Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Barcelona profitiert von Olympia '92: Macher aus dem Widerstand
> Kann eine Stadt nachhaltig aus Olympischen Spielen Vorteil ziehen?
> Barcelona ist das 1992 gelungen. Leider war das ein absoluter Sonderfall.
Bild: Schwimm-WM 2013: Hier fanden 1992 auch die olympischen Sprungwettbewerbe …
Vor ein paar Jahren war Jordi Borja auf einem Seminar in Rio de Janeiro.
Eingeladen vom Bürgermeister, dessen Stadt soeben den Zuschlag für die
Olympischen Spiele 2016 erhalten hatte. Borja, Urbanistikprofessor und
früher Vizebürgermeister von Barcelona, sollte zusammen mit ein paar
anderen ehemaligen Mitstreitern erklären, wie sie das 1992 so grandios
hinbekommen hatten mit den Spielen, dass alle Welt immer noch davon
schwärmt. Und was Rio daraus lernen könne.
Borja hörte sich an, wie seine Kollegen das Beispiel von Barcelona
erklärten, sich aber mit einer Bewertung von Rios Plänen vornehm
zurückhielten. Als er selbst an der Reihe war, sah er sich genötigt, die
traute Eintracht etwas aufzumischen. „Ich sagte: ,Was Sie da vorhaben, hat
nichts damit zu tun, was damals in Barcelona gemacht wurde. Es ist das
genaue Gegenteil.‘ “
Der überwiegende Teil der Investitionen in Rio de Janeiro fließt in die
reichsten Bezirke. Die Lebensqualität der teilweise bettelarmen
Stadtbevölkerung wird sich eher nicht verbessern. Es wird wohl wieder eines
dieser Ereignisse werden, das alle Negativstereotype bestätigt: Olympia
fördert nur blinden Protz, dubiose Geschäfte und hinterlässt mehr Schulden
als Nutzen.
Wer weiß, wie groß die Kritik an den Spielen erst wäre, hätte es Barcelona
nicht gegeben. Die Spiele 1992 gelten als das leuchtende Gegenbeispiel, als
das große, vielleicht einzige Argument, mit dem demokratische Städte
überhaupt noch den Sinn einer Bewerbung um das Sportspektakel vermitteln
können.
## Spree-Athen oder Elb-Venedig
Bevor sich nun Spree-Athen oder Elb-Venedig ins Rennen werfen, erklärte
Londons Exbürgermeister Ken Livingstone: „Wir wollen Barcelona an der
Themse.“ Auch mithilfe des Chefarchitekten von 1992 wurde ein
postindustrielles Brachland im Osten der Stadt revitalisiert. Jordi Borja
kennt die Elogen natürlich, er sagt: „Es war wohl das erste Mal, dass
Olympische Spiele eine Stadt berühmt gemacht haben.“
Opernsängerin Montserrat Caballé schmetterte „Barcelona“, und die Welt
dachte an ihren Duettpartner Freddie Mercury, der kurz zuvor an Aids
verstorben war. Die Basketballer des amerikanischen Dream Team boten
nächtlich große Show. Dazu die ikonischen Bilder, wie Turmspringer oben auf
dem Montjuïc vor der Sagrada Família zu stehen und sich in den Schlund der
Metropole hinabzuwerfen schienen. Olympia und die Stadt verflossen zu
Magie. Und kreierten eine Marke.
Barcelona erschuf sich als intelligente Metropole des Mittelmeers: alt und
neu, dynamisch und modern, trotzdem entspannt und lebenswert. Das Image
lebt fort. Angesichts der Touristenmassen, verdreifacht seit 1992 und in
Europa nur von London und Paris überboten, könnte man denken, es sei immer
noch Olympia. Der Stadtstrand zum Beispiel gehört fast exklusiv den
Auswärtigen.
