| # taz.de -- Edeka-Star Liechtenstein im Gespräch: „Ich kann nicht mehr einsa… | |
| > Letztes Jahr sang Friedrich Liechtenstein „Supergeil“ in einem Werbespot | |
| > von Edeka – und wurde berühmt. Was macht er jetzt? | |
| Bild: Mittlerweile hat sich Liechtenstein daran gewöhnt, dass ihm die Leute �… | |
| Frühstück in Berlin-Mitte, dem Reich der Hipster, Selbstdarsteller, Nerds | |
| und Flaneure. Friedrich Liechtenstein, Großmeister dieses hedonistischen | |
| Biotops und Internetstar, trägt Sonnenbrille. Sein Anzug sitzt, die | |
| Fingernägel sind golden lackiert. Normalerweise, entschuldigt er sich, sei | |
| sein Bart gepflegter. Das Verwilderte sei bloß übrig von den letzten | |
| Dreharbeiten: In der Komödie „Der Nanny“, die demnächst in die Kinos komm… | |
| spielt er einen heruntergekommenen Typen. | |
| taz: Läuft ja gut für Sie. Auf YouTube millionenfach geklickt, gerade ist | |
| eine Biografie über Sie erschienen, und Tom Hanks hat sich auf Twitter als | |
| Fan von Ihnen geoutet. | |
| Das habe ich auch gelesen. Ist natürlich supertoll von dem Tom Hanks, dass | |
| der mich irgendwie gut findet. | |
| Bis zu dem [1][„Supergeil“-Werbespot von Edeka], mit dem Sie als Künstler | |
| berühmt wurden, kannte Sie kaum jemand. Hat Sie das wütend gemacht? | |
| Leider nicht. Ich muss sagen, dass sich diese Wut nie richtig entwickelt | |
| hat. Ich habe darauf gelauert, wann mein „Jetzt reicht’s“ oder die große | |
| Angst zu mir kommt. Es gab sogar Zeiten, in denen ich gehungert habe. | |
| Trotz Hunger keine Angst? | |
| Eher eine Depression. Manchmal war ich handlungsunfähig. Aber sobald ich | |
| mich zu sehr auf mein Desaster konzentriert habe und es scheinbar keinen | |
| Ausweg mehr gab, musste ich über mich lachen. Künstler, habe ich dann | |
| gedacht. Als Künstler hat man eben manchmal Hunger. | |
| Und trotzdem empfinden Sie mit verdrängten Künstlern keine Solidarität? Vor | |
| einer Weile haben Sie gesagt, Gentrifizierung fänden Sie gut. | |
| Ich habe dieses Defizit aus dem Osten. Bevor etwas schön wurde, haben alle | |
| gemeint, dass Grau doch auch eine schöne Farbe sei. Wenn die Wohnung alle | |
| zehn Jahre mal mit einer billigen Farbe gestrichen wird: „Ist doch klasse.“ | |
| Wenn der Wind durchs Fenster pfeift und die Öfen nicht funktionieren, alles | |
| stinkt und klappt nicht: „Ist doch großartig.“ Das finde ich nicht. Ist | |
| schon besser, wenn etwas funktioniert. | |
| War denn im Osten alles so schlimm? | |
| Nein, überhaupt nicht. Ich komme ja aus Stalinstadt, dem heutigen | |
| Eisenhüttenstadt, und während andere mit Fachwerkhäusern und Kirche | |
| aufgewachsen sind, bin ich in diese utopische sozialistische Idealstadt | |
| hineingewachsen. Alles war rosarot, viel Wasser, Brunnen, Goldfische, | |
| Skulpturen, ein großer Pool, in dem man im Sommer baden konnte – alles | |
| wunderbar. | |
| Das Las Vegas der DDR? | |
| Etwas ganz anderes. In der Schule habe ich noch gelernt, dass es irgendwann | |
| eine Welt geben wird, in der Geld keine Rolle spielt. | |
| Wie in Las Vegas: alles falsch. | |
| Als Kind kam mir das nicht falsch vor. Aber klar, so mit 14 hatte ich die | |
| Schnauze voll von dem sozialistischen Kitsch. Später fand ich alles | |
| hässlich. Die Musik, die Filme, die Autos, die Klamotten, das Essen, | |
| einfach alles war hässlich. | |
| Wie haben Sie sich das Hässliche erklärt? | |
| Es war ein Arbeiter-und-Bauern-Staat. Der größte Wunsch eines Arbeiters | |
| ist, nicht mehr, sondern weniger zu arbeiten. | |
