Sie zeigen, wie sich die Bürger von Appel gegen die Ansiedlung wehren und | |
| auch die Bemühungen des Landesbediensteten, der die Filmemacher sogar dazu | |
| einlädt, Lagebesprechungen in seinem Amt mitzufilmen. Dort spricht er dann | |
| von der „Willkommenskultur“ während gleichzeitig an seinem Tisch davon die | |
| Rede ist, dass die Behörden Flüchtlinge wieder „ausweisen können“. Es ist | |
| eine der Qualitäten des Films, dass Rau und Wendler immer wieder solche | |
| Zwischentöne einfangen. | |
| In einem zweiten Erzählstrang zeigen sie ein bereits bestehendes | |
| Wohnprojekt für Flüchtlinge im Landkreis Harburg. In der Gemeinde Tespe | |
| wurde eine ehemalige Sparkassenfiliale so umgebaut, dass darin einige | |
| Familien leben können. Dort ist eine Mutter mit sechs Kindern aus | |
| Tschetschenien eingezogen. | |
| Zu Beginn der Dreharbeiten war die einzige Erwachsene in der Familie | |
| psychisch zusammengebrochen und in eine Klinik in Lüneburg eingeliefert | |
| worden. So erzählt ihre älteste Tochter Larisa bei den ersten Aufnahmen | |
| davon, dass es Anfeindungen aus der Bevölkerung gab. Wenn abends ein Kind | |
| auf dem Balkon weinte, wurde gleich die Polizei gerufen und auch die | |
| ständige Angst davor, abgeschoben zu werden, überforderte ihre Mutter. | |
| Zugleich spricht die junge Frau von der „schönen großen Wohnung“, die ihn… | |
| zugewiesen wurde. Im Laufe der Dreharbeiten wird auch sie die Grenzen ihrer | |
| Kräfte überschreiten müssen und schließlich liegt auch sie nach einem | |
| Zusammenbruch im gleichen Krankenhaus wie ihre Mutter. Doch inzwischen gibt | |
| es Hilfe aus dem Ort. | |
| Die Rentnerin Ingeborg Neupert aus Tespe hat eine Art von Patenschaft für | |
| die Flüchtlinge in dem Haus übernommen. Sie bringt ihnen die deutsche | |
| Sprache bei, berät sie in ihrem Umgang mit den Behörden, die ständig mit | |
| der Ausweisung drohen und kümmert sich, nachdem beide Versorgerinnen | |
| ausgefallen sind, gemeinsam mit einer Freundin um die Familie. So wird eine | |
| Unterbringung der kleinen Kinder in einem Heim vermieden, wofür auch | |
| Kaminski vom Landkreis verantwortlich ist, der sich als erstaunlich | |
| engagiert und fürsorglich erweist. | |
| Rau und Wendler zeigen, wie beschwerlich und karg das Leben der Flüchtlinge | |
| in Tespe ist. So begleiten sie auch das Ehepaar Malik und Abida, das aus | |
| Pakistan fliehen musste, weil er ein Muslim und sie eine Christin ist. Die | |
| beiden ziehen in das Haus in Tespe ein und es wird deutlich, wie absolut | |
| und mühsam ihr Neuanfang in diesem ihnen völlig fremden Land ist. | |
| In Appel gab es inzwischen eine erstaunliche Entwicklung. Die Unterbringung | |
| von 53 Flüchtlingen im Ort wurde zwar durch politische Tricksereien mit | |
| Bebauungsplänen und Baugenehmigungen verhindert, aber der Wirt des | |
| örtlichen Gasthofs hatte bei den ersten Verhandlungen angeboten, Zimmer für | |
| elf Flüchtlinge in seinem Haus bereitzustellen. Dies klang damals nach | |
| nicht viel mehr als einem taktischen Zug, aber das Angebot wurde nicht | |
| zurückgezogen und so zeigt der Film, wie eine Gruppe von Flüchtlingen aus | |
| Albanien in das „Deutsche Haus“ in Appel einzieht. | |
| Rau und Wendler schauen genau hin und machen so deutlich, wie schwierig und | |
| widersprüchlich das Problem für die Betroffenen ist. Alle Protagonisten | |
| werden mit ihren Ängsten und Bemühungen ernst genommen, und so ist | |
| schließlich der eher steif wirkende Fachbereichsleiter Kaminski genauso ein | |
| Held des Films wie die vielgeplagte Larisa aus Tschetschenien und die | |
| 80-jährige Flüchtlings-Patin Ingeborg Neupert. Der Film endet deshalb | |
| hoffnungsfroh, aber die porträtierten Flüchtlinge leben weiter in einem | |
| Zwischenreich, denn bis zum Ende der Dreharbeiten wurde über keinen ihrer | |
| Asylanträge entschieden. | |
| 12 Mar 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
| ## TAGS | |
| Asylsuchende | |
| Zivilgesellschaft | |
| NPD-Demo | |
| Flughafen Frankfurt | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Albaner in Deutschland: Gekommen, um zu bleiben | |
| Viele Albaner suchen in Deutschland ein gutes Leben. Sie beantragen hier | |
| Asyl. Aber das ist sinnlos, weil Albanien als sicher gilt. | |
| Tröglitz nach dem Brandanschlag: Das Dorf und die Schande | |
| Ein Flüchtlingsheim hat gebrannt. Der Ministerpräsident ist angereist. Die | |
| Menschen kommen zusammen – aber in verschiedenen Grüppchen. | |
| Bürgerinitiative in Tröglitz: Für ein herzliches Willkommen | |
| Bei einer Einwohnerversammlung wird nach dem NPD-geführten Protest über das | |
| geplante Asylbewerberheim gesprochen. Eine Initative für die Flüchtlinge | |
| ist geplant. | |
| Automatisierung der EU-Außengrenzen: Deutschland testet Ausführung | |
| Reisende am Frankfurter Flughafen müssen sich bald auf ein neues Prozedere | |
| einstellen. Ein System „intelligenter Grenzen“ wird ausprobiert. | |
| Asylbewerberheim in Tröglitz: Rechtsextreme demonstrieren | |
| Neonazis demonstrieren gegen die Unterbringung von Asylbewerbern im Ort. Es | |
| gibt Morddrohungen gegen den zurückgetretenen Bürgermeister, die Polizei | |
| ermittelt. |