## Katalanisches Brooklyn
Generationen von Einheimischen waren es gar nicht gewohnt, mit dem Meer zu
leben oder vom Hafen mehr zu erwarten als Docks und Terminals. Wo heute die
Strandpromenade zur Vila Olimpica verläuft, dem Olympiadorf, und sich
dahinter der alte Arbeiterbezirk Poblenou als katalanisches Brooklyn
inszeniert, standen vor 1992 abgewirtschaftete Industrieanlagen und Reste
eines von Diktator Franco abgerissenen Slums. Eine No-go-Area buchstäblich,
und nicht die einzige. Noch 1984 hatte die Provinz Barcelona die größte
Arbeitslosigkeit Spaniens. Borja sagt: „Die Stadt hatte einen hässlichen
Ruf, grau, schmutzig, und man sah das Meer nicht.“
Borja erlebte damals in seinem französischen Exil, dass sich niemand so
recht für Barcelona interessierte. Geboren zwei Jahre nach Ende des
Spanischen Bürgerkriegs, hatte er als Mitglied der Kommunistischen Partei
Kataloniens zuvor ein paar Monate im Gefängnis gesessen. Erst als die
Diktatur poröser wurde, kam er nach Barcelona zurück und übernahm dort
einen Lehrstuhl. Nach dem Tod Francos ging er in die Lokalpolitik. Zwischen
1983 und 1995 war er Vizebürgermeister in der Regierung des Sozialisten
Pasqual Maragall, mit besonderer Zuständigkeit für die Stadtentwicklung.
Vieles kam damals zusammen in Barcelona: Der Kalte Krieg war vorüber, es
gab keine Boykotte mehr. Spanien und besonders das während der Diktatur
kulturell unterdrückte Katalonien ergriffen voller Enthusiasmus die Chance,
der Welt ein altes Land zu präsentieren, das sich wie neugeboren fühlte.
Barcelona ist nicht London oder Berlin, sondern klein genug, um durch
Olympische Spiele das Stadtbild zu verändern. Der mediterrane Sommer und
das natürliche Freilichttheater mit dem Meer im Osten, dem Tibidabo im
Westen und dem Montjuïc im Süden boten szenische Möglichkeiten, die nicht
jede Stadt besitzt. Aber man sollte auch die Rolle der handelnden Personen
nicht unterschätzen und ihre speziellen Biografien.
## Lange Jahre der Agonie
Borja ist heute 71 und reist immer noch als Dozent und Berater um die Welt.
In Barcelona leitet er das Observatorio DESC (Observatorium für
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) und hat Guanyem
mitbegründet, eine Art katalanischer Ableger der erfolgreichen
Protestbewegung Podemos. Einmal, erzählt Borja, seien er und Maragall
gefragt worden: Wie konntet ihr in so kurzer Zeit so viel machen? Gemeinsam
und gleichzeitig hätten sie geantwortet: Nun, wir hatten ja vorher auch
genug Zeit, darüber nachzudenken. Wie Borja kam auch der Bürgermeister und
die meisten anderen der Stadtregierung aus dem Widerstand.
In den langen Jahren der Agonie hatten Akademiker, Bürgerinitiativen und
Untergrundpolitiker bereits ausdiskutiert, welche Veränderungen die Stadt
brauchte: die Front zum Meer, einen Autobahnring, einen größeren Flughafen,
eine Erneuerung der heruntergekommenen Altstadt, mehr Lebensqualität in der
Peripherie. Als der Olympiazuschlag kam, lag der Plan längst fertig in der
Schublade. Barcelona nutzte die Spiele für eigene Zwecke, statt für die
Zwecke Olympias zu bauen.
Mehr Intellektuelle als Technokraten in einer Stadtverwaltung, das war
schon eine Besonderheit. Als weitere gilt der breite Konsens von Politik
und Bürgern. Katalonien und Barcelona nach dem Ende der Diktatur, das war
ein politischer Mikrokosmos mit vielen Parteien und Initiativen, in dem
jeder mit jedem redete. Daraus erwuchs eine Stadtplanung, die integrieren
wollte, statt zu verordnen, und die in der Urbanistik als „Modell
Barcelona“ gefeiert wird. Seinen feurigsten Anhängern gilt dieses sogar als
Ausnahme von der These des Ökonomen Thomas Piketty, wonach Wachstum im
heutigen Wirtschaftssystem nur Ungleichheit befördert.