| Sie fordern seit Jahren den Vierstundenarbeitstag. Das widerspricht sich | |
| nicht? | |
| Nö. Vier Stunden volle Konzentration sind ausreichend. In diesen Stunden | |
| kann man alles sehr gut gestalten. Der Rest ist Scheinhandlung, | |
| Verdrängung, Absitzen, Mobbing. Diese Zeit könnte man viel sinnvoller mit | |
| der Familie gestalten, mit Lesen, Reisen, Weiterbildung. Wenn es Leute | |
| gibt, die arbeitssüchtig sind, sollte man ihnen ihre Arbeitssucht nicht | |
| verbieten. Aber reflektierte Menschen, die Bock auf das Leben haben, | |
| sollten ihre Zeit nicht mit unnützer Arbeit vergeuden. | |
| Sind Sie arbeitssüchtig? | |
| Meine Arbeit ist ja Kunst – ja, in diesem Sinne bin ich süchtig. Arbeit und | |
| Leben kann man dann nicht mehr trennen. | |
| Sie haben mit 18 geheiratet, drei Kinder aufgezogen, bürgerlich gelebt. Was | |
| mochten Sie daran? | |
| Wir hatten ein schönes Haus, einen schönen Garten, die drei Kinder waren | |
| süß, unsere Freunde waren toll. | |
| Damals hießen Sie noch Hans-Holger Friedrich. Was ist mit dem passiert? | |
| Der steht auf irgendwelchen amtlichen Papieren. Alle Künstler, die ich | |
| schätze, heißen nicht mehr so, wie die Eltern sie genannt haben. | |
| Sie waren Puppenspieler, zunächst. | |
| Ich dachte, dass dies ein guter Platz für mich sei: am Rand der Wahrnehmung | |
| zu leben und mein Ding zu machen. | |
| Spielt man da nicht auch ein bisschen Gott? | |
| Sicherlich. Das gehört dazu. Es geht darum, sich eine kleine Welt zu bauen, | |
| die man beherrscht. Man ist außer sich, und andererseits ist da die Magie | |
| des Drinseins. Man ist drin und gleichzeitig draußen. | |
| Ist die Figur Friedrich Liechtenstein auch eine Puppe? | |
| Nein. Ich bin keine Kunstfigur. Mein Leben und meine Arbeit, das ist eines, | |
| da gibt es kein Dazwischen. Irgendwie bräuchte man dafür ein neues Wort. | |
| Ich bin Schauspieler, Sänger, Flaneur, Entertainer, Lebemensch. | |
| Dass Sie das Werbevideo einer Supermarktkette berühmt gemacht hat: War das | |
| jetzt Kunst? | |
| Diese Werbung ist ja nicht mein Werk. Das ist die Kampagne eines | |
| Riesenkonzerns mit 400.000 Angestellten. Ich stand dafür nur als | |
| Schauspieler zur Verfügung. Ich habe meine Art, zu sein, zur Verfügung | |
| gestellt. | |
| Was da verkauft wird, sind doch Sie: Friedrich Liechtenstein. | |
| Mein Timing, meine Bewegungen, meine Stimme sind in der Werbung drin. Ich | |
| als Friedrich Liechtenstein, als Quasilebenskunstwerk, bin drin. | |
| Haben Sie keine Angst vor einer Etikettierung, „Ach, das ist doch der | |
| Edeka-Typ“? | |
| Es gab verschiedene Etappen. Erst kam der Erfolg – der war natürlich gut. | |
| Dann kam diese Medienwolke, ich bin von Interview zu Interview gehetzt und | |
| musste erklären, dass dies nicht meine Musik, nicht meine Poesie ist. | |
| Schließlich gab es eine Phase, in der ich von merkwürdigen Blicken genervt | |
| war. Die Leute haben mich dumm angeglotzt oder mir, während ich gegessen | |
| habe, auf die Schulter geklopft. Mir dämlich zugerufen: „Supergeil, | |
| supergeil.“ Aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Es ist okay. Ist wie | |
| Wetter. Die Leute kommen wie Wolken durch mein Leben: „Hey, supergeil. | |
| Können wir mal ein Selfie machen?“ | |
| In Ihrem Buch „Selfie Man“ haben Sie geschrieben: „Durch das häufige | |
| Fotografiertwerden werde ich zu dem, was die Leute glauben zu | |
| fotografieren.“ Wen sehen sie denn? | |
| Sie sehen, was sie sehen wollen, und gleichzeitig wissen sie gar nicht, was | |
| sie sehen, weil sie eine Information fotografieren, die nicht der Realität | |
| entspricht. Sie sehen diese Hülle, diesen Typen, den ich ja selbst | |
| vorgeschlagen habe. Der eine Brille aufhat und einen Bart trägt, eine Art | |
| Maske. | |
| Hat man Ihnen die Hoheit über Ihr Image weggenommen? | |
| Ich freue mich über Irrtümer. Wenn die Leute zum Beispiel denken: Ah, der | |
| Liechtenstein ist ein supercooler, lustiger Wurstverkäufer – und ich | |
| erzähle ihnen dann, dass ich eher ein nachdenklicher, manchmal | |
| melancholischer Tortenverkäufer bin. | |
| Wie steht’s um die „Generation Selfie“: Fühlen Sie sich ihr nah? | |
| Smartphones sind für mich nichts – aber ich kann diese Generation | |
| verstehen. Sie hat Angst, sich zu verlieren. Früher hat man gesagt: Das | |
| Radio macht man an, weil man wissen will, ob die Welt noch existiert. Das | |
| Internet macht man an, weil man erfahren möchte, ob man selbst noch | |
| existiert. Die Leute wollen wissen: Bin ich noch da, bin ich noch schön. | |
| Sie sind in einem System mit totaler Überwachung aufgewachsen. Die | |
| Überwachung kam von außen, jetzt kommt sie von innen. Sie ist freiwillig. | |
| Auch gefährlich? | |
| Das Internet vergisst nichts, weil es nichts weiß. Letztlich war das auch | |
| das Problem dieses totalitären Staates. | |
| Und Ihres? Eine Boulevardschlagzeile ging so: „Mr. Supergeil unter | |
| Stasi-Verdacht“. | |
| Im Text stand ganz klar, dass ich kein IM war. Die Stasi wollte mich | |
| anwerben, ich habe gesagt, dass ich es nicht mache. Ich habe nie | |
| bespitzelt, ich wurde bespitzelt. | |
| Man konnte einfach ablehnen? | |
| Na ja, die kommen zu einem. Machen einem ein wenig Angst. Sagen: Ich kenne | |
| deine Familie, deine Freunde, weiß, wo du wohnst. Dann antwortet man: Ach, | |
| lieber nicht. Viele denken ja, dass die ganzen Stasileute 1989 gestorben | |
| sind. Stimmt natürlich nicht. Ist also immer noch ein Punkt, mit dem man | |
| einen ärgern kann. | |
| Eine Weile wohnten Sie, dank eines Freundes, kostenlos in der Firma eines | |
| Brillenherstellers. Könnten Sie dahin zurück? | |
| Ich habe da eineinhalb Jahre ohne Computer, Fernseher und Küche gewohnt. | |
| Das ist vorbei. Ich kann nicht mehr so tun, als ob ich einsam wäre. Ich | |
| habe jetzt eine eigene Wohnung und viele Termine. | |
| Sie haben außerdem ein Lebensmotto, das Sie bitte erklären müssten: „Die | |
| Zeit der Eiche ist vorbei, jetzt ist die Zeit der Alge.“ | |
| Das Baumbild ist massiv, suggeriert uns das Bild vom glücklichen Leben. Da | |
| gibt es ein stetiges Wachstum in die Höhe, eine lineare persönliche | |
| Entwicklung. Aber im Leben gibt es Umbrüche, Verwandlungen, alle möglichen | |
| Symbiosen. Wenn man sich immer mit einem Baum vergleicht und sieht, ach, | |
| scheiße, ich bin aber einfach nicht wie ein Baum, und mein Leben ist es | |
| auch nicht, wird man unglücklich. Wenn man sich aber mit einer Alge | |
| vergleicht, kommt man sich plötzlich nicht mehr so verfehlt vor. Dann ist | |
| man stabil, vielfältig, divers, diskontinuierlich. Die Alge ist die | |
| Meisterin der Verwandlung, sie ist unscharf in ihrer Definition, ist | |
| verwoben, sorgt für Sauerstoff. | |
| Demnach fürchten Sie sich auch nicht vorm Älterwerden? | |
| Überhaupt nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass ich von Tag zu Tag jünger | |
| werde. | |
| 14 Mar 2015 | |
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| Alem Grabovac | |
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