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# taz.de -- Theaterstück über Leerstellen: Erinnerung als grelle Farce
> Die Regisseurin Mina Salehpour bringt am Schauspiel Hannover den Roman
> „Alles ist erleuchtet“ von Jonathan Safran Foer auf die Bühne.
Bild: Will ernste Stoffe ohne falsche Betroffenheit auf die Bühne bringen: Min…
HANNOVER taz | So ganz genau kennt Mina Salehpour die Details der
Geschichte selbst nicht. Aber so viel ist klar: 1985 in Teheran geboren,
kam sie als Elfjährige nach Deutschland – als Kind eines politischen
Flüchtlings. Im Iran war ihre Familie Repressalien ausgesetzt, bis heute
kann ihr Vater das Land nicht besuchen. „Das kann gefährlich werden“,
betont die 30-jährige Regisseurin. Der Iran – für ihren Vater ist das Land
heute eine Heimat, „die es eigentlich nicht mehr gibt“, sagt Salehpour:
eine Leerstelle.
Aber dass ihre persönliche Geschichte etwas mit ihrer Inszenierung von
Jonathan Safran Foers Roman „Alles ist erleuchtet“ zu tun hat, die nun am
Schauspiel Hannover Premiere hat, stimmt trotzdem nur bedingt. 2003
erschien der Text, in dem Foer von einer Reise eines jüdischen
US-Amerikaners in die Vergangenheit seiner Familie in der Ukraine erzählt.
Vom jüdischen Dorf Trachimbrod haben die Nazis dort nichts übrig gelassen.
Die Vergangenheit findet der fiktionale Jonathan, der nicht zufällig
genauso heißt wie der Autor, nur noch als Ausgelöschtes vor. Im Rückblick
erfindet er deshalb einfach eine neue Geschichte. In seiner Erinnerung wird
die Reise in die Ukraine zu einer grellen Farce in einem winzigen Auto,
voller aberwitziger Geschehnisse.
Es sei erstaunlich, „dass sich bei diesem Stoff die deutschen Schauspieler
viel mehr mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen als ich“, sagt
Salehpour. Da hätten sich schon einige gefragt, was haben eigentlich unsere
Großväter im Krieg gemacht? Und festgestellt: Wir wissen eigentlich gar
nichts. Die Leerstelle in der Erinnerung macht Foers Roman für die junge
Regisseurin so spannend – eine Leerstelle, die die Protagonisten nun auch
auf der Bühne liebevoll mit einer Fiktion ausfüllen, die dann wieder zu
einer neuen Erinnerung werden kann. Ganz im Sinne der Gedächtnisforschung:
Erinnerungen sind niemals objektiv, sagt auch sie – und immer
manipulierbar. Menschen können ganz fest daran glauben, Dinge erlebt zu
haben, die sie nur vom Hörensagen kennen – oder die sie sich ausgedacht
haben.
Auch auf der Bühne werden Schauspieler und Zuschauer zu Beginn eine
Leerstelle vorfinden. Weiße Luftballons in verschiedenen Größen sollen
einen Raum definieren, in dem die Schauspieler in bunten Fantasie-Kostümen
ihre Geschichte neu erfinden können. Und also nur in der Imagination
gemeinsam mit den Zuschauern in eine fiktive Ukraine reisen.
Natürlich könne man die Geschehnisse in der echten Ukraine bei der Arbeit
nicht ausblenden, sagt Salehpour. Sie habe jedoch nicht krampfhaft
versucht, aktuelle Bezüge in die theatrale Vergangenheitsbewältigung
einzubauen. Wenn man auf der Bühne von der jungen Verfassung des Landes
höre und bedenke, dass diese schon wieder in Gefahr sei, dann entstehe das
Gefühl, dass sich die Geschichte wiederhole. Was er mit dieser Erkenntnis
anfange, müsse aber jeder Zuschauer selbst entscheiden.
Ihr sei es wichtig, den Stoff ernst zu nehmen, ohne in jene falsche
Betroffenheit zu verfallen, die eine echte Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit oft blockiere. Nur mit Humor könne man dem Wahnsinn der Welt
begegnen, findet Salehpour. Zweimal werden dann doch echte
Zeitzeugenberichte auf der Bühne gesprochen. „Das geht einem sehr nah“,
sagt Salehpour – mit dem Spaß sei es dann erst einmal vorbei.
Ernste Stoffe mit Leichtigkeit auf die Bühne zu bringen, war von Beginn an
ein Spezialgebiet Salehpours. Bis 2011 war sie Regieassistentin am
Schauspiel Hannover, brachte mit „Invasion!“ als Erste einen Text Jonas
Hassen Khemiris auf die Bühne. Immer wieder beschäftigten sie die
melancholischen Geschichten des Schweden mit Vater aus Tunesien. Auch darin
geht es oft um Leerstellen.
Am benachbarten Staatstheater Braunschweig ließ Salehpour in Khemiris
„Apathisch für Anfänger“ etwa die Schauspieler in einem unterirdischen
Archiv auf Spurensuche in der Vergangenheit gehen und die Details einer
Serie von erkrankten Kindern von Asylbewerbern ans Tageslicht bringen. Auch
der Umgang der schwedischen Presse mit dem verdrängten Skandal wurde
thematisiert.
Mit „Fatima“ inszenierte Salehpour im Ballhof in Hannover ein Stück über
eine Schülerin, die plötzlich ein Kopftuch trägt und Freunde und Familie in
helle Aufregung versetzt. Fatima selbst erscheint auf der Bühne nie, aber
ihr Kopftuch wird zum Anlass für projizierte Ängste. In ein grellbuntes
Soap-Opera-Set verwandelte Salehpour das Jugendstück, ohne dabei das ernste
Thema zu verraten.
Dass sie immer wieder für Themen „mit Migrationshintergrund“ angefragt
wird, kratzt Salehpour nicht, es liege ja an ihr, wie sie diese Stoffe
bearbeite. Und das tut sie mit großem Erfolg: 2013 gewann sie für ihr Stück
„Über Jungs“ am Berliner Grips-Theater den renommierten Theaterpreis Faust
in der Kategorie „Regie Kinder- und Jugendtheater“. Eine wichtige
Auszeichnung, die Türen zu neuen Stoffen und Bühnen öffnete, in denen
Salehpour dem Wahnsinn der Welt ihren Humor entgegensetzen kann.
## ■ Premiere: So, 14. 3., 20 Uhr, Cumberlandsche Bühne; weitere
Aufführungen: Di, 17. 3., Sa, 21. 3., Do, 9. 4., Di, 14. 4. und Fr, 24. 4.
15 Mar 2015
## AUTOREN
Alexander Kohlmann
## TAGS
Erinnerung
Theaterstück
Hamburg
Nationalismus
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