## Zu erfolgreiche Selbstvermarktung
Von außen erscheint Barcelona immer noch als harmonische Metropole mit
vergleichsweise bezahlbaren Mieten. Die Binnenansicht vieler Bewohner
könnte nicht stärker abweichen. „Modell Barcelona“ ist zu einem politisch…
Kampfbegriff geworden, den Kritikern bedeutet er nun auch: Ausverkauf an
den Tourismus; laute Horden aus aller Welt in Airbnb-Wohnungen; die nackten
Italiener, die vorigen Sommer durch das Strandviertel Barceloneta zogen –
was für die Bewohnern das Fass zum Überlaufen brachte und sie zu Protesten
auf die Straße trieb. Für ganz Unzufriedene ist sogar das olympische Erbe
in Verruf geraten. Denn fing mit Olympia nicht die Selbstvermarktung an,
die jetzt so viele Leute in die Stadt spült?
Es ist wohl der einzige große Vorwurf, den man Barcelona 1992 machen kann:
dass es zu erfolgreich war. Der städtische Wandel dagegen gilt, jenseits
ästhetischer Detailfragen, nach wie vor als gelungen. „Heute würde es
bestimmt nicht besser gemacht werden“, sagt Borja. „Ich sehe das sogar bei
Guanyem, meinen Kollegen hier, die sind sehr beschäftigt mit den nahen
Dingen, die einzelnen Probleme jedes Viertels zu lösen. Aber sie wären
nicht in der Lage, Ideen zu entwickeln, die die ganze Stadt verändern.“
Die Zeiten sind eben andere. Und die potenziellen Olympiastädte auch. Borja
wird sicher bald wieder eine besuchen und seine Meinung sagen. Jetzt geht
er erst einmal zur U-Bahn und fährt nach Hause. Er wohnt in der Vila
Olimpica.
15 Mar 2015
## AUTOREN
Florian Haupt
## TAGS
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Stadtentwicklung
Barcelona
Oper
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Champions League
## ARTIKEL ZUM THEMA
Spanische Opernsängerin: Montserrat Caballé ist tot
Die Opernwelt trauert um einen Star. Auch jenseits der klassischen Musik
ist Caballés Name ein Begriff: Mit Freddy Mercury sang sie das Duett
„Barcelona“.
Kommentar Olympiabewerbung: Und der Verlierer heißt: Hamburg
Die höhere Zustimmung war dann wohl ausschlaggebend: Hamburg muss sich
jetzt um Olympia 2024 bewerben.
Hamburg bewirbt sich für Olympia: Zweite Philharmonie in Planung
Der DOSB-Vollversammlung wird empfohlen, Hamburg zum deutschen Bewerber um
die olympischen Spiele 2024 zu machen.
Kommentar Olympia-Bewerbung: Verlieren ist das neue Gewinnen
Nicht die Städte sollten sich beim IOC, sondern das IOC bei den Städten
bewerben. Das wäre fair. Bis dahin werden aber noch Millionen verschwendet.
Kolumne Liebeserklärung: Olympia ist eine Affäre
Die Menschen wollen die Spiele in Deutschland – aber nicht im eigenen
Vorgarten. Lieber eine ICE-Fahrt entfernt. Liebe ist leider nie
bedingungslos.
Die Spiele in Berlin: Keine Eile, mehr Weile
Führender Sportbund-Funktionär rät zur Vorsicht bei der Bewerbung für die
Olympischen Spiele.
Wirtschaftsforscher über Olympia: „Berlin wird nicht gewinnen“
Bewerbung für die Sommerspiele 2024 mit Berlin oder Hamburg? Zwei Ökonomen
streiten über den wirtschaftlichen Nutzen des Events.
Olympiakos Piräus und sein Chef: Diktator auf und neben dem Rasen
Um seine Macht im griechischen Fußball zu untermauern, ist Evangelos
Marinakis, dem Boss von Olympiakos Piräus, fast jedes Mittel recht